Fans und Team vereint Schalkes Aufstieg ist nicht nur ein sportlicher Erfolg

Analyse | Gelsenkirchen · Der Aufstieg des FC Schalke 04 ist für den Verein sportlich und finanziell wichtig. Er hat aber auch für eine ganze Region große Bedeutung. Der Revierklub hat es geschafft, die Fans wieder hinter sich zu vereinen. Nun muss er in der Bundesliga bestehen.

So ausgelassen feierten Schalkes Anhänger den Bundesliga-Aufstieg
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Foto: AFP/INA FASSBENDER

Das Spielfeld in der Schalker Arena zeugte am Sonntagmorgen von dem, was sich in der Nacht zuvor in Gelsenkirchen abgespielt hatte. Der Rasen glich eher einer abgegrasten Weide als einem Fußballfeld, die Tornetze waren zerfleddert. Bilder, die man nach Titelfeiern kennt. Wenn die Fans im Überschwang der Freude aufs Spielfeld stürmen, feiern und sich ein Andenken an den Erfolg sichern.

Auf Schalke war es nun kein Titel, der da nach dem dramatischen 3:2-Sieg gegen den FC St. Pauli gefeiert wurde. Doch für den Traditionsklub kommt die Bedeutung dieses Abends den größten Erfolgen in der Vereinsgeschichte sehr nah. Der FC Schalke 04 hat den direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga geschafft.

Nicht nur für den finanziell klammen Verein und die Fans ist der Aufstieg wichtig, auch für die Stadt Gelsenkirchen und die ganze Region. Hohe Arbeitslosigkeit, Armut, fehlende Perspektiven – im Ruhrgebiet definieren sich noch immer viele Menschen über die großen Traditionsklubs. Das ist in Gelsenkirchen so, das ist in Dortmund so, das ist in Bochum so.

Erstmals seit 2010 werden alle drei Revierklubs in der kommenden Saison wieder gemeinsam in der Bundesliga spielen. Das ist auch für die Liga eine Bereicherung. Derbys bieten noch mal eine ganz besondere Atmosphäre, sie sind Feiertage für alle Fans im Ruhrgebiet. Sieg oder Niederlage beeinflussen dort bis heute Selbstwertgefühl und Stimmung vieler.

Schalke 04 gewinnt gegen St. Pauli und kehrt in die Bundesliga zurück:  So feiert das Netz den Schalke-Aufstieg
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So feiert das Netz den Aufstieg von Schalke 04

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Foto: dpa/David Inderlied

Auch in Gelsenkirchen haben die Fußballprofis großen Anteil an der Grundstimmung in der Stadt. Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge sagte daher, Schalke sei ein Beispiel dafür, wie man in der Stadt Schwierigkeiten meistere und Hürden überwinde: „Schalke 04 hat uns allen gezeigt, dass man mit dem Willen zum Erfolg und konzentrierter Arbeit eine Menge erreichen kann. Das sollte ein Ansporn für uns alle sein.“

Damit beschreibt sie die Bedeutung des Aufstiegs gut. Die in der vergangenen Saison so arg geschundene Seele der Schalker lechzte nach dem ernüchternden Abstieg und blutleeren Leistungen der Bundesliga-Mannschaft, nach Trainerentlassungen in Serie und Skandalen nach Fußball-Leidenschaft, Siegen und Nähe zum Team. Die Saison 2020/21 und der Abstieg waren für viele der „Tausend Freunde“, wie es in einem Schalker-Fanlied heißt, eine schwere Beziehungskrise. Doch es heißt in dem Lied auch „Tausend Freunde, die zusammen steh‘n, dann wird der FC Schalke niemals untergeh‘n“. Und so dürfte niemand wirklich überrascht gewesen sein, dass die nahezu komplett neue Schalker Mannschaft in der Zweiten Liga die Unterstützung der eigenen Anhänger bekommen würde.

