Deutsch-deutsches Duell 1973, letzter Teil So durchkreuzten Fortunas Fans die Erwartungen der Stasi

Serie | Leipzig/Düsseldorf · Die Staatssicherheit hatte schwierige deutsch-deutsche Politik erwartet – doch es kamen feiernde Fortuna-Fans und Verwandtenbesucher. Wie und warum sich die DDR-Agenten dennoch feierten, verrät der letzte Teil unserer Serie über das Uefa-Pokalspiel der Düsseldorfer bei Lok Leipzig 1973.

Fortuna Düsseldorf - Das deutsch-deutsche Europapokal-Duell mit Lok Leipzig 1973 in Bildern
33 Bilder

Fortunas deutsch-deutsches Europapokal-Duell

33 Bilder
Foto: Horstmueller/HORSTMUELLER GmbH

Fast 5000 Einsatzkräfte sicherten beim Uefa-Pokal-Rückspiel am 12. Dezember 1973 zwischen Lok Leipzig und Fortuna Stadt und Stadion. Das belegen die 1001 Dokumentenseiten, die die Dienststelle Leipzig des Stasi-Unterlagen-Archivs unserer Redaktion in Kopie zur Verfügung stellte. Doch die vermutete „politische Mission“ der Fortuna-Fans entpuppte sich als „heiße Luft“.

Zahlreiche – offenbar die Mehrheit der per Zug, Bus oder Flugzeug aus Düsseldorf und ganz Westdeutschland nach Leipzig angereisten – Touristen interessierten sich gar nicht für Fußball. Vermutlich ging nur ein Bruchteil der Westdeutschen ins Zentralstadion. Laut der Erinnerung des damals 18-jährigen F95-Fans Ulli Becker blieben rund 300 bis 400 der Begegnung fern. Die Austragung der Partie bot ihnen lediglich einen willkommenen Anlass, „verdachtsfrei“ nach Leipzig zu reisen, um Verwandte und Bekannte zu treffen.

Einige der von den offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gemeldeten „Vorfälle“ stellen aus heutiger Sicht keine dar, die für ein Fortuna-Auswärtsspiel in den 1970er-Jahren (oder auch heute) besonders außergewöhnlich sind: sehr viel Alkohol sowie Anhänger, die die Abfahrt verpassen oder Taschen und Papiere verlieren.

Auch die „Fürsorge“ der Einsatzkräfte, dass wirklich alle Auswärtsfans wieder die Stadt verlassen, findet sich bei jedem heutigen Fußballspiel. Die „Souvenirjagd“ war wohl vor allem auf Europacupspiele in Ostblockstaaten beschränkt, in denen vermeintliche (hier Technik-)Schnäppchen wie preisgünstige Fotoapparate zu haben waren. Der Alkohol und die Abenteuerlust der Fortuna-Fans ließ sie oft genug ihren MfS-Aufpassern entwischen. Viele der aus Düsseldorf angereisten Fußballanhänger hatten kein Interesse am Programm mit Mittagessen an der Messe und Stadtrundfahrt. Es zog sie in die Gaststätten der Innenstadt, vor allem in den berühmten „Auerbachs Keller“.

Fortuna Düsseldorf: Die Marktwerte der Zweitliga-Profis
55 Bilder

Das sind die Marktwerte der Fortuna-Profis

55 Bilder
Foto: Moritz Mueller

Außergewöhnlich war die staatlich gelenkte Kontaktaufnahme zu Gästefans, um zu diesen Kontakt zu halten. Die MfS-Mitarbeiter sollten sie über ihren Staat aushorchen, sie auf diese Weise zu unfreiwilligen Kollaborateuren des DDR-Systems machen.

Die Akten zeigen auch, dass sich die Beobachtung der Stasi im Rückspiel auf eigene Bürger erstreckte. Hier galt es, eine Kontaktaufnahme mit westdeutschen Fans und in letzter Konsequenz eine Flucht zu verhindern. Nicht das erste Mal, dass die eigenen Bürger rund um den innerdeutschen Sport-Vergleich ins Visier genommen wurden. So finden sich in den vorliegenden Dokumenten mindestens neun Hinweise auf Briefe an Düsseldorfer Offizielle im Mannschaftshotel, offenbar mit der Bitte um Autogramme und Souvenirs. Das duldete die Stasi nicht: „Der Originalbrief wurden an den Absender mit der Begründung zurückgesandt, daß der Brief wegen zu spätem Eintreffen nicht zustellbar war.“

Das Funktionsteam (Trainer, Analysten, Scouts, Vorstand) bei Fortuna
38 Bilder

Fortunas Team hinter dem Team

38 Bilder
Foto: dpa/Bernd Thissen

Wenig überraschend findet sich in den vorliegenden Anschlussberichten des MfS-Einsatzleiters, der Volkspolizei und der Stasi-Bezirksverwaltung Leipzig kaum Selbstkritik: Das Einsatzkonzept habe sich bewährt. Es habe keine Störaktionen und Provokationen gegeben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten hohe Disziplin und Einsatzbereitschaft gezeigt. Lob findet sich für den „organisierten Kartenverkauf“ („Jede einzelne private Bestellung wurde überprüft.“) und die Überwachung der eigenen Staatsangehörigen mit nur wenigen Kontakten zwischen DDR- und BRD-Bürgern.

Ein Fortuna-Spieler sei bei seiner Verabredung mit Bekannten aus Crimmitschau überwacht worden. Die 38 westdeutschen Journalisten seien nicht durch Provokationen aufgefallen. Die wenigen „BRD-freundlichen“ Transparente seien zu großen Teilen abgewehrt worden. Die „allseitige und ununterbrochene politisch-ideologische Arbeit“ sei sichergestellt gewesen. Die Polizei berichtet von 43 „Zuführungen“ (Festnahmen).

Fortuna Düsseldorf: Fortunas Scorerliste 2021/22
26 Bilder

Fortunas Scorerliste 2021/22

26 Bilder
Foto: dpa/Roland Weihrauch

Fazit: Die getroffenen Vorbereitungshandlungen seien „zweckmäßig und wirksam“ gewesen. Es seien keine Mängel und Schwächen in der Vorbereitung im eigenen Verantwortungsbereich sichtbar. Aus Kapazitätsgründen (Abberufungen zum unmittelbaren Sicherungseinsatz) waren keine Treffen mit den IMs rund um das Spiel möglich. Doch hatte sich der immense Aufwand wirklich gelohnt?

Ende unserer Serie. Hier geht es zu den ersten Teilen:

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort