Aufsteiger vor schwerer Rückkehr Diese elf Dinge braucht Schalke, um die Klasse zu halten

Gelsenkirchen · Beseelt von einem berauschenden Saisonfinale kommt Schalke mit Überschwang in die Bundesliga. Die harte Realität wird den Aufsteiger aber schnell einholen. Um nicht gleich wieder abzusteigen, braucht Schalke noch einiges.

So feiert Schalke den Bundesliga-Aufstieg mit den Fans
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Foto: dpa/Tim Rehbein

Den richtigen Trainer

Der FC Schalke 04 hat in den vergangenen Wochen das fußballerische Koordinatensystem vieler Menschen irritiert. Als die Zweite Bundesliga eines der größten Aufstiegsfinals zelebrierte, hatte die große Drama-Queen schon den Koffer für die Bundesliga gepackt und durfte am Ende sogar eine Schale in die Luft strecken. Ganz unschalkig ist Schalke deshalb aber nicht gleich geworden. Durch den Aufstieg hat sich der Vertrag des Trainers verlängert. Ärgerlich allein, dass der noch immer Dimitrios Grammozis heißt und seit Anfang März freigestellt ist. Mike Büskens hat zwar wesentlich den beeindruckenden Schlussspurt zu verantworten, kehrt aber auf eigenen Wunsch zurück in die zweite Reihe. Die wichtigste Personalie ist also rund elf Wochen vor Saisonstart ungeklärt. Sportdirektor Rouven Schröder soll zwar einen Top-Kandidaten ausgemacht haben. Zuletzt wurde aber gemunkelt, dass der abgesagt habe. Dabei ist die Rolle des neuen Trainers gar nicht zu überschätzen. Schalke hat in der Vergangenheit gefühlt mehr Trainer entlassen als eingestellt. Dabei waren die meisten Trennungen nachvollziehbar bis überfällig, die Einstellungen aber oft halbherzig bis fragwürdig. Domenico Tedesco war der letzte, der so etwas wie ein Konzept glaubhaft machen konnte. Das Rumpeln hat Königsblau aber sogar seit Ralf Rangnick niemand mehr austreiben können. Der neue Trainer muss nicht nur den anspruchsvollen Klub handeln, sondern vor allem Rezepte dafür in der Tasche haben, wie man 2022 aussichtsreich in Richtung gegnerisches Tor spielt. Dass nun die halbe Liga so einen sucht, macht den Job für Schröder ungleich schwerer. Deshalb auf den nächstbesten zu setzen, wäre jedoch falsch verstandene Brauchtumspflege. Schröder muss im ersten Versuch einen Volltreffer landen.

Eine sportliche Erzählung

Das Saisonfinale mit seiner emotionalen Überlast verklärt in der Rückschau vieles. Eine Meistersaison, in der Fans, Mannschaft und Vorstand wieder zueinander gefunden haben, übertüncht die phasenweise eklatanten Probleme, die das Team sehr wohl offenbart hat. Wohin die Reise für Schalke geht, ist deshalb höchstens teilweise beantwortet. Nach einem Jahr Hausverbot kommt der FC Schalke nur mit neuer Identität in den Nobelclub Bundesliga. Die alten Klamotten passen dem neuen Klub jedenfalls nicht mehr. Da stand noch Gazprom drauf und steckte aus finanzieller Angewiesenheit eine innere Zwangslogik drin, die das internationale Geschäft zum ständigen Überlebensziel der Knappen machte. Jetzt ist Schalke Underdog und wird wahrscheinlich oft und womöglich heftig verlieren. Es ist daher unabdingbar, eine Rolle zu definieren, die sowohl den Fußball beschreibt, mit dem Schalke bestehen kann und gleichzeitig die Fans auf eine Reise einschwört, die nur dann kein Horrortrip wird, wenn Schalke die neue Rolle annimmt, ausfüllt und es als große Chance begreift, endlich mal positiv überraschen zu können.

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Das einzige, was nach dem denkwürdigen Abstieg 2021 noch schneller die Runde macht als die Schalker Spieler ums Vereinsgelände war vielleicht die Sprachnachricht eines anonymen Absenders. "Dem Büskens hamse im Arsch getreten", keuchte der in einwandfreiem Ruhrgebiets-Idiom und berichtete von weiteren Angriffen, Grenzüberschreitungen und Geschmacklosigkeiten, in denen einige Anhänger den angestauten Frust der vergangenen Jahre kanalisierten. Rund ein Jahr später wurde eben jener Büskens, Gerald Asamoah oder Ralf Fährmann, die an gleicher Stelle Opfer eines kriminellen Überfalls wurden, von Fans quasi auf Händen getragen. Nun wurden hier selbst für Schalker Verhältnisse seismographische Extrempunkte sichtbar. Es ist aber nicht nur der sportlichen Genesung des Klubs zu verdanken, dass das zerrüttete Verhältnis zum eigenen Anhang gekittet werden konnte. Die unausweichliche Abkopplung von Sponsor Gazprom oder die spürbar verbesserte Kommunikation des Klubs haben ein neues Miteinander geschaffen, das in der Schlussphase mit der dann wieder vollen Arena zweifellos Spiele gewonnen hat. Dieses Pfund ist für Schalke in der Ersten Liga unverzichtbar. Vor allem wird es deshalb darauf ankommen, die Fans auch in sportlichen Dürreperioden bei der Stange zu halten.

Schröders Händchen

Rouven Schröder hat sich erst im zweiten Anlauf für Schalke entschieden. Mutmaßlich nicht zuletzt, weil ihm natürlich bewusst war, dass diese Aufgabe so gut wie unschaffbar war. Alleine teure Großverdiener mit aktuell dürftigen Leistungsnachweisen von der Payroll zu bekommen, war ein Mammutprojekt. Gleichzeitig hat der Sportdirektor mit wenig Geld eine hohe Trefferquote bei den Neuverpflichtungen nachgewiesen. Zwar geht der Transfer von Simon Terodde nicht mehr auf sein Konto, da der Sportdirektor erst nach dem Torjäger in Gelsenkirchen anheuerte. Mit Ko Itakura, Thomas Ouwejan oder Rodrigo Zalazar sind ihm jedoch auf Anhieb einige Schlüsseltransfers geglückt. Nun kehren erneut Leihspieler mit großem Preisschild wie Amine Harit oder Ozan Kabak zurück, zudem muss Schröder aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtsituation trotz des Aufstiegs mit einem Igel in der Tasche verhandeln. Gleichzeitig weist der Kader viele Baustellen auf. Um das Team auf Bundesliga-Niveau zu bringen, muss Schröder auf quasi allen Positionen echte Verstärkungen an Land ziehen. Auch wenn der Aufstieg eine Befreiung ist, Schröders Aufgabe wird kaum leichter.

Schröder 2

Ob Bernd Schröder beim Pförtner noch ausweispflichtig ist, ist nicht überliefert. Für seine Gesichtsprominenz hat der Mann, der beim FC Schalke den nicht völlig nebensächlichen Job des Vorstandsvorsitzenden ausfüllt, bisher aber wenig getan. Im Hintergrund ist der frühere Leverkusener Marketing-Direktor allerdings erkennbar wirksam geworden. Vor allem das kurzfristige Ende der Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Gazprom war Schwerstarbeit auf Management-Ebene. Zwar hat Schalke mit Vivawest kurzfristig Ersatz gefunden, für die Bundesliga gilt es nun aber, alte und sicher auch interessierte neue Sponsoren zu akquirieren. Der gigantische Schuldenberg, auf dem der Verein noch immer hockt, wird sich nicht allein durch den Aufstieg abtragen lassen. Um überhaupt wirtschaftlich von der Bundesliga profitieren zu können, muss das Fundament dafür gelegt werden, dass der Abstieg ein Betriebsunfall bleibt. Strategie, Kommunikation, Marketing und Vertrieb fallen in Schröders Aufgabenbereich – alles davon braucht der Klub. Vor allem hinter, irgendwann aber auch vor den Kulissen.

Identifikationsfiguren

Der überschäumende Jubel der vergangenen Tage wurde getragen von Schalker Säulenheiligen wie Mike Büskens, Gerald Asamoah oder Ralf Fährmann. Dass eben diese unbestritten Königsblaublütigen ein Jahr zuvor um den Arenaring gejagt wurden und nun den Aufstieg in ihre verdienstvollen Lebensläufe eintragen dürfen, ist Stoff für eine Heldensage. Die ist zwar Folklore, will aber beim S04 grundsätzlich auch bedient werden. Den Erfolg ermöglichten dagegen erst die Unterschiedsspieler auf dem Feld. Allen voran Simon Terodde, an dessen breiten Schultern sich zur Not eine ganze Stadt hochziehen konnte. Dass der 34-jährige Zweitliga-Lewandowski in der Bundesliga bislang stets als Scheinriese aufgefallen ist, könnte sich nun als Problem entpuppen. Damit hat er den meisten Spielern im Schalker Kader zumindest etwas voraus: die meisten verfügen über gar keine Bundesliga-Erfahrung. Rouven Schröder muss daher neue Leistungsträger mit Erfahrung und möglichst ohne Ablöse verpflichten, an denen sich das Team ausrichten kann. Angefangen auf der vakanten Torhüterposition braucht es in allen Mannschaftsteilen neue Eckpfeiler, die sich nicht zuletzt charakterlich in das gewachsene Teamgefüge eingliedern und so schnell im Verein aufgehen wie Terodde.

