Schwacher Nachwuchs Die Bundesliga shoppt Talente lieber im Ausland

Köln · Die Spitzenklubs der Bundesliga verstärken sich lieber mit ausländischen Talenten, statt auf den eigenen Nachwuchs zu setzen. Der Blick in die Zukunft macht wenig Hoffnung.

Ausländisches Talent in der Bundesliga: Achraf Hakimi von Borussia Dortmund.

Ausländisches Talent in der Bundesliga: Achraf Hakimi von Borussia Dortmund.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Champions-League-Sieger, U17-Weltmeister, Fußballer des Jahres: Die Talente von Herbstmeister Borussia Dortmund haben bereits einiges vorzuweisen. Das einzige Problem aus deutscher Sicht: Keiner der Spieler stammt aus dem DFB-Nachwuchs. Die ersten Alarmglocken schrillen bereits - nicht nur beim BVB.

"Ich halte es für die größte sportliche Herausforderung, unser gesamtes Jugendkonzept auf den Prüfstand zu stellen", sagte Hans-Joachim Watzke der Bild-Zeitung. Der BVB-Geschäftsführer hat mit seinem Verein allein in dieser Saison in Abdou Diallo (22), Champions-League-Sieger Aschraf Hakimi (20) und ganz aktuell dem argentinischen Abwehrtalent Leonardo Balerdi drei ausländische Spieler unter 23 Jahren verpflichtet.

Doch nicht nur Dortmund, auch der deutsche Rekordmeister folgt dem Trend. In der Winterpause wechselte der 18 Jahre alte Alphonso Davies aus Kanada zu Bayern München, mit Callum Hudson-Odoi (18) vom FC Chelsea steht ein weiterer Teenager in den Startlöchern.

Allgemein reißen sich die europäischen Topklubs derzeit eher wenig um den deutschen Nachwuchs. Die französischen Weltmeister um das 20-jährige Megatalent Kylian Mbappe, Englands aufstrebende Generation mit Dortmunds U17-Weltmeister Jadon Sancho (18) oder die Niederländer Matthijs de Ligt (19) und Frenkie de Jong (21), die Ajax Amsterdam wohl bald einen gewaltigen Geldsegen bescheren werden, sind die Objekte der Begierde. Auch Christian Pulisic gehört dazu. Gerade erst hat Chelsea 64 Millionen Euro für den US-Fußballer des Jahres von 2017 an den BVB bezahl

Und die Deutschen? Mit Jonathan Tah (22), Julian Brandt (22) und Youngster Kai Havertz (19) tummeln sich gleich mehrere Versprechen in die Zukunft im Kader von Bayer Leverkusen. Auch Leipzigs Timo Werner (22) weckt auf dem internationalen Markt Begehrlichkeiten. Doch dahinter klafft eine Lücke: Keiner der U21-Europameister von 2017 um Max Meyer, Finaltorschütze Mitchell Weiser oder Maximilian Philipp kam auch nur in die Nähe des WM-Kaders von 2018, wie DFB-Trainer Stefan Kuntz nach dem Aus in Russland im SID-Interview feststellte. Er sprach von "Alarmzeichen".

Auch für BVB-Sportdirektor Michael Zorc fällt eine Bestandsaufnahme der deutschen Nachwuchsarbeit negativ aus. "Im Moment kommen auf jeden Deutschen, ehrlich gesagt, zwei interessante Franzosen, zwei interessante Engländer und Spanier sowieso", beschrieb Zorc seine Wahrnehmung der Schwierigkeiten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Hier müssen alle wieder verstärkt ansetzen. Das ist ein Problem, das den deutschen Fußball in den kommenden Jahren beschäftigen wird."

Weshalb will zum Beispiel Bayern München einen Hudson-Odoi mit aller Macht verpflichten, statt auf die eigenen Talente zu vertrauen? "Ich weiß nicht, ob die jungen englischen Spieler besser sind als die deutschen", sagte Sancho im Trainingslager des BVB in Marbella: "Ich weiß nur, dass sie sehr hart für ihre Chance arbeiten. Wir alle wollen unseren Familien helfen und zu Spielern werden, auf die sie stolz sein können." Seinem engen Freund Hudson-Odoi empfahl er einen Wechsel nach Deutschland.

Vielleicht liegt das Defizit im deutschen Nachwuchs auch in der Ausbildung. Norbert Elgert hat in der Schalker "Knappenschmiede" Weltklasse-Leute wie Manuel Neuer, Mesut Özil und Leroy Sane geformt. "Wir müssen mehr Entscheidungsfreude fördern. Wir brauchen Spieler, die sich mehr zu dribbeln trauen", sagte er Sport1. Bezeichnend: Wer gut dribble, werde zum "Fummelkopp" gestempelt. Es fehle eklatant an mentaler Stärke. Die Alarmglocken sind nicht zu überhören.

(sef/sid)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort