Vor 90 Jahren Als Fortunas Geburtshilfe für Schalke fast zur Katastrophe wurde

Gelsenkirchen · Schalke gegen Fortuna – das ist nicht nur Vorfreude auf zwei heiße Zweitligaduelle in der kommenden Saison. Das ist auch Fußballgeschichte pur. Heute erinnern wir an ein besonderes Freundschaftsspiel der beiden vor genau 90 Jahren, das in einer Katastrophe hätte enden können.

 Ein Dokument aus dem Fortuna-Archiv: die total überfüllte Glückauf-Kampfbahn am 1. Juni 1931.

Ein Dokument aus dem Fortuna-Archiv: die total überfüllte Glückauf-Kampfbahn am 1. Juni 1931.

Foto: Fortuna

In der neuen Saison gibt es ein Wiedersehen zwischen Fortuna und dem FC Schalke 04. Der Abstieg der Königsblauen macht es möglich, dass die beiden alten Westrivalen in der 2. Bundesliga wieder um Punkte gegeneinander spielen. Es werden die Pflichtduelle Nummer 58 und 59 nach dem Zweiten Weltkrieg, sofern der DFB-Pokal die beiden nicht noch einmal zusammenführen sollte. Doch trotz dieser Masse war es ein Freundschaftsspiel zwischen Fortuna und Schalke, dass vor neun Jahrzehnten Fußballgeschichte schrieb.

Im August 1930 überschlugen sich die Ereignisse im Fußballwesten. Der Westdeutsche Spielverband (WSV) fühlte sich in seinen Statuten hintergangen und statuierte am FC Schalke 04 ein Exempel im Form eines Spielverbotes für annähernd den gesamten Kader. Erst am 1. Juni 1931, also vor genau 90 Jahren, hatte der Spuk ein Ende. Fortuna durfte Hebamme bei der Wiedergeburt der Schalker sein. Die Begleitumstände hätten, bereits 54 Jahre vor dem Drama von Heysel, zu einer Katastrophe führen können.

Fußball war offiziell 1930 ein reiner Amateursport. Es durften nur festgesetzte Aufwandsentschädigungen an die Aktiven gezahlt werden. Zu wenig für die Großen der Szene, denn deren Begehrlichkeit weckte auch damals schon das Verlangen nach entsprechender Entlohnung. Schalke 04 sah sich „gezwungen“, unerlaubte Handgelder an seine Stars zu zahlen. Die Schalker Idole wie Fritz Szepan, Ernst Kuzorra oder Otto Tibulsky kennt auch heute noch jeder in Gelsenkirchen. Ballvirtuosen, die ihren Preis hatten.

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Foto: Horstmüller

Der Urteilsspruch des Verbandes war ein Paukenschlag. 14 Spieler wurden zu Berufsspielern erklärt und damit für den Spielbetrieb gesperrt. Zudem traf auch zahlreiche Schalker Offizielle der Zorn der Obrigkeiten. Zur ganzen Wahrheit gehörte freilich, dass nicht nur Schalke die Statuten umging. Viele andere Vereine, so auch die Fortuna, suchten Mittel und Wege, ihre Stars finanziell bei Laune zu halten.

Nationalspieler Georg Hochgesang wechselte aus beruflichen Gründen in die Rheinmetropole. Sein neuer Job war die Geschäftsführung der Schlosserei Albrecht. Der Firmenchef war zufälligerweise der Vater von Fortunas Nationalspieler Ernst Albrecht. Mittelstürmer August Götzinger soll ein Handgeld von 500 Reichsmark erhalten haben, um ihm den Wechsel zur Fortuna schmackhaft zu machen. Und auch der heutige Hauptsponsor Henkel beschäftigte den einen oder anderen Fortuna-Spieler. Wie sich ein fußballerisch begabter Schlosser als Dekorateur machte, kann sich jeder selber ausmalen.

Schalke jedoch fiel auf – und so musste der Klub nach diesem Urteilsspruch die Saison 1930/31 mit der zweiten Mannschaft bestreiten –und entging nur knapp dem Abstieg in die Zweitklassigkeit.

 Die Verbandssperre wurde zum 1. Juni 1931 aufgehoben, und die Schalker wollten keine Zeit verlieren. Als Gegner lud man sich die seinerzeit beste westdeutsche Mannschaft ein: Fortuna Düsseldorf, den amtierenden Westdeutschen Meister. Und von wegen Freundschaftsspiel: Mehr als 300 Sportredaktionen aus ganz Deutschland hatten Pressekarten angefordert, obwohl das Spiel an einem Montagabend stattfand. Bereits mittags zogen Scharen von Zuschauern in Richtung Glückauf-Kampfbahn.

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Foto: Frederic Scheidemann

Von Minute zu Minute drohte die Situation mehr zu eskalieren. Das Stadioninnere und auch das Umfeld war schwarz vor Menschen. Berittene Polizei versuchte vergeblich, Herr der Lage zu werden, zur Unterstützung wurden gar Überfallkommandos aus der Umgebung angefordert. Die Lage war im Vorfeld maßlos unterschätzt worden.

40 bis 45.000 sollen es schließlich gewesen sein, die die Stadiontore mit oder ohne Karte passierten, bis zu 80.000 Menschen sollen es den Berichten nach zumindest versucht haben. Es grenzt an ein Wunder, dass es nicht zur Katastrophe kam, denn brenzlige Situationen gab es genug. In der Nordostkurve des Stadions stürzten unter dem Druck der Massen eine Betonmauer ein, auf den Böschungen gerieten die Menschen immer wieder in Rutschen.

 Unfassbar, aber wahr: Die Partie fand trotz dieser Umstände tatsächlich statt. Das Spielfeld wurde von Zuschauern geräumt, die nun dicht gedrängt bis an die Außenlinien standen, oder sich auf der Torlatte einen Platz sicherten. Der Fortuna-Elf gelang es nur mit Hilfe der Polizei überhaupt, das Spielfeld zu erreichen. Bei Eckbällen sorgte berittene Polizei für deren Ausführung. Menschen hingen in Bäumen, an Telegrafenmasten – und die kleine Ehrentribüne wurde vor weiterem Andrang gesichert, da sie einzustürzen drohte. Es soll zahlreiche Verletze unter den Besuchern gegeben haben, doch fast wie durch ein Wunder gab es keine Toten.

 Sportlich brachte Fortuna nicht die erwartete Leistung und unterlag den Schalkern 0:1. Einziger Torschütze war Szepan, drei Minuten vor dem Halbzeitpfiff. Ob Fortuna einen Gang zurückschaltete, weil die Spieler um ihre Gesundheit fürchteten, oder ob die Knappen einfach das bessere Team stellten, ist zweitrangig. Gut zwei Jahre später revanchierte sich Fortuna für diese Niederlage in einem echten Endspiel, um die deutsche Meisterschaft. Die Düsseldorfer wussten eben, wann  sie ihr wirkliches Leistungsvermögen ausspielen mussten.

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