Königsblau in der Schaffenskrise Viele Probleme, wenig Lösungen – woran es bei Schalke hapert

Gelsenkirchen · Die Vizemeistersaison ist Geschichte. Schalke 04 weist nach einem Drittel der Saison die Bilanz eines Abstiegskandidaten auf und spielt mitunter schlimmen Fußball. Manche Gründe liegen auf der Hand, an anderen Stellen gibt Schalke Rätsel auf. Eine Analyse.

FC Schalke 04 gegen Galatasaray Istanbul: die Bilder des Spiels
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Schalke - Istanbul: die Bilder des Spiels

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Foto: AP/Martin Meissner

Es ist sieben Monate her, da entzog es Domenico Tedesco im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen. Der Trainer des FC Schalke 04 sank auf die Knie, trommelte mit seinen Fäusten, vergrub sein Gesicht im Rasen der tobenden Schalker Arena. Bilder, die schon in diesem Moment in Zeitlupe abzulaufen schienen. Naldo, die im hohen Fußballeralter überlebensgroß aufgepumpte Erscheinung eines Innenverteidigers, drosch einen Freistoß mit beinahe strafrechtlich relevanter Gewalt ins Tor, das an diesem Nachmittag im April Roman Bürki hütete. Die Vorentscheidung gegen eine weitgehend harmlose Dortmunder Mannschaft. Schalke würde die Saison später vor dem Erzrivalen in Schwarz-Gelb beenden, die Vizemeisterschaft feiern. Schalke tanzte - wenn auch meistens Pogo statt Ballett. Unter Tedescos Leitung vermochte man noch in jedem Zittersieg taktische Rafinesse zu erkennen.

Gut sieben Monate ist das nun her - und der Alltag hat Königsblau nach einer rauschhaften Saison humorlos ausgenüchtert. Die Konkurrenz ist rasant vorbeigezogen, auf Schalke scheint die Zeit dagegen stillzustehen. Schon seit dem ersten Spieltag rätseln Tedesco und Manager Christian Heidel, was eigentlich passiert ist. Mit Spielglück und Momentum allein lässt sich das königsblaue Dilemma jedoch weder erklären noch lösen. Die Schalker Krise hat tieferliegende Gründe.

Die Sturmflaute

Kümmerliche acht Tore hat Schalke in elf Bundesligaspielen vorzuweisen. Rechnet man das kleine Schützenfest gegen Hannover 96 (3:1) noch unfreundlicherweise raus, bleiben fünf Tore in den restlichen zehn Spielen. Schlechter ist in dieser Disziplin ligaweit niemand - allein Schlusslicht Stuttgart hat eine ebenso diskrete Bilanz vorzuweisen. Nun ist Heidel und Tedesco dieses Manko freilich bestens bekannt. Mark Uth, der in der Vorsaison bei der TSG Hoffenheim zuverlässig traf, sollte sich dieses Problemfelds annehmen. Die Umstellung von Julian Nagelsmanns Highspeed- auf den königsblauen Hau-Ruck-Fußball, der sich auch in dieser Saison in der Spieleröffnung oft nur langer Schläge behilft, fiel dem Nationalspieler jedoch auffallend schwer. In ungewohnter Rolle als zurückgezogener Spielmacher wusste Uth zuletzt zu überzeugen - und zu treffen. Problematisch: Natürlich geht diese Position auf Kosten seiner Torgefahr. Noch problematischer: Uth fällt vermutlich bis zur Winterpause verletzt aus. Die Hoffnung, dass Breel Embolo sich nach langer Verletzung und mühsamer Rückkehr endlich als die erhoffte Verstärkung erweisen würde, erfüllte sich bislang ebenfalls nur für Augenblicke, in denen er seine beeindruckende Physis einmal gewinnbringend einzusetzen wusste. Zum Teil grobe technische Ausfälle vermag er damit bislang jedoch nicht zu kompensieren. Zu allem Überfluss fällt er nun auch noch lange aus. Bleibt Guido Burgstaller, dem viele Kritiker gehobenes Bundesliga-Niveau absprechen - und der alle Zweifler nur zu gerne immer wieder widerlegt. Trotz seines tadellosen Berufsethos konnte er zuletzt aber kaum mehr Torgefahr ausstrahlen. Im Vergleich mit echten Spitzenteams dieser Saison ist Schalke im Angriff eklatant unterbesetzt.

Kreativität

Die Rolle des klassischen „Spielmachers“, der hinter den Spitzen die Angreifer in Szene setzt, ist im Fußball aus der Mode geraten. Dass gerade bei schnellem Umschaltmomenten schon die defensiven Abräumer kreative Aufgaben übernehmen, kann in der Thoerie funktionieren. Oder bei anderen Mannschaften. Im Schalker Umschaltspiel liegt vieles im Argen. Der für stattliche 19 Millionen Euro von Tottenham Hotspur verpflichtete Nabil Bentaleb vermag durchaus beide Spielarten zu kombinieren, hat den Nachweis konstant höheres Bundesliga-Niveau anzubieten, bislang aber nicht erbracht. Omar Mascarell, der noch in Frankfurt gleichsam mit Balleroberung und Spieleröffnung zu überzeugen wusste, kam noch überhaupt nicht zum Zug. Suat Serdar, im Sommer aus Mainz gekommen, kommt über vielversprechende Ansätze bislang nicht hinaus. Amine Harit, ein Dribbler mit Veranlagung zum Publikumsliebling, ist nur noch Mitläufer. Wenige Monate nachdem der 21-Jährige in einen Autounfall verwickelt war, bei dem ein Mensch ums Leben gekommen ist, lassen sich seine Leistungen derzeit aber wohl ohnehin nicht seriös bewerten. Auf den Außen geht den Knappen Geschwindigkeit und Torgefahr ab. Mangels Konkurrenz genießt Daniel Caliguiri auf der rechten Außenbahn Tedescos Urvertrauen. Allerdings verfestigt sich der Eindruck, dass der 30-jährige Deutsch-Italiener im Vorjahr die Saison seines Lebens gespielt hat. Von seiner damaligen Verfassung ist er derzeit weit entfernt - und noch ohne einen Scorerpunkt. Konkurrenz muss er dennoch kaum fürchten. Auf Linksaußen ist die Lage noch eklatanter. Yevhen Konoplyanka stand noch nie im Verdacht, sich besonders gut auf Defensivaufgaben zu verstehen. Bastian Oczipka, der als Hybrid zwischen Linksverteidiger und offensivem Antreiber lange gesetzt war, fehlt schon lange verletzt. Zuletzt musste hier der eigentlich fachfremde Alessandro Schöpf aushelfen - mit übersichtlichem Erfolg. Als Ersatz für das eigentliche Back-up Abdul Rahman Baba wurde Hamza Mendyl verpflichtet. Bei seinen oftmals wilden Auftritten pendelte der Marokkaner zwischen sehr gut und ungenügend und allzu oft am Rande eines Platzverweises - immerhin mit zuletzt deutlicher Tendenz nach oben. Vorerst ist aber auch er verletzt.

Die Neuen

Die Besetzung der Schalker Ersatzbank verwundert in Anbetracht der sportlich durchaus strapaziösen Lage immer wieder. Einen Stammplatz nimmt hier etwas Sebastian Rudy ein, der immerhin am sommerlichen Betriebsausflug der deutschen Nationalmannschaft zur WM nach Russland teilgenommen hat – und sogar als einer der wenigen Gewinner daraus hervorging. In Gelsenkirchen hat man den 28-Jährigen eigentlich als Schlüsseltransfer vorgesehen, Tedesco hat ihm nach ersten dürftigen Auftritten aber einen körperlichen Rückstand attestiert. Wie viel Anlauf er noch braucht, um seine unbestrittenen Qualitäten wieder einzubringen – unklar. Bislang ist Rudy noch überhaupt kein Faktor im königsblauen Spiel. Ähnlich rätselhaft ist bislang die Personalie Mascarell. In Frankfurt hatte der Spanier nicht nur die Blicke von Christian Heidel auf sich gezogen und war fester Bestandteil der Planspiele vor der Saison. Obwohl seine anfänglichen Verletzungsprobleme überwunden geglaubt waren, absolvierte Mascarell bislang nur ein Spiel über 90 Minuten, pendelte ansonsten zwischen Kurzeinsätzen, Bank und Tribüne. Baba, der nach langer Verletzung und langen Verhandlungen im Sommer schließlich doch verpflichtet wurde, ist ebenfalls abgetaucht. Nach einem Einsatz über 90 Minuten zum Saisonstart und 75 Minuten im zweiten Spiel gegen Hertha BSC schaffte der Ghanaer es am dritten Spieltag noch einmal in den Kader - danach ward er nicht mehr gesehen. Lediglich Salif Sané hat sich nach anfänglichen Wacklern als stabilisierendes Element bewährt und ist aus der Stammformation derzeit nicht wegzudenken.

Die Transferstrategie

Das sportliche Abschneiden in der Vorsaison gab wenig Anlass zu Kritik gab - Christian Heidels Transferbilanz beim FC Schalke ist jedoch ausbaufähig. Rudy, Mascarell, Serdar, Bentaleb, Konolyanka und Embolo haben zusammen über 90 Millionen Euro gekostet. Uneingeschränkt überzeugen konnte bislang keiner von ihnen. Zweitligaspieler in fortgeschrittenem Fußballeralter zu verpflichten, hat bei Guido Burgstaller und Alessandro Schöpf durchaus funktioniert. Dass deshalb aber auch der bald 26-Jährige Steven Skrzybski (im Sommer von Union Berlin verpflichtet) die Qualität hat, die lahmende Schalker Offensive zu beleben und auch auch auf Champions-League-Niveau zu bestehen, muss er noch nachweisen. Auch Cedric Teuchert, wie Burgstaller und Schöpf vom 1. FC Nürnberg gekommen, erwies sich bislang noch nicht als echte Alternative.

Die Taktik

Domenico Tedesco gewährte in dieser Saison bereits tiefe Einblicke ins Innenleben der Schalker Mannschaft. Nachdem die Kritik an der biederen Spielweise bereits die im Ergebnis so erfolgreiche Vorsaison dauerhaft begleitet hatte, wollte der Trainer im Sommer das Spiel seiner Mannschaft nachhaltig weiterentwickeln. Nach den schmerzhaften Niederlagen zum Saisonstart bat die Mannschaft jedoch darum, sich wieder auf bewährte Stärken zu besinnen. Kurzpässe, Kombinationsspiel, kreative Spieleröffnung – auf unbestimmte Zeit vertagt. Das Ergebnis heiligt unter der sportlichen Hypothek von fünf Niederlagen zum Saisonstart natürlich jedes Mittel. Angesichts von nur zehn Punkten nach elf Saisonspielen steht aber derzeit keine Situation in Aussicht, in der sich im laufenden Saisonbetrieb eine neue Spielkultur in Ruhe einstudieren ließe. Wenn es auf Schalke aufwärts geht, dann vorerst nur in kleinen Schritten – und ohne gehobenen ästhetische Anspruch.

Als wäre das alles nicht genug, kann man den Königsblauen nicht widersprechen, wenn sie über fehlendes Spielglück klagen. Was in der Vorsaison noch einige unverhoffte Punkte bescherte, scheint in dieser Saison ins Gegenteil auszuschlagen. Nach der Verletzungen von Mark Uth und Breel Embolo steht zu allem Überfluss ein überaus unerfreuliches Verletzungsproblem ins Haus. Dass bereits offen über mögliche Wintertransfers spekuliert wird, ist nun unvermeidlich. Beim Blick auf die starke Konkurrenz wie Dortmund, Gladbach, Leipzig – selbst Bremen, Hertha oder die ebenfalls kriselnden Leverkusener an ihren besseren Tagen – haben sich schon nach einem Drittel der Saison die Hoffnungen auf Europa erübrigt.

Am 8. Dezember kommt es zum Wiedersehen mit Borussia Dortmund in der Schalker Arena. Ein Termin, der Königsblau diesmal schon rund einen Monat vorher Magenschmerzen bereiten muss.

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