EM-Qualifikation gegen Weißrussland Fehlen von Löw soll kein Alibi für DFB-Elf sein

Minsk · Siegen für Jogi, heißt das DFB-Motto in Weißrussland. Vorm TV-Gerät soll Löw spüren, dass er sich auf seine „guten Jungs“ verlassen kann. Den Job in der Coaching-Zone muss Marcus Sorg erledigen.

Marcus Sorg betreut die DFB-Elf in Weißrussland.

Marcus Sorg betreut die DFB-Elf in Weißrussland.

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Am Abend vor seinem großen Chef-Debüt war Marcus Sorg noch kein erhöhter Puls anzumerken. „Meine Gemütslage ist im grünen Bereich“, berichtete der Assistent von Joachim Löw am Freitagabend nach der Ankunft der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Minsk. Bei Taktik und Aufstellung hat Bundestrainer Löw zwar auch in Abwesenheit „das letzte Wort“, wie Sorg nochmals betonte. Doch am Ende muss Sorg das verjüngte deutsche Team zum fest eingeplanten Pflichtsieg in der EM-Qualifikation gegen Weißrussland coachen.

„Es kam sehr viel Arbeit auf mich zu“, sagte Sorg zur persönlich veränderten Situation in dieser Woche. Millionen deutsche Fußballfans werden am Samstagabend (20.45 Uhr/RTL) vor den TV-Geräten genau beobachten, wie der 53-Jährige den Jogi-Job bei der Chef-Premiere in der nur 13 000 Zuschauer fassenden Arena von BATE Borissow bewältigt.

Sorgs Anspannung wird bis zum Anpfiff zunehmen, auch wenn er das Team um Kapitän Manuel Neuer bestens vorbereitet sieht. „Die endgültige Wahrheit wird man erst beim Spiel erkennen“, sagte Sorg. „Natürlich ist es speziell und ungewohnt, wenn der Cheftrainer nicht dabei ist.“

Im ständigen telefonischen Austausch mit Löw hat Sorg seine 22 Spieler im Trainingslager in Venlo vorbereitet. Auch am Freitag trainierte der DFB-Kader noch in den Niederlanden. Erst danach ging es mit dem Charterflieger von Düsseldorf nach Minsk. „Wir fühlen uns gewappnet“, berichtete Bayern-Profi Leon Goretzka nach der Ankunft. In der Hauptstadt logiert der DFB-Tross, lediglich zum Spiel geht es am Samstag mit dem Bus ins über 100 Kilometer entfernte Borissow.

Sorg strahlt Ruhe und Souveränität aus, als großer Zampano spielt sich der Zwei-Spiele-Chef nicht auf. „Ich habe ihn erlebt wie immer“, berichtete Abwehrspieler Thilo Kehrer: „Ich merke keine größere Anspannung bei ihm. Aber ich merke, dass er hochmotiviert ist, die zwei Spiele mit uns erfolgreich zu bestreiten.“ Sorg will unbedingt liefern. „Ich bin absolut davon überzeugt, dass wir es zur maximalen Zufriedenheit des Bundestrainers hinkriegen.“ Maximal heißt in diesem Fall, zum Saisonabschluss die von Löw geforderten „sechs Punkte“ gegen die Außenseiter Weißrussland und Estland zu buchen.

Das erstmalige Fehlen Löws bei einem Länderspiel in dessen 15 DFB-Jahren soll kein Alibi für ein mögliches Versagen der Mannschaft sein. Es soll vielmehr als zusätzliche Motivation dienen, wie Kapitän Neuer sagte. Löw, der sich nach einem Krankenhausaufenthalt weiterhin schonen muss, soll laut Neuer als Fernsehzuschauer spüren: „Hey, ich kann mich auf die Spieler verlassen, das sind gute Jungs und super Typen, die holen sechs Punkte für mich!“

Der Spielort ist für Sorgs Premiere ein gutes Omen. „Ich hatte 2013 mein erstes Pflichtspiel für den DFB in Borissow mit der U19.“ Beim 2:1 gegen den weißrussischen Nachwuchs erzielte der heutige Bayern-Profi Serge Gnabry das 2:0, der Neu-Dortmunder Julian Brandt und der Berliner Niklas Stark spielten im Oktober 2013 ebenfalls mit. Wenige Monate später wurde das Trio ebenso wie Joshua Kimmich mit Sorg U19-Europameister.

Jetzt kehrt Sorg mit den Jungs von damals zurück nach Borissow. Vom EM-Titel 2020 ist das stark verjüngte A-Team um Kimmich und Gnabry freilich noch weit entfernt. In Weißrussland soll nach dem famosen 3:2 in Holland zum Quali-Start der nächste Schritt zur EM-Endrunde gemacht werden. Von einer Reifeprüfung spricht DFB-Direktor Oliver Bierhoff: „Der Umbruch hat sich vollzogen. Solche Spiele helfen, Charakter und Qualität zu zeigen und zu reifen.“

Die international drittklassigen und überalterten Weißrussen sind mit Auswärtsniederlagen gegen die Niederlande (0:4) und Nordirland (1:2) in die Gruppe C gestartet. „Wir werden mit Sicherheit eins nicht tun, sie zu unterschätzen“, sagte Sorg zum Gegner. Sorg setzt auf hohes Tempo, Dynamik und Effektivität. „Wir müssen es schaffen, über eine gute Raumaufteilung den Gegner so unter Druck zu setzen, dass er Fehler macht und wir zu Torchancen kommen“, sagte er. „Wir wollen den Gegner müde machen“, verriet Goretzka zur Marschroute.

Die taktische und personelle Ausrichtung werden Sorg und Supervisor Löw in einem Abschlusstelefonat festlegen. Die pfeilschnellen Spitzen Leroy Sané, Marco Reus und Serge Gnabry sollen die generische Abwehr aufmischen. Im Mittelfeld dürfte der ballsichere Ilkay Gündogan die Taktgeber-Rolle des fehlenden Spielgestalters Toni Kroos übernehmen.

Sorg sprach von einem Charaktertest für seine Spieler vor dem verdienten Sommerurlaub. Julian Draxler, der sein 50. Länderspiel bestreiten könnte, glaubt an eine gute Chef-Premiere von Sorg: „Der Marcus bringt auch das nötige Fußball-Fachwissen mit. Deswegen haben wir genauso Vertrauen in ihn, wie wir es sonst in Jogi haben. Wie er zur Mannschaft spricht und alles, was er macht - das passt!“

(lt/dpa)
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