Frauen-Fußball Nadine Angerer: die Rebellin

Düsseldorf · Fußball-Nationaltorhüterin Nadine Angerer passt auf keinen Fall ins Schema des pflegeleichten Profis.

Nadine Angerer: Weltfußballerin, Weltenbummlerin, Hutträgerin
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Das ist Nadine Angerer

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Das Telefon klingelt. Das Telefon klingelt sehr lange. Nadine Angerer ignoriert es. Nach einer langen Nacht hängt sie noch in den Seilen. Der Anrufer ist allerdings hartnäckiger als gedacht. Nach einer ganzen Weile erbarmt sie sich dann doch und geht ran. Am anderen Ende der Leitung ist Silvia Neid, zu diesem Zeitpunkt noch Assistentin von Bundestrainerin Tina Theune. "Sag mal, Natze, wo bist du?" Kurze Pause. "Wo soll ich sein? In meiner Wohnung in München."

Wieder kurze Pause. Das Telefon wird hektisch weitergereicht. Die Bundestrainerin ist am Apparat. Die ist wenig amüsiert und sagt, dass man Stunden auf Angerer gewartet habe beim Länderspiel in Dessau. Sie bräuchte jetzt aber nicht mehr nachzukommen. Ob sie denn ihre Post nicht aufgemacht habe? Post? Angerer sieht hektisch einen Stapel ungeöffneter Briefe durch. Darunter ist auch einer mit Absender Deutscher Fußball-Bund.

In ihrer Biografie "Im richtigen Moment. Meine Story" (Edel Books) gibt es viele Situationen wie diese. Man fragt sich dann, wie konnte das alles gutgehen? Wie ist aus ihr die beste Torhüterin der Welt geworden? Angerer ist mittlerweile 36 Jahre alt. Sie ist noch immer die Nummer eins im deutschen Nationalteam. Derzeit beim Algarve-Cup an der portugiesischen Küste im Einsatz. Damit war nicht unbedingt zu rechnen.

Ein paar Mal ist sie von Vorgesetzten angezählt worden. Auch von Silvia Neid, die später Theune als Bundestrainerin ablöste. "Entweder", sagte Neid zu ihr, "du nimmst deinen Sport jetzt ernst und wirst die beste Torhüterin der Welt - oder du fliegst raus." Sie hat sich für die ehrgeizige Variante entschieden. Vom Weltverband Fifa bekam sie das auch schriftlich - 2013 wurde sie zur Weltfußballerin des Jahres gekürt, als erste Torfrau überhaupt. Die Krönung einer Laufbahn, zu deren Höhepunkten der WM-Titel 2007 in China zählt - ohne einen einzigen Gegentreffer. Aber es gibt dann auch diese unendlichen Tiefen. Wie 2011. Bei der WM in Deutschland patzte sie ein paar Mal, Deutschland schied bereits im Viertelfinale gegen Japan aus. "Ich habe mir einfach zu viel Druck gemacht und großen Mist gespielt." So einfach können manchmal Analysen eines ganzen Turniers ausfallen.

Die Geschichte von Nadine Angerer ist die Geschichte einer Rebellin. Sie ist die letzte Rock'n'Rollerin der Branche. "Ist schon besungen worden, was für ein offener, unkonventioneller und interessanter Mensch sie ist? Diese unwiderstehliche Mischung aus Rebell und Star, jener eigensinnige Kopf, der in kein Schema passt, unberechenbar und ein bisschen gefährlich", schreibt die Sängerin und Schauspielerin Jasmin Tabatabai im Vorwort. "Ein Typ in der Tradition von George Best, Günter Netzer oder vielleicht Paul Breitner." Eine Frau, "mit der man sich vorstellen kann, eine Weltreise zu machen". Man wünscht sich, so von einem guten Freund beschrieben zu werden.

Angerer, geboren in Lohr am Main, ist auf einer langen Reise. Sie hat nie den geraden Weg genommen. Bei Bayern München (2001-2007) hat sie lange gespielt, ist dann zu Turbine Potsdam gewechselt. Wieder so eine typische Geschichte, in der zunächst schiefgelaufen ist, was schieflaufen konnte. Auf der Autofahrt von München nach Berlin ist ihr plötzlich ein nicht ganz unwichtiges Detail aufgefallen. Sie hatte in der Hauptstadt noch keine Wohnung angemietet, dafür aber in einem Anhänger ihren Hausstand. "Erst einmal bin ich bei einer Kollegin unterkommen, nach zwei Tagen habe ich was Eigenes gefunden - mit Einschusslöchern in den Wänden, aber okay."

Nach kurzen Gastspielen in Frankfurt und Schweden spielte sie erst in Australien für Brisbane Roar und jetzt in den USA bei den Portland Thorns FC. Sie hatte bessere Angebote, unter anderem aus Moskau. Aber ein Wechsel nach Russland kam für sie nie in Frage. "Seit dem Anti-Homosexuellen-Gesetz in Russland wäre das ohnehin kein Ort für mich, kein Land, in dem ich leben will", schreibt sie in ihrer Biografie.

Ende 2010 hat sie sich als homosexuell geoutet. "Für mich ist das kein wichtiges Thema", sagt sie allerdings. "Für andere offenbar schon. Ich habe kein Problem darüber zu reden. Ich bin offen für das Glück."

(RP)
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