Zu wichtig ist der Verein in der Region, zu groß die Identifikation mit dem früheren Bergarbeiter-Verein, als dass die Fans ihn trotz aller Querelen im Stich lassen würden. Die so leidenschaftliche Beziehung zwischen Kurve und Fans war zwar deutlich abgekühlt, aber eben nicht zerrüttet. Unter Trainer Dimitrios Grammozis tat sich die Mannschaft jedoch mit ihren teils schlechten, teils unambitioniert wirkenden Auftritten schwer, den Funken überspringen zu lassen, der das Feuer neu hätte entfachen können. So loderte es hier und da mal wieder auf, so richtig innig und bedingungslos schien die Zuneigung aber nicht.

Das änderte sich, als Eurofighter Mike Büskens acht Spieltage vor Saisonende übernahm. Die von vielen belächelte Entscheidung, dass ausgerechnet einer der Co-Trainer neue Impulse bringen soll, erwies sie als genau richtig. Büskens steht für alles, was Schalke aus Sicht der Fans ausmacht. Und plötzlich brachte das Team all das aufs Spielfeld, was den Menschen im Revier so wichtig ist: Kampfgeist, Leidenschaft, Einsatz.

Die Fans trieben die Mannschaft lautstark an, reisten zu Zehntausenden mit nach Sandhausen. Die Spielverläufe mit hart erkämpften Siegen nach Rückstand und Last-Minute-Toren ließen die Euphorie endgültig zurückkehren – und den Glauben an den Aufstieg. Ein Aufstieg, mit dem noch wenigen Wochen zuvor selbst treueste Königsblaue nicht mehr gerechnet hatten.

Denn der Einschnitt beim hoch verschuldeten FC Schalke 04 war tief. Sportdirektor Rouven Schröder musste praktisch das Unmögliche möglich machen: Mit weniger Einnahmen die Schulden reduzieren, aber immer noch eine Mannschaft zusammenstellen, die in der Zweiten Liga bestehen, bestenfalls aufsteigen kann. Ein zweites Jahr in der Zweitklassigkeit wäre zwar möglich gewesen, betonten die Verantwortlichen immer wieder, aber die Einnahmen aus der Ersten Liga werden dringend benötigt.

S04 kam nur ohne Punktabzug durch diese Saison, weil Schröder einen radikalen Umbruch einleitete, um die Spielerkosten zu senken. Er löste Verträge mit Spielern auf – eine teils teure Maßnahme –, verlieh andere. Insgesamt neun Spieler aus der Abstiegsmannschaft verließen den Verein ablösefrei. Geld gab es nur für wenige.

Für die neue Mannschaft bediente man sich kaum an den Talenten der Knappen-Schmiede. Diesen Plan hatte Schröder, ob der schon beim königsblauen Nachwuchs üppigen Gehälter, schnell verworfen. Nur vier Spieler wurden aus der eigenen zweiten Mannschaft und der U19 hochgezogen. Stattdessen verlagerte sich der Verein auf Ausleihen und machte einige günstige Glücksgriffe. Torjäger und Aufstiegsheld Simon Terodde kam ablösefrei, genauso wie Dominik Drexler und Danny Latza.

Einige Deals wurden von Fußball-Experten belächelt, andere als zu großes Wagnis gesehen. Am Ende gibt der Erfolg Schröder und seinem Team Recht. Es ist ihnen gelungen, eine Mannschaft zu formieren, die die nach Anlaufschwierigkeiten die Mentalität auf Schalke verstanden und übernommen hat. Terodde, Rodrigo Zalazar und Marius Bülter entwickelten sich zu Identifikationsfiguren, die Schalke in den vergangenen Spielzeiten fehlten.

Doch das wird nicht reichen, um sich erfolgreich in der Bundesliga zu halten. Den meisten Protagonisten aus der Aufstiegsmannschaft fehlt es noch an Bundesligaerfahrung. Zusammenhalt, Euphorie und Leidenschaft allein werden nicht reichen. Und dann braucht es ja auch noch einen neuen Cheftrainer. Büskens will trotz des Erfolgs zurück ins zweite Glied und nicht auf Dauer den Posten übernehmen.

Daher wird es für Schröder wohl erneut eine Transferperiode, in der er das Unmögliche möglich machen muss. Am Ende müssen es Sportdirektor und Trainerteam schaffen, das Team so mit kostengünstigen, erfahrenen Spielern zu ergänzen, dass das hart erarbeitete Teamgefüge nicht gestört wird, die Qualität aber für die Bundesliga reicht.

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