Frank Schaefer über das Fortuna-NLZ Die Angst vor einer verlorenen Fußball-Generation

Analyse | Düsseldorf · Es ist um den deutschen Fußball-Nachwuchs nicht besonders gut bestellt. Die sportlichen Ergebnisse waren ernüchternd. Nur wenige Talente schaffen den Sprung in den Profibereich. Warum ist das so? Und was macht ein Zweitligist wie Fortuna, um den Trend zu stoppen? Eine Spurensuche.

 Uwe Rösler (li.) und Frank Schaefer

Uwe Rösler (li.) und Frank Schaefer

Foto: Frederic Scheidemann

In diesen Tagen geht es mal wieder um die Zukunft des deutschen Fußballs. Nicht mehr, nicht weniger. Und weil das so ist, sind die obersten Gelehrten des Landes natürlich ganz pflichtschuldig aufgeregt um eine Einordnung der Lage bemüht. Als erster ist Stefan Kuntz aus der Deckung gekommen. Er ist als Trainer der deutschen U21-Nationalmannschaft so etwas wie der Chef-Lobbyist des Nachwuchses hierzulande.

Wenn man in Europas Topligen vergleiche, wie viele für die U21 spielberechtigte Profis zum Einsatz kämen, „sind wir komplett im Hintertreffen“, sagte der 58-Jährige. „Wir sind so was von abgeschlagen!“ Für die beunruhigende Lage gebe es auch das folgende Indiz: „Als ich 2017 zur Europameisterschaft der U21 gefahren bin, habe ich mich mit Jogi Löw abstimmen müssen, und letztlich sind zehn oder zwölf Spieler, die noch U21 hätten spielen können, zum Confed Cup gefahren oder waren verletzt“, berichtet Kuntz im Podcast „Kicker meets Dazn“.

Das sei bei der U21-EM 2019 nur noch bei zwei Spielern der Fall gewesen: Lukas Klostermann und Jonathan Tah. „Und jetzt aktuell ist es gar nicht mehr der Fall. Aus diesem Grund unterhalten sich der Jogi und ich nicht mehr, weil die Masse an Toptalenten nicht da ist“, unterstrich Kuntz.

Die Durchlässigkeit in der Ausbildung ist nicht mehr gegeben. Nur 2,7 Prozent aus dem U21-Bereich kommen aktuell in der Bundesliga zum Einsatz. Die Nachwuchs-Auswahl des DFB in der Altersstufe hat sich überhaupt nur für die EM qualifiziert, weil Belgien gestrauchelt ist, gegen das man selbst zwei Mal verloren hatte. „Die U17 und U19 haben sich zuletzt gar nicht mehr qualifiziert oder sind frühzeitig ausgeschieden. Die Ursachen sind sicher vielfältig“, sagt Frank Schaefer, Direktor des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) von Fortuna Düsseldorf. „Verbände, der DFB und die Vereine sind alle gefordert, ihre Strukturen und Herangehensweisen zu überdenken. „Sicher ist aber: Wir müssen das deutsche System überdenken. Alles muss auf den Prüfstand. Länder wie Spanien, England oder Italien liegen in ihrer Entwicklung inzwischen weit vor uns. Es besteht die Gefahr, schneller abgehängt zu werden, als wir denken.“

Schaefer kennt das Geschäft von der Pike auf. Er hat von der U9 bis zu den Profis alle Stationen durchlaufen. Nach 26 Partien als Bundesliga-Trainer des 1. FC Köln hat er sich die Frage gestellt, was nun noch kommen sollte. „Macht es Sinn, als Trainer durch die 3. Liga zu tingeln und sich von Vertrag zu Vertrag zu hangeln oder ist es nicht viel wertvoller, als Lehrer in einem NLZ sein Wissen weitergeben zu können?“ Er hat sich für letztere Variante entschieden. „Viele haben diesen Schritt nicht verstanden und als Rückschritt interpretiert“, sagt Schaefer. „Ich empfinde das überhaupt nicht so. Im Gegenteil. Ich fühle mich in meiner Aufgabe mehr als Trainer denn als Funktionär. Wir entwickeln gemeinsam eine Philosophie, es gibt einen engen Austausch mit dem Profibereich. Mir macht es unheimlich viel Spaß, mit gestalten zu dürfen.“

Als der deutsche Fußball das letzte Mal so richtig am Boden lag, also in den Zeiten des berühmten Rumpel-Fußballs Anfang des Jahrtausends, verständigte man sich beim DFB auf eine Professionalisierung der Nachwuchsarbeit. Deshalb wurden die Vereine im Rahmen der Lizenzierungsverfahren sukzessive dazu verpflichtet, Nachwuchsleistungszentren aufzubauen. „Das war das Beste, was passieren konnte“, sagt Schaefer. „So haben wir die Chance bekommen, etwas Eigenes aufzubauen und dementsprechend professionelle Strukturen zu schaffen.“