Leidensfähigkeit und Geduld

Die Rolle des Außenseiters ist für die meisten Anhänger völlig neu, der letzte Aufstieg 31 Jahre her. Dass Schalke sich trotz seiner Größe erstmal damit abfinden muss, ein Kleiner zu sein, ist vielen als Lippenbekenntnis noch leicht abzugewinnen. Sollten die Knappen aber vielleicht auf einem Abstiegsplatz überwintern, ist entschlossenes Erwartungsmanagement gefragt. Dass man mit diesem Schritt zurück durchaus Anlauf nehmen kann, haben Union Berlin oder der VfL Bochum in der jüngeren Vergangenheit bewiesen. Der Nachweis, dass ein großer Tanker wie Schalke zu derlei spritzigen Überholmanövern fähig ist, steht noch aus.

Moderne Strukturen

Schon bei Aufstieg und Fall von Domenico Tedesco und dem unrühmlichen Abgang von Christian Heidel waren sich Beobachter und Entscheidungsträger ungewohnt einig in der Analyse: Schalke darf sich keine Alleinentscheider mehr erlauben. Als David Wagner übernahm und es zunächst gut lief, wurden Personalien wie Massimo Mariotti als Schlüsselpositionen gefeiert. Der sollte als Integrationsbeauftragter wenig überraschend für die Integration von Spielern Sorge tragen, die nicht bereits in Schalke-Bettwäsche geschlafen haben. Inzwischen sind auch Wagner und Mariotti gefeuert. Die Erkenntnis, dass Zampanos wie der frühere Aufsichstratschef Clemens Tönnies überholt sind und wenig Erfolg versprechen, ist geblieben. Verantwortung muss vielseitig verteilt werden, ohne dabei Führungsstärke einzubüßen.

Die Abkehr vom Heldenfußball

Die größten Fehler werden im Erfolg begangen. Auch wenn es der Intuition widerspricht, muss Schalke nun von dem Rezept abweichen, das für den Aufstieg bürgte. Einzelspieler wie Thomas Ouwejan, Marius Bülter oder allen voran Simon Terodde waren quasi an allen Saisonsiegen direkt und maßgeblich beteiligt. Das machte das Team unter Dimitrios Grammozis sehr ausrechenbar, das ist unter Trainer Mike Büskens nur wenig besser geworden. Die individuelle Klasse der Schalker war oft genug schlicht größer als beim Gegner. Das wird in der kommenden Saison absehbar fast nie der Fall sein. Der neue Trainer muss ein Team formen, das im Kollektiv Ideen entwickelt und nicht nur derart auf Geistesblitze starker Einzelkönner angewiesen ist.

Mut und Demut

In der Vergangenheit herrschte oft Mangel an beidem zugleich. Je zögerlicher und zielloser der Vortrag der Aktiven auf dem Platz, desto ungeduldiger und zum Teil vermessener geriet die Erwartungshaltung drumherum. Als Aufsteiger sind aber Nehmerqualitäten gefragt. Lange Durststrecken und Spiele ohne Erfolgserlebnisse sind kaum vermeidbar. Gerade dann darf das Umfeld nicht in Duldungsstarre verfallen, sondern muss bestenfalls sogar aufmuntern und unterstützen. Auch um das zu gewährleisten, muss das Team eine Idee erkennbar werden lassen. Sollte das gelingen, können sich Spieler und Fans vielleicht beweisen, dass sie sich nicht nur gegenseitig runterziehen, sondern sogar positiv gegenseitig verstärken können. Kippt die Stimmung, wird es ungeheuer schwer.

Glück

Mike Büskens überzeugte in der abgelaufenen Saison sogar als Bratwurst-Minister. Im April grillte der Aufstiegstrainer für Bedürftige in Gelsenkirchen und löste damit eine Wette ein. Die Idee zu seinem Einsatz war 23 lange Spieltage in ihm gereift, in denen Schalke nicht einen Elfmeter zugesprochen bekommen hatte. Am Ende der Aufstiegssaison waren es satte zwei. Ein Elfmeter, dessen Vergabe die DFB-Schiedsrichter selbst im Nachgang als Fehler bewerteten, kostete Schalke mit der letzten Aktion des Spiels in Bremen dagegen zwei Punkte. Im engen Aufstiegsrennen hätte dieser Pfiff alleine entscheidend sein können. Während wenn Schalke bei Strafstößen nicht vom Glück verfolg war, schlug das Verletzungspech nicht derart zu wie in vergangenen Jahren. Ein längerer Ausfall von Terodde etwa hätte sich verheerend auf das Projekt Wiederaufstieg ausgewirkt. Da die Kadertiefe in der Ersten Liga solche Ausfälle nicht auffangen können wird, muss S04 von größeren Nackenschlägen jedweder Art verschont bleiben. Nur wenn das Schicksal dem Klub in die Karten spielt, wird aus dem selbsternannten Glück-Auf-Steiger kein Absteiger. Sollte der Klassenerhalt gelingen, würde Büskens aber sicher noch mal den Grill anwerfen.

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