71 Millionen Euro in fünf Jahren Fifa für Blatter-Clique ein Selbstbedienungsladen

Zürich · Der Fifa-Skandal erreicht ungeahnte Dimensionen: Enthüllte Zahlungen von über 71 Millionen Euro haben die ehemalige Führungsclique um den Ex-Präsidenten Joseph S. Blatter endgültig als Raffzähne entlarvt.

Die Fifa und ihre Figuren im Korruptionssumpf
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Foto: dpa, pbk hm

Für den skandalumwitterten Schweizer, den entlassenen Generalsekretär Jerome Valcke (Frankreich) und den erst kürzlich gefeuerten Finanzchef Markus Kattner (Bayreuth) war der Fußball-Weltverband laut interner Untersuchungen über Jahre ein Selbstbedienungsladen.

Trio am Pranger

Einen Tag nach einer abermaligen Razzia in ihrem Hauptquartier stellte die Fifa das Trio an den Pranger. Dabei stellten die bekannt gewordenen Summen und Vorgehensweisen alle bisher schon schockierenden Korruptionsvorgänge in Zürich bei weitem in den Schatten. "Die Beweise offenbaren abgestimmte Bemühungen von drei früheren Fifa-Spitzenfunktionären, sich durch jährliche Gehaltserhöhungen, Bonuszahlungen für WM-Turniere und andere Prämien oder Gratifikationen in Höhe von 79 Millionen Schweizer Franken selbst zu bereichern - und das nur in den fünf vergangenen Jahren", erklärte Fifa-Anwalt Bill Burck von der seit dem Vorjahr im Verbandsauftrag intern ermittelnden US-Kanzlei Quinn Emanuel zu den vorgelegten Verträgen und Vertragszusätzen.

Demnach handelten Blatter, der im Herbst 2015 wegen eines zwielichtigen Millionen-Deals mit dem damaligen Europa-Boss Michel Platini (Frankreich) gesperrt und im vergangenen Februar von seinem Landsmann Gianni Infantino als Fifa-Boss abgelöst wurde, und seine beiden Claqueure mit unvorstellbarer Gier. Insbesondere über das Instrument sogenannter WM-Boni machte sich die "dreisten Drei" die Taschen voll.

Für die mit Milliarden-Gewinnen durchgeführten Endrunden 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien genenhmigten sich die Herren gegenseitig insgesamt für Blatter 20,7 Milionen Euro, für Valcke 17,1 Millionen und für Kattner immerhin noch 6,3 Millionen Euro. Für das nächste WM-Turnier 2018 in Russland sind - mit Ausnahme von Blatter - ebenfalls schon ähnliche Prämien vereinbart gewesen. Als willfähriger Handlager erwies sich bei mehreren Gelegenheiten der inzwischen verstorbene Ex-Fifa-Vize und -Finanzkommissions-Chef Julio Grondona (Argentinien).

Gehaltserhöhung um 50 Prozent

Den Gipfel der Unverschämtheit indes erlaubte sich - beinahe erwartungsgemäß - aber Blatter persönlich: Ganze drei Tage nach der Verhaftung der ersten Fifa-Vorstandskollegen bei der legendären Razzia in einem Züricher Hotel und nicht einmal 24 Stunden nach seiner Wiederwahl gönnte sich der Patron eine "bescheidene" Erhöhung seines Bruttogrundgehaltes von zwei Millionen Schweizer Franken (1,8 Millionen Euro) um sage und schreibe 50 Prozent auf 2,7 Millionen Euro. Die Polizei war dabei buchstäblich noch fast im Haus, und drei Tage später kündigte Blatter seinen baldigen Rücktritt an.

Doch auch Valcke und Kattner kamen nicht zu kurz: Blatter verlängerte 2011 angesichts seiner zunächst nicht sicheren Wiederwahl die Verträge seiner Vasallen quasi per Dekret gleich um acht Jahre bis 2019 - inklusive voller Bezüge und Bonuszahlungen bei vorzeitiger Beendigung ihrer Tätigkeiten sowie Übernahme sämtlicher Anwalts- und Rechtsfolgekosten für den Fall von Schadenersatzforderungen.

Weil vor allem diese beiden Zusätze in den Arbeitsverträgen nach Ermessen der Fifa-Anwälte gegen Schweizer Recht verstoßen, hat Quinn Emanuel sowohl die Schweizer Bundesanwaltschaft als auch die US-Justiz über die neuesten Erkenntnisse informiert. Beide Behörden ermitteln schon seit dem Vorjahr im Fifa-Korruptionsskandal, die Schweizer wegen der "Blattini"-Affäre auch namentlich gegen Blatter.

Seit Freitag absolut nicht mehr ausgeschlossen erscheint jedenfalls, das der vorgebliche "Saubermann" Blatter sich womöglich schon bald auf der Anklagebank eines Gerichtes wiederfindet. Bislang hatte sich der einst so mächtige Fifa-Boss stets unwidersprochen darauf berufen können, dass keinerlei Beweise für seine Verwicklung in korrupte Vorgänge aufgetaucht waren. Auch dieses Mal beharrte sein Anwalt Richard Cullen darauf, alle Zahlungen, die sein Mandant erhalten habe, seien "sauber, fair und im Einklang mit den Gehältern führender Köpfe im Weltsport."

Durch die Enthüllungen von Freitag erscheinen auch die Turbulenzen bei der Fifa in den vergangenen Wochen weitgehend in einem neuen Licht. Kattners Entlassung dürfte in direktem Zusammenhang mit den aufgefundenen Vertragswerken stehen. Aus Fifa-Kreisen verlautete am Freitag auch schon, dass die Razzia vom Vortag vor allem weitere Aufklärung der Rolle des Franken zum Ziel gehabt hätte. Ob Kattner vor seiner Entlassung durch angeblich massive Vorwürfe gegen Blatters Nachfolger Infantino letztlich nur die Aufdeckung der Machenschaften verhindern wollte, ist unklar, aber wenigstens denkbar.

Allerdings bleiben Fragezeichen - insbesondere auch hinter Infantinos Amtsführung in seiner bisher erst rund dreimonatigen Präsidentschaft. Manche Attacke gegen den früheren Uefa-Generalsekretär könnte sich noch als eine Intrige des abgewickelten Blatter-Clans erweisen, andererseits haben Gerüchte über Infantinos Gehaltsforderungen und seinen Einfluss auf den Rücktritt des Fifa-Chefaufsehers Domenico Scala (Schweiz) vor Monatsfrist für erste Kratzer am Lack des selbsternannten Erneuerers gesorgt. Ob der Walliser, wie zuletzt kolportiert, aber tatsächlich sogar schon eine Suspendierung wegen missbräuchlicher Nutzung seines Amtes fürchten muss, ist fraglich.

(sid)
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