Nübel, Schubert oder ein Neuer? Koan Gewinner im Schalker Torhüter-Dilemma

Düsseldorf · Markus Schubert hat in München gewackelt, Alexander Nübel kehrt nach Sperre zurück. Die Torwartsituation stürzt Schalkes Trainer David Wagner in ein Dilemma, in dem es derzeit noch keinen Gewinner zu geben scheint.

 Markus Schubert.

Markus Schubert.

Foto: AP/Martin Meissner

Meine Champions League, mein WM-Titel, mein Haus am Tegernsee – Manuel Neuers Karriere liest sich wie ein Bilderbuch. Hätte ein Berater seine Laufbahn am Laptop designt, wäre sie aber wohl glatter verlaufen. Entlang der Nahtstelle zwischen Schalke 04 und Bayern München verläuft noch immer vernarbtes Gewebe. Geblendet von dem Glanz der Silberware in der bayrischen Vereinsvitrine übersieht man schnell, dass der Mann, den Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge jüngst zum „besten Torhüter, den die Welt je hatte“ ausrief, einen großen Bruch vollzogen hat.

In Erinnerung geblieben sind hunderte „Koan-Neuer“-Plakate, mit denen die Bayern-Fans den kommenden Welttorhüter vor seinem Wechsel 2011 ausdrücklich nicht willkommen hießen. Das eigentliche Drama spielte aber nicht auf großer Bühne. Mit 25 Jahren musste Neuer sich zunächst der Endlichkeit des königsblauen Kosmos' bewusst werden. Für ein sportliches Milieu, in dem sein Potenzial erst zu voller Blüte erwachsen sollte, musste Neuer sich umtopfen lassen. Doch er, der seit seinem fünften Lebensjahr das Trikot des FC Schalke 04 getragen hatte, war mit seinem Klub verwurzelt. Liebschaften am Arbeitsplatz bergen großes Konfliktpotenzial, doch bei Neuer war es ungleich schlimmer: er hatte sich gleich mit seinem Arbeitgeber eingelassen. Neuer kannte keinen anderen Klub als seinen FC Schalke, lebte ihn, liebte ihn, litt mit ihm bei den Ultras in der Nordkurve. Sein eigener Ehrenkodex befahl ihm, dass er sich zunächst den Fans offenbarte, ehe er vor die Presse trat und dort mit tränenerstickter Stimme seinen Wechsel bekanntgab. Er offenbarte gleichsam Verständnis für die Schalker Anhänger. „Für diese Leute war es sicher auch nicht einfach, sich mit mir an einen Tisch zu setzen“, schluchzte er mit tränenerstickter Stimme. Die „Buerschenschaft“ entzog ihm in unausweichlicher Konsequenz die Mitgliedschaft.

Auch den Vorgaben der Bayern-Ultras unterwarf sich der Neuer folgsam. Er war sich der Regeln höchst bewusst, er selbst bewegte sich jahrelang in Kreisen, die nach gleicher Rechtssprechung funktionieren. Er versprach, sich der Kurve nicht zu nähern, keine Fangesänge anzustimmen und niemals das Wappen des FC Bayern zu küssen. Auch über ein Lederhosenverbot für den gebürtigen Gelsenkirchener soll damals diskutiert worden sein - dem konnte Neuer aber noch entgehen. Zu Hause in Gelsenkirchen ereilte ihm ein Shitstorm außerhalb und auf dem Feld. Beleidigungen aller Geschmacksrichtungen prasselten auf ihn ein, den „Hochverräter“. Dass Neuer wohl bis heute königsblau blutet, ist auf Schalke seither vergessen.

Vielleicht wurzelt in seiner eigenen Vergangenheit der offenkundige Argwohn, den der inzwischen vielfach dekorierte Neuer gegen Alexander Nübel hegt. In dem Schalke-Torhüter wollten viele gleich nach seinen ersten Bundesliga-Einsätzen – und die sind gerade 15 Monate her – schon Parallelen zu Schalkes letztem Torwart-Wunderkind erkennen. Wie Neuer damals Frank Rost, verdrängte Nübel nun Ralf Fährmann und trat derart breitschultrig auf, dass Erinnerungen unvermeidlich wurden. Dass die Geschichte dann erneut beim FC Bayern enden sollte, hätte man da vielleicht ahnen müssen.

Man muss jedoch nicht lange fragen, um in Gelsenkirchen Menschen zu finden, die seinen Wechsel hinter keineswegs vorgehaltener Hand irgendetwas zwischen verfrüht und verantwortungslos nennen. Berater Stefan Backs strampelt nach Kräften, um Nübels sportliche Perspektive beim FC Bayern zu erhellen und die eigene Rolle bei dem Transfer zu verteidigen. Überzeugt hat das die Öffentlichkeit nicht.