Fortuna sei in einem permanenten Aufholmodus. Der Verein aus der Landeshauptstadt hatte sein NLZ erst 2009 eröffnet, im vergangenen Jahr ist man in einen Neubau am Flinger Broich gezogen. Andere Klubs waren allerdings schon 2002 mit Angeboten auf dem Markt. „Erstmal muss man sagen, dass ein NLZ quasi eine Organisation in einer Organisation ist. Wir sind mit Hauptamtlern, Ehrenamtlern und Spielern knapp 300 Personen und damit die größte Abteilung, die es bei Fortuna Düsseldorf gibt“, beschreibt der 57-Jährige. „Es war zwingend erforderlich, diesen Anforderungen durch eine zeitgemäße Struktur zu begegnen.“

Fortuna ist mittlerweile wieder zu einer guten Adresse im westdeutschen Fußball geworden. Zuvor war man mehr eine Selbstbedienungstheke für die Konkurrenz aus dem direkten Umfeld. Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengladbach, 1. FC Köln Schalke 04 – die größeren Klubs haben recht ungeniert gewildert und die besten Talente abgeworben. Den Trend konnte Fortuna mehr und mehr stoppen. Shinta Appelkamp, der im NLZ ausgebildet wurde, ist der direkte Sprung in den Profibereich geglückt. Jamil Siebert ist ein weiteres Talent, dem man Chancen attestiert. Auch Dennis Gorka und Nikell Toglou haben letztes Jahr Lizenzspielerverträge in Düsseldorf unterschrieben.

„Natürlich ist das eine erfreuliche Entwicklung“, sagt Schaefer. „Aber es wird nicht die Realität sein, dass uns das jedes Jahr gelingt. Wir sind auf einem guten Weg, die Quote deutlich zu erhöhen. Unsere Zielsetzung ist natürlich, immer wieder interessante Spieler dem Profibereich anzubieten.“

Doch Schaefer warnt auch vor einer fatalen Entwicklung. Denn auch in der NLZ-Szene gehöre es immer mehr zum guten Ton, mit harten Bandagen um die Top-Talente zu kämpfen. „Ich persönlich glaube, dass die permanenten Abwerbeversuche zwischen den Nachwuchsleistungszentren eine der Hauptursachen für die negative Entwicklung sind. Die Vereine überbieten sich darin, den Spielern in der Anwerbephase etwas vorzumachen, was nicht der Realität entspricht, ihnen vorzugaukeln, was sie niemals einhalten können. Dadurch kommt es zu einer falschen Selbsteinschätzung. Die Jungs denken, sie seien schon weiter, als sie eigentlich sind“, sagt er. „Es hat sich zu einem Haifischbecken entwickelt, in dem sich sogar die großen deutschen Top-Klubs mit viel Geld gegenseitig Spieler abjagen. Da gibt es ganz neue Dimensionen im Bereich Spielergehälter, Transfersummen und Ausbildungsentschädigungen.“

Schaefer ist sich auch der Vorurteile gegenüber dem Konstrukt NLZ bewusst. Unter dem Dach, heißt es von Kritikern, sei es nur schwer möglich, individuelle Entwicklungen zuzulassen. Also Einheitsbrei statt echte Typen. „In der Tat ist das eine gewisse Gefahr“, sagt Schaefer. „Es geht am Ende aber auch darum, seine Individualität und Flexibilität optimal und sinnvoll in seine Positionsaufgabe einzubringen und in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Es ist ein Spagat, der nicht immer gelingt, aber immer das Ziel bleiben muss. Er gelingt nicht immer, aber immer öfter.“

Durch Corona gibt es aktuell aber ganz andere Probleme und Herausforderungen. Die U19 und U17 haben jeweils seit März erst vier Pflichtspiele gemacht. „Und es ist nicht absehbar, wann es wieder weitergeht. Wochen und Monate ohne geregeltes Training sind für die Entwicklung natürlich eine Katastrophe“, sagt Schaefer. „Verlorene Generation ist natürlich ein großer Begriff, aber irgendwann wird der Punkt überschritten sein, wo man das bestreiten könnte. Es ist schon extrem tragisch, weil man dabei zusieht, wie große Talente derart ausgebremst werden ohne echte Perspektive. Wir versuchen uns, so gut es geht, dagegenzustemmen. Cyber-Training, Mental-Coaching, individuelle Trainingspläne – mit der U19 haben wir uns die Dokumentation über Michael Jordan angesehen. Wir investieren wirklich viel, um die Jungs bei Laune zu halten. Aber das alles kann natürlich nicht ersetzen, gemeinsam auf dem Rasen zu stehen. Aber natürlich ist uns auch klar, dass die Krise auch viele andere Bereiche betrifft, noch größere Dimensionen hat. Wir müssen am Ende aber alles dafür tun, dass die Entwicklung der jungen Fußballer nicht auf der Strecke bleibt. Wir müssen aufpassen, niemanden zu vergessen.“

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