"Sportartfremd" Erzkonservative Fifa-Regelhüter müssen viel Kritik einstecken

Für einen Videobeweis gibt es im Fußball keine Eile, meint die Fifa. Die Dreifachbestrafung nach Notbremsen ist hart, die Rote Karte für Sünder aber ohne Alternative, sagen die Regelhüter.

 Im Spiel zwischen Paderborn und den Bayern gab es - regelkonform - nach einer Notbremse im Strafraum Rot.

Im Spiel zwischen Paderborn und den Bayern gab es - regelkonform - nach einer Notbremse im Strafraum Rot.

Foto: dpa, frg jai

Mit ihrem Nein zum Videobeweis und einem merkwürdigen Jein zu einer Entschärfung der viel kritisierten Dreifachstrafe haben die Regelhüter des Weltfußballs Verwunderung und Verärgerung ausgelöst. Dem Ruf als erzkonservativer Bewahrer auch reformbedürftiger Gesetze wurde das International Football Association Board IFAB bei seiner Jahressitzung vor den Toren von Belfast wieder einmal gerecht. "Ich kann da nur den Kopf schütteln. Was eine Gruppe von Sportartfremden und Ahnungslosen da entscheidet, das ist einfach Wahnsinn", echauffierte sich Alexander Rosen.

Der Sportchef von 1899 Hoffenheim ist mit seinem Unmut in der Bundesliga keinesfalls allein. "Dreifachbestrafung kennt die gesamte Rechtssprechung in Deutschland nicht. Ich halte das für fundamental falsch, und habe kein Verständnis dafür, dass daran festgehalten wird", sagte Ligapräsident Reinhard Rauball im "WDR". Eintracht Frankfurts Trainer Thomas Schaaf flüchtete sich in Ironie: "Wir hatten in letzter Zeit ja genügend Diskussionen, die gezeigt haben, wie wenig sinnvoll diese Regel ist. Aber die Fifa bestimmt, wir leben es."

Was war passiert im Culloden Hotel im nordirischen Craigavad? Wie so oft bei IFAB-Sitzungen: Wenig bis nichts. Durchringen konnten sich die Funktionäre immerhin zum Beschluss, dass im unterklassigen Amateurfußball Spieler nach einer Auswechslung wieder eingewechselt werden dürfen, sofern der zuständige nationale Verband dies künftig auch erlauben will. Zudem wird das Grab von William McCrum, der 1890 den Elfmeter erfand und 1932 in Nordirland starb, durch Fifa-Gelder restauriert.

Die von vielen Prominenten der Fußball-Branche von Franz Beckenbauer bis Joachim Löw erhoffte Abschwächung der Dreifachbestrafung aus Elfmeter, Roter Karte und Sperre bei Notbremsen im Strafraum wurde erstmal abgelehnt. Die von der Uefa beantragte Reduzierung auf Gelb statt Rot für entsprechende Fouls wird es nicht geben. Stattdessen soll die Fifa-Exekutive möglichst im März entscheiden, ob Sünder künftig im Spiel zwar vom Platz müssen, dafür aber keine obligatorische Sperre mehr bekommen - ein wachsweicher Kompromiss.

Der frühere Fifa-Schiedsrichter Markus Merk brachte die Unzufriedenheit seiner Zunft über die wenig reformfreudigen Funktionäre zum Ausdruck. "Dreifachbestrafung bleibt erstmal, enttäuschend! Keine Abschwächung auf Gelbe Karte.", twitterte der Ex-Referee am Samstag nach der Tagung des umstrittenen Gremiums aus vier Fifa-Vertretern und Repräsentanten der vier britischen Fußballverbände. Merk ergänzte aber: "Hoffnung: Fifa überprüft im März Wegfall einer Sperre!"

Dreifachbestrafung bleibt erstmal, enttäuschend! Keine Abschwächung auf Gelbe Karte. Hoffnung: FIFA überprüft im März Wegfall einer Sperre!

In einer ersten Reaktion übte die abgewiesene Uefa harsche Kritik am IFAB. "Das Problem mit der Regel ist die obligatorische Rote Karte, die in vielen Fällen zu hart ist und einen zerstörerischen Einfluss auf das Spiel hat", hieß es. Die IFAB-Modifikation ginge "total am Thema vorbei".

Pikant: In der für das Problem nun zuständigen Fifa-Exekutive hat die vom IFAB zurückgewiesene Uefa acht von 25 Mitgliedern, wodurch es bei der Sitzung am 19. und 20. März in Zürich ungewohnt kontroverse Diskussionen geben könnte. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, dass IFAB-Mitglied und Fifa-Boss Joseph Blatter keinem Antrag der ihm derzeit in Feindschaft verbundenen Uefa zustimmen mochte - die Regeländerung deshalb in der Form gekippt wurde.

Mehr aus formalen Gründen wurde ein Angebot des niederländischen Verbandes zu einer Testphase des Videobeweises im nationalen Pokal abgewiesen. Die Oranje-Funktionäre hatten ihre Idee vorab nur den britischen IFAB-Vertretern präsentiert, nicht aber der Fifa, wie deren Generalsekretär Jerome Valcke monierte. Die Ablehnung kommt insofern überraschend, da Blatter selbst im Juni 2014 mit einem Plädoyer für die Einführung von Videotechnik geworben hatte.

"Es ist die größte Entscheidung, seitdem Fußball gespielt wird", sagte Valcke. Es gäbe keinen Grund zur Eile, betonte der Franzose. Letzteres ist ein IFAB-Leitmotiv. Das Thema Videobeweis wurde an die zwei neuen Beratergremien des IFAB zur Begutachtung verwiesen - also praktisch mindestens bis zum nächsten Treffen der Regelhüter im März 2016 in Wales auf Eis gelegt. Verschieben und Vertagen hat beim IFAB Tradition. Auch McCrums Elfmeter-Idee wurde erst ein Jahr nach dessen Vorschlag und mit diversen Modifikationen ins Regelwerk aufgenommen.

(dpa)
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