David Wagner wird froh sein, dass er sich zumindest darüber keine tiefergehenden Gedanken mehr machen muss. Der Trainer begann sein Werk beim FC Schalke mit denkbar übersichtlichen Erwartungen und spielt nicht viel weniger als eine Sensationssaison. Doch mitten aus der königsblauen Harmonie ist eine Situation entsprungen, die genug Sprengstoff birgt, um Schalke ins Schlingern zu bringen. Was mit Nübels aberwitzigem Tritt gegen Frankfurts Mijat Gacinovic begann, endet in einer bis heute unbeantworteten Torwart-Frage, die beinahe nur Verlierer hervorbringen kann.

In dem Moment als Nübel die Zeit seiner Sperre nutzte, um den schon lange kolportierten Wechsel an die Isar öffentlich zu machen, tat sich für Markus Schubert plötzlich die Chance auf, sich nicht nur als Stellvertreter, sondern gleich als Nachfolger in Stellung zu bringen. Spätestens zur kommenden Saison, besser noch: sofort! Schubert, immerhin Stammtorhüter in der U21-Nationalmannschaft als Update des Updates: eine brillante Idee, der die Wirklichkeit jedoch allzu schnell ein Bein stellte. Nach dem starken Rückrundenauftakt gegen Borussia Mönchengladbach träumte vielleicht auch Wagner heimlich, dass Schubert in München seine Feuertaufe bestehen würde. Stattdessen fing sich Schalke fünf Gegentore, von denen man nur bei dreien keinen Torwartfehler attestieren muss. Zweimal griff Schubert so tüchtig daneben, wie das allen Torhütern vor ihm auch irgendwann passiert ist.

Schalke 04: Torwart Alexander Nübel sieht Rot nach brutalem Foul an Mijat Gacinovic
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Nübel sieht Rot nach brutalem Foul an Gacinovic

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Das Timing dieser 0:5-Niederlage mit all ihren Begleiterscheinungen ist indes verheerend, denn mit Abpfiff der Partie in München war Nübels Rot-Sperre abgegolten. Setzt Wagner beim anstehenden Auswärtsspiel bei Hertha BSC nun wieder auf Nübel, hat er Schubert einen nachhaltigen Schlag verpasst. Auch in Hinblick auf die kommende Saison müsste sich Schalke wohl von der Vorstellung verabschieden, den 21-Jährigen zur neuen Nummer eins aufzubauen.

Vertraut Wagner Schubert weiterhin, steht der noch mehr im Fokus als zuletzt schon. Bei jeder Flanke, jeder Ecke, jedem Nachfassen dürfte nicht nur sein Trainer zusammenzucken. Ein weiterer Patzer müsste um jeden Preis verhindert werden, um die sportliche Entscheidung zu rechtfertigen – unter diesem Druck scheinen Fehler programmiert. Sollte Schubert bestehen, wäre das zweifellos die gedeihlichste Lösung für die Schalker – aber Scheitern fast keine Option. Kaum auszudenken, sollte Wagner aus Leistungsgründen anschließend doch wieder auf Nübel zurückgreifen müssen. Das würde nicht nur Schubert als kommende Nummer eins in weite Ferne rücken lassen, auch Wagner würde mit Schrammen daraus hervorgehen.

Welcher Rückenflock auf dem Schalker Torwarttrikot für die kommende Saison stehen soll, ist angesichts dieser Gemengelage vermutlich nicht einmal von den handelnden Personen vorauszusehen. Zumal der von Nübel aus dem Tor verdrängte Fährmann dann von Norwich City zurückkehrt und ein weiterer Akteur in den Verdrängungswettbewerb einsteigt. Angesichts seiner derzeitigen Perspektive bei dem Premier-League-Klub allerdings vermutlich weitgehend ohne Spielpraxis.

Trotz seiner Wackler bei den Bayern wäre Wagner daher zwar mutig aber keineswegs kurzsichtig, wenn er weiter Schubert das Vertrauen schenkt – nur diese Entscheidung beinhaltet ein positives Szenario für den jungen Keeper. Nübel für den Rest der Saison ins Tor zu stellen, wäre mit weniger sportlichem Risiko verbunden, sein Abgang würde im Sommer aber nur Verlierer hinterlassen – und Schalke könnte im Hinblick auf die kommende Saison wohl nur ein Neuer zwischen den Pfosten helfen.

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