Der deutsche Frauenfußball nach der WM Bundestrainerin Voss-Tecklenburg wird zur Entwicklungshelferin

Dortmund · Der deutsche Frauenfußball sucht Anschluss an die Weltspitze. Dort rangieren die USA und ihr Superstar Megan Rapinoe. Sie weisen das auf, was der DFB zeitnah nachholen muss: breite Akzeptanz, große Relevanz, hohe Professionalisierung.

 Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg.

Foto: AFP/LOIC VENANCE

Megan Rapinoe mag Donald Trump nicht. Das hat sie der ganzen Welt mitgeteilt. Es ist eine Tradition in den USA, dass der amtierende Präsident erfolgreiche Sportler ins Weiße Haus einlädt. Und Rapinoe ist eine sehr erfolgreiche Sportlerin in einem sehr erfolgreichen Team. Doch auch nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft verspürt die Anführerin, die auch noch zur besten Akteurin des Turniers und erfolgreichsten Torschützin avisierte, keine große Lust auf ein Treffen. Sie lehne die Politik seiner Regierung ab, Menschen wie sie, würden von Trump systematisch ausgegrenzt. „Sie schließen mich aus, Sie schließen Menschen aus, die wie ich aussehen“, sagte die 34-Jährige, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzt, in einem TV-Interview. „Sie schließen auch People of Color aus.“ People of Color ist eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen.

Rapinoe ist zu dem Gesicht des Frauenfußballs geworden. Das liegt nicht nur daran, dass sie sich mit Trump anlegt. Sie setzt sich für „Equal Pay“, die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern ein. In den USA gibt es bereits eine Sammelklage von Spielerinnen gegen den nationalen Verband. Ziel: Frauen und Männer sollen gleiche Prämien bekommen. Die Erfolgsaussichten für die Fußballerinnen stehen nicht schlecht. In den USA formiert sich immer mehr der Widerstand gegen ungerechte Gehälter. Der Sportartikelhersteller „Nike“ unterstützt die Kampagne mit Spots und drängt zu einem Umdenken. In den USA hat Frauenfußball einen deutlich höheren gesellschaftlichen Stand, weil dort Mädchen viel selbstverständlicher Zugang zum Spiel haben, als in vielen europäischen Ländern.

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Foto: REUTERS/ANDREW KELLY

„Wenn im Sportunterricht früher aufgeteilt wurde zwischen Turnen und Fußball, habe ich mich immer beim Fußball angestellt und bin dafür schief angesehen worden“, sagt Martina Voss-Tecklenburg. „Erst wenn es diese Blicke nicht mehr gibt, sind wir einen Schritt weiter.“ Voss-Tecklenburg ist Bundestrainerin der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Bei der WM in Frankreich lief es für ihr Team nicht ganz nach Plan. Im Vorfeld der Weltmeisterschaft wurde mächtig getrommelt. Ein Sponsor hatte ordentlich Alarm gemacht mit einer provokanter Kampagne, in der vorgeführt wurde, mit wie vielen Vorurteilen das Team noch immer zu kämpfen habe. Voss-Tecklenburg steht an diesem Tag in einem Konferenzraum des ehemaligen Westfalenstadions in Dortmund. Das IT-Unternehmen Adesso hat sie als Rednerin eingeladen. Die Computerspezialisten haben auch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen und finden zu wenige Frauen, die sich für einen Job in der Branche interessieren. „Frauennationalmannschaft – uns gibt es wirklich, was viele noch immer nicht wissen“, sagt Voss-Tecklenburg. Gelächter im Saal.

Voss-Tecklenburg ist nicht nur Entscheidungsträgerin im Deutschen-Fußball-Bund. Sie ist auch Motor einer Bewegung. Seit November ist sie erst für die Mannschaft verantwortlich. Sie ist zu einem Zeitpunkt gekommen, als die großen Erfolge schon etwas länger zurücklagen. Deutschland ist zwar acht Mal Europameister geworden, zuletzt aber 2013. Weltmeister 2003 und 2007. Olympiasieger 2016. Den Titel wird man allerdings nicht verteidigen können, denn die DFB-Auswahl konnte sich nicht für Olympia 2020 in Tokio qualifizieren. „Wir müssen uns in Deutschland von dem Gedanken verabschieden, dass andere Nationen nicht aufholen könnten. Viele Länder sind längst an uns vorbei gezogen. Nun müssen wir sehen, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen.“ Ihre Mannschaft befindet sich im Umbruch, Voss-Tecklenburg nominierte 15 Spielerinnen ohne WM-Erfahrung, die jüngste im Team war gerade einmal 17 Jahre.

Voss-Tecklenburg wird plötzlich selbst zu einer Entwicklungshelferin in einem Land, das über Jahrzehnte vorneweg marschierte. Doch der eigene Verband hat es versäumt, ins Produkt zu investieren. Die Bundesliga ist abgehängt worden, und damit fehlt vielen Spielerinnen eine Möglichkeit, sich auf höherem Niveau zu entwickeln. In England, Spanien und Italien wird derzeit enorm investiert. Adidas drängt Real Madrid dazu, endlich auch ein Frauenteam anzubieten, um sich moderner präsentieren zu können. „Wir müssen uns clever anstellen“, sagt Voss-Tecklenburg. „Viele Spielerinnen sind keine Profis. Die sollen bis zu sieben Mal in der Woche trainieren und müssen daneben noch ganz normal einen Job machen. Aber wir nehmen das an und gehen Schritt für Schritt auf unserem Weg.“

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Deutschland - Schweden: Bilder des Spiels

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Foto: AP/Alessandra Tarantino

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir „People of Color“ wörtlich mit „farbige Leute“ übersetzt. Im Deutschen ist „farbig“ jedoch als kolonialistischer Begriff negativ konnotiert. Deshalb haben wir die Formulierung überarbeitet.

(gic)
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