Analyse zur Frauen-WM Die Neid-Debatte ist eröffnet

Wolfsburg (RP). Nach dem überraschend frühen Ausscheiden der deutschen Mannschaft rückt auch die Bundestrainerin ins Zentrum der Kritik. Sie hat taktische und personelle Fehler gemacht. Die Mannschaft wurde den hohen Erwartungen überhaupt nicht gerecht.

Es kam, was immer kommt, wenn der Erfolg versagt geblieben ist. Die Suche nach dem Schuldigen. Natürlich war irgendwann auch Silvia Neid an der Reihe als ernstzunehmende Kandidatin. Die Bundestrainerin war während der WM immer um ein besonderes Wohlfühlklima bemüht. Kritische Töne wurden maximal zärtlich weggelächelt. Was sollte sie für eine Schuld treffen? "Mein Anteil ist offenbar, dass ich nicht den Ball nach vorne getragen habe und selbst ein Tor geschossen habe", antwortete sie.

Eine tiefgreifendere Fehleranalyse könne sie so schnell nicht treffen, sie werde darüber in "Ruhe nachdenken", ob sie sich etwas vorzuwerfen hätte. Die fachlichen Fehler der 47-Jährigen sind unübersehbar. Sie führten zum frühen Ausscheiden und nach Schwedens Viertelfinal-Erfolg sogar dazu, dass die Qualifikation für Olympia 2012 verpasst wurde.

Die Vorbereitung

Neid hatte 58 Tage Zeit, sich mit ihrem Team auf das Turnier vorzubereiten. Alle Testspiele wurden gewonnen, die Stimmung in der Gruppe sei bestens, hieß es. Doch spätestens seit dem 16. Juni wurde offensichtlich, dass vieles ganz und gar nicht harmonisch lief. Deutschland rumpelte sich im letzten Test gegen Norwegen zu einem 3:0.

Der Fall Prinz

Gut zwei Wochen vor dem Eröffnungsspiel hat Neid erstmals die Form ihrer Spielführerin Birgit Prinz als "noch deutlich verbesserungswürdig" bezeichnet und sanft angedeutet, keine Stammplatzgarantie zu geben. Prinz war von der Rolle. Erst nach dem zweiten WM-Spiel gegen Nigeria griff Neid durch. Zu spät, um die Offensive abzustimmen. Bei Prinz platzte der Knoten nicht, sie wurde für Neid zum Problemfall.

Die Taktik

Die Aufstellung blieb wechselnd und dadurch die taktische Ausrichtung schwammig. Trotz monatelanger Einübungszeit klappten selbst simpelste Spielzüge nicht, ein einstudiertes Passspiel war nicht erkennbar. Wenn das eine nicht klappte, fehlte ein schlüssiger Plan B. Dazu hatte Neid kein Glück bei ihren Auswechslungen. Nach der Verletzung von Kim Kulig (Kreuzbandriss) im Japan-Spiel schob sie Linda Bresonik ins Mittelfeld, traute ihr aber dann doch nicht die Regie zu. Neid tauschte erneut (Goeßling für Bresonik), ohne dadurch deutliche Leistungssteigerung zu erzielen. Statt die erschöpfte Celia Okoyino da Mbabi rauszunehmen, entschied sie sich für Inka Grings und brachte dafür die unerfahrene, noch nicht sonderlich gefestigte Alexandra Popp. Tatsächlich hätte aber auch eine Veränderung auf den Außen gut getan – doch da hatte Neid ihr Wechselkontingent schon aufgebraucht. "Ich hatte vielleicht eine Option zu wenig", sagte sie.

Das Personal

Gleich auf verschiedenen Positionen ließ Neid ihre Spielerinnen im Unklaren, wer erste Wahl ist. Sie wollte den Konkurrenzkampf anfeuern, sorgte aber für Verunsicherung. Dazu brachte sie unnötig Spannung in das Kollektiv, indem sie gesetzte und in der Mannschaft hoch angesehene Spielerinnen wie Inka Grings zunächst draußen ließ. Auch die technisch mit allem Fähigkeiten ausgestattete Lira Bajramaj wurde von ihr kaum berücksichtigt. Besondere Momente im Spiel der Deutschen blieben so weitestgehend aus.

Der Druck

Diese WM sollte vor allem eine große Werbung für den Frauenfußball werden – verbunden mit der Hoffnung auf den dritten Titelgewinn für die DFB-Auswahl hintereinander. Neids Spielerinnen sollten nicht nur als Sportlerinnen funktionieren, sondern auch brav bei der Vermarktung des Produkts ihren Beitrag leisten. Schließlich wirkten einige mental ausgelaugt. "Wir haben den Druck gespürt", sagte Neid. "Wir waren manchmal gehemmt. Das ist so." Sie selbst fand kein Rezept zur Linderung des Problems. Neid war bislang vom Erfolg geradezu verwöhnt. Im Sommer 2005 übernahm sie das deutsche Team und verlor seitdem kein Spiel bei einer WM oder EM – 2007 wurde sie in China mit Deutschland Weltmeisterin, zwei Jahre später in Finnland Europameisterin.

Der DFB

Überraschend früh hat sich der Deutsche Fußball-Bund den ohnehin noch bis Ende 2012 laufenden Arbeitsvertrag mit Neid bis 2016 verlängert. DFB-Chef Zwanziger wollte keine öffentliche Diskussion um sein Führungspersonal. Er ging in die Offensive und machte keine glückliche Figur. Denn Neid ist mit ihrer Mission Titelverteidigung grandios gescheitert.

(RP)
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