Pagelsdorf: im Innern Vulkan, nach außen Ruhepol HSV im freien Fall

Hamburg (dpa). In der Hinrunde zu Gast beim europäischen Fußball- Adel in der Champions League, in der Rückrunde versackt im Bundesliga-Abstiegssumpf - der Hamburger SV zieht in dieser Saison unfreiwillig alle Register. Am schwersten zu schaffen macht die rasante Talfahrt Trainer Frank Pagelsdorf. Nach außen will sich der 43-Jährige die Pein nicht anmerken lassen, aber in seinem Inneren brodelt ein Vulkan. Warum seine gestandenen Profis ihre Nerven und mithin die Vielzahl an Fehlern in dieser Saison einfach nicht in den Griff bekommen, ist dem Fußballlehrer ein Rätsel. "Es gibt keinen Grund zum Verzweifeln", murmelt der Trainer, "wir müssen Ruhe bewahren, um da unten rauszukommen."

Pagelsdorf, der als Ganztags-Fußballarbeiter auch des nächtens vor dem Videorekorder Fehleranalyse betreibt und das Hirn mit taktischen Veränderungen malträtiert, bemüht sich gerade in diesen Tagen um ein Höchstmaß an der ihm ohnehin eigenen Contenance. Kapitän Martin Groth, der Pagelsdorf schon seit 1991 aus gemeinsamer Zeit bei Hannover 96 und später bei Hansa Rostock kennt, sieht den Trainer als Fels in der Brandung. "Je bedrohlicher die Lage ist, desto gelassener wird er", beschreibt Groth den schwergewichtigen Coach.

"Unser Trainer unterscheidet sich halt von vielen anderen", versichert Sportchef Holger Hieronymus. "Er tobt nicht am Spielfeldrand umher und trägt sein Herz nicht unbedingt auf der Zunge. Er lässt eben nicht viele Leute an sich heran. Aber das muss ja nicht das Schlechteste sein."

Für Hieronymus und Vereinschef Werner Hackmann stellt sich die Trainerfrage nicht. "Vor ein paar Monaten", erklärt Hieronymus, "haben wir noch ein Fußball-Märchen geschrieben: neues Stadion, dritter Platz in der Bundesliga, Champions-League-Teilnahme. Jedem sollte deshalb klar sein: Unsere derzeitige sportliche Situation ist kein Problem des Trainers." Der Sportchef beklagt vielmehr unerklärliche Konzentrationsschwächen der Profis: "Wir haben noch nicht ein Spiel in den Schlussminuten gewonnen oder unentschieden gestaltet, aber diverse verloren."

Nach acht Niederlagen in den letzten neun Bundesligaspielen kommt dem Kellerduell am Samstag gegen den Tabellenletzten VfL Bochum eine besondere Bedeutung zu. "Ganz klar, man schläft schlechter", gesteht Mittelfeldspieler Niko Kovac. Sollte den Hamburgern erneut ein Sieg versagt bleiben, wird es dem Vorstand schwer fallen, die Treueschwüre auf Pagelsdorf zu erneuern. Hieronymus: "Wir müssen sehen, ob wir dem Druck standhalten. Wir weigern uns, Horrorszenarien zu entwerfen."

Über den bislang noch unvorstellbaren "Betriebsunfall 2. Bundesliga" und die gravierenden finanziellen Folgen spricht der Vorstand nur intern. Zwar ist der HSV im Abstiegsfall bei Lloyds mit 20 Millionen Mark versichert, doch die Millionen-Verluste durch geringere Fernseheinnahmen, schlechter dotierte Sponsorverträge und weniger Zuschauer bei steigenden Kosten für die Rückzahlung des Stadionkredits bereiten auch den Funktionären schlaflose Nächte.

(RPO Archiv)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort