Faktor Zufall Welche Rolle das Glück im Fußball spielt

Düsseldorf · Der Faktor Glück ist im Fußball allgegenwärtig - auf dem Rasen wie in den Aussagen von Profis. Doch was macht man mit dem Zufall in einem Sport, den viele heute bis ins kleinste Detail analysiert sehen? Ihn einordnen, sagen die Analytiker.

Faktor Zufall: Welche Rolle das Glück im Fußball spielt
Foto: ferl

Das Glück ist aus dem Fußball genauso wenig wegzudenken wie Zweikampf, Torschuss und Kopfball. Ein Ball springt vom Innenpfosten zurück ins Spielfeld, ein harmloser Schuss wird abgefälscht und erst dadurch unhaltbar - Glück gehabt! Oder eben Pech, je nach Sichtweise halt. Fehlendes Glück zählt auch seit jeher zu den beliebtesten Entschuldigungen, die Spieler und Verantwortliche für eine Niederlage anführen - alle gipfelnd im legendären Zitat des früheren Bundesligatorjägers Jürgen "Kobra" Wegmann: "Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu." Doch passt so etwas wie Glück heutzutage überhaupt noch zum Fußball, wo der doch inzwischen bis ins kleinste Detail entschlüsselt zu sein scheint?

Christoph Kramer tat nach Gladbachs letztem Heimspiel kund: "Das Spielglück wird im Fußball total unterschätzt, gerade in der Bundesliga, in der alles so extrem eng ist, ist Glück ein großer Faktor. Aber das will ja keiner hören, es geht ja immer drum, alles bis ins Detail zu erklären." Stimmt das? Daniel Memmert sagt nein. "Die Sportwissenschaft leugnet keinesfalls den Faktor Zufall, wenn sie versucht, ein Fußballspiel bis ins Detail zu analysieren", findet der Geschäftsführende Leiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln. Aber wie lässt sich ein Gefühl wie Glück in wissenschaftlichen Untersuchungen greifen? "Es gibt belastbare Studien aus der Sportwissenschaft, die besagen, dass im heutigen Fußball ungefähr 40 Prozent der erzielten Tore auf den Faktor Zufall - wir sprechen nicht von Glück - zurückzuführen sind."

Wenn also von fünf Treffern zwei dem Zufall geschuldet sind, wäre es also fahrlässig, den Einfluss dieses Parameters auf Spielausgänge zu leugnen - gerade für Spielanalytiker. Hinzu kommt noch dieser Hinweis Memmerts: "Der Fußball zählt sicherlich zu den Sportarten, in denen der Zufall mit den größten Einfluss hat, denn in einem Sport mit niedriger Trefferanzahl ist er entscheidender als bei einem Basketballspiel, in dem Teams auch schon mal 80 Punkte erzielen."

Tobias Escher hat mit seinem Portal "spielverlagerung.de" der Spielanalyse den Weg zum Massenphänomen mitgebahnt. Heute wird an Stammtischen über Pressing, Gegenpressing und die Vorteile des 4-4-2 gegenüber dem 3-5-2 diskutiert. Escher hält es mit dem Zufall so: "Auf der Ebene eines einzelnen Spiels entscheidet schon das Glück mit. Am Ende des Tages gewinnt nicht immer das bessere Team. Aber auf langfristige Sicht gleichen sich statistisch gesehen viele Ungleichheiten aus, seien es Fehlentscheidungen oder Leistungsunterschiede. In den vergangenen zehn Jahren ist immer das Team Meister geworden, das die beste Bilanz aus selbst abgegebenen Torschüssen und vom Gegner abgegebenen Torschüssen hatte. Wer sich mehr Torchancen erspielt als der Gegner, hat eine wesentlich höhere Chance auf eine gute Tabellenposition. Insofern gilt: Gut spielen hilft schon, und wenn man schlecht spielt, verliert man eher."

Aber was ist die detailreichste Analyse wert, wenn das Siegtor ein abgefälschter Schuss war, der im Seitenaus gelandet wäre? "Im Endeffekt ist das Ergebnis für die Analyse nicht entscheidend", sagt Escher. "Klar geht es darum, das Ergebnis zu erklären. Aber ob eine Szene zu einem Tor führt oder der Stürmer drüber schießt, ändert nichts daran, ob der Angriff gut herausgespielt war oder nicht. So versuche ich es auch zu halten, auch wenn es nicht immer gelingt. Eine Szene kann übrigens gleichzeitig Glück sein und gut herausgespielt. Selbst wenn der Gegner ein total kurioses Eigentor per Fallrückzieher schießt - irgendwie muss der Ball ja in den Strafraum gekommen sein."

Dass Glück in Statements der Spieler trotzdem von vielen als banales Totschlagargument wahrgenommen wird, liegt also nicht daran, dass dem Zufall die Bedeutung im Fußball abgesprochen wird, sondern eher daran, dass Glück und Pech zu inflationär herangezogen werden. "Wenn es schlecht läuft, neigen Spieler eher dazu, über Pech oder fehlendes Glück zu sprechen. Wenn es gut läuft, sagen nur die wenigsten: ,Wir haben enorm Glück' - meistens ohnehin nur mit dem Zusatz ,Wir haben uns das Glück erarbeitet'", sagt Escher. "Das ist nicht verwerflich und durchaus menschlich. So nach dem klassischen Motto: ,Wenn's gut läuft, waren's immer alle, wenn es schlecht läuft, immer alle anderen.'"

Das Spielglück behält also auch in Zeiten computergestützter Analysen seine Berechtigung im Fußball. Im Prinzip mehr denn je: Wer herausfände, wie sich Zufallstreffer trainieren lassen, wäre wohl auf Jahre hinaus unschlagbar.

(klü)
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