Inklusion im Sport David ist der Torwart

Essen/Düsseldorf · Inklusion im Sport kann funktionieren, wenn engagierte Vereinsleute auf gute Ideen kommen. Beim SV 1920 Teutonia Überruhr ist das so. In Sport-Deutschland indes gibt es Nachholbedarf.

 Inklusion beim SV 1920 Teutonia Überruhr: In Essen hütet David (M.) das Tor.

Inklusion beim SV 1920 Teutonia Überruhr: In Essen hütet David (M.) das Tor.

Foto: ausschließliche Nutzungsrechte/Thilo Schmülgen

David ist Torwart beim SV 1920 Teutonia Überruhr. Das ist seine Position, das ist seine Leidenschaft. David hat allerdings ein Handicap: Er sitzt wegen einer frühkindlichen Hirnschädigung im Rollstuhl. „Überhaupt kein Problem“, sagt Team-Trainer Kai Gatzke und räumt alle möglichen Nachfragen gleich ab. „Er ist unser Torwart, und er macht das gut.“

Vor drei Jahren hat Jugendleiter Mirko Börner das Inklusions-Projekt bei dem Essener Klub gestartet. Mittlerweile gibt es in der E- und C-Jugend je eine inklusive Mannschaft. „Die Kinder haben viel Spaß miteinander und kommen immer gerne zum Training“, sagt Börner. „Aber die positivsten Rückmeldungen kommen von den Eltern: Sie schwärmen davon, wie selbstbewusst und verantwortungsvoll die Kinder durch den gemeinsamen Sport geworden sind.“

Am Anfang, erinnert sich Gatzke, hätten schon einige Mitglieder gemeckert. „Die haben nicht verstanden, warum so etwas angeboten wird. Mittlerweile ist das Verständnis bei den meisten da. Wer jetzt noch was zu mosern hat, der kann gehen. Die Erfolge zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Vor ein paar Monaten hat Gatzke mit seinem Team an einem internationalen Turnier in Neuss teilgenommen. Die Mannschaft wurde Dritter.

Als Gatzke die Mannschaft übernommen hat, sei er „total naiv“ an die Sache herangegangen. Er wollte ein Team trainieren. Egal, ob die Kinder besonders talentiert sind oder nicht, ein Handicap haben oder nicht. „Was für Herausforderungen zum Teil mit dieser Aufgabe verbunden sind, darüber habe ich mir damals keine Gedanken gemacht. Es ging vor allem um Fußball. Mittlerweile würde ich diese Mannschaft freiwillig nicht mehr abgeben. Weil ich wüsste, kein anderer Trainer kommt so ohne Weiteres mit diesem Team klar.“ Offenheit ist der erste Schritt. Geduld ist dann sehr wichtig. Im Gegensatz zu einer sogenannten Regelmannschaft mit Kindern ohne körperliche oder geistige Einschränkung, muss Gatzke Übungsformen immer und immer wiederholen. „Aber wenn sich ein Spielzug einmal festgesetzt hat, dann ist er drin“, sagt Gatzke.

Das Prinzip mit den Spielzügen lässt sich auf das der Inklusion in deutschen Sportvereinen übertragen. Es gibt Ansätze: Der Landessportbund NRW etwa hat 2015 das „Kompetenzzentrum für Integration und Inklusion im Sport“ gegründet. Es soll Vereinen und Verbänden helfen, die verbindende Kraft des Sports auszuschöpfen. Doch obwohl in den vergangenen Jahrzehnten auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft gleichberechtigte Teilhabe gefördert wurde – unter anderem auch durch eine Grundgesetzänderung –, kann von einer gelungenen Inklusion im Sport noch lange nicht gesprochen werden.

Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) zählt 577.184 Mitglieder in rund 6200 Vereinen. In Deutschland leben aber mehr als zehn Millionen Menschen mit Behinderung. „Es gibt nach wie vor noch sehr viel Potenzial. Manche Ideen und Initiativen scheitern noch immer daran, dass Sportstätten nicht barrierefrei und behindertengerecht sind. Das sind häufig unüberwindbare Hürden, die das wohnortnahe Sporttreiben einschränken“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. In den Köpfen sei längst noch nicht flächendeckend angekommen, dass Handlungsbedarf besteht: „Der Prozess der Inklusion im Sport läuft in meinen Augen insgesamt zu langsam, ebenso die damit verbundene Bewusstseinsbildung“, sagt Beucher. „Wenn fast jeder zweite Mensch mit Behinderung angibt, dass er nie Sport treibt, dann können wir nicht zufrieden sein und uns zurücklehnen.“ Er bezeichnet es als Herausforderung für die gesamte Gesellschaft und insbesondere für die deutsche Sportlandschaft, mehr Menschen mit Behinderung zum Sport zu bringen.

Die Zahlen sind das Ergebnis einer Umfrage, die jüngst im Rahmen des Projektes „MIA – Mehr Inklusion für Alle“ durchgeführt wurde. 49 Prozent der Befragten üben demnach aktiv Sport aus. Am häufigsten (30 Prozent) wurde die Sportart Fußball benannt, gefolgt von Schwimmen (22), Tanzen (20) und Reiten (13). Von den 51 Prozent, die keine Sportart aktiv betreiben, führten 40 Prozent das Argument an, dass es kein passendes Angebot für sie gebe.

Der DBS will eine engere Zusammenarbeit von Sportvereinen für Menschen mit und ohne Behinderung schaffen. Er setzt auf den paralympischen Spitzensport als Aushängeschild und Zugpferd für mehr Aufmerksamkeit. Im Breitensport sind etwa Rollstuhlbasketball oder Sitzvolleyball Positivbeispiele. „Dort können auch Menschen ohne Behinderung auf nationaler Wettkampfebene mitwirken“, so Beucher. Schwimmen, Leichtathletik oder Tischtennis gehörten ebenfalls dazu. In anderen Sportarten gestalte sich die Inklusion schwieriger.  „Der Fußball“, sagt Peter Frymuth, DFB-Vizepräsident. „ist für alle offen. Wir wollen noch mehr Vereine ermutigen, sich für Inklusion zu öffnen.“ Für den DFB sei es mehr als ein Pflichtthema. Der SV Teutonia macht vor, wie das im Ballsport gelingt.

Trainer Gatzke spielt mit seiner Mannschaft in der Handicap-Liga des Fußballverbands Niederrhein. Tore und Feld sind kleiner. Es geht nicht um Punkte, sondern um den Spaß am Spiel. Gatzke sieht, wie sich durch den Sport das Selbstbewusstsein der Kinder, aber auch der Eltern steigert. „Es ist fantastisch zu sehen, dass einfach nur gespielt wird. Ohne Aggressionen, ohne Druck. Es geht darum zu zeigen, was man leisten kann.“

Gatzke kommt während des Gesprächs gar nicht darauf, zu erzählen, welches Handicap genau seine Spieler haben. Es für ihn schlicht nicht wichtig. Down Syndrom, halbseitige Lähmung oder Diagnose gänzlich unbekannt – Gatzke sieht nur die Spieler. Es sind acht Kinder, das älteste ist 14 Jahre alt. In zwei Jahren müsste es also in den Seniorenbereich wechseln. Doch da gibt es noch kein Angebot bei dem Verein in Essen. „Wir haben das Thema auf dem Schirm und sind schon mit verschiedenen Verbänden im Gespräch“, sagt Gatzke. „Wir wollen hier niemanden alleinlassen. Ich hoffe sehr, dass wir bis dahin entsprechende Strukturen bei uns aufgebaut haben.“

(ball/gic)
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