Nationalspieler im Porträt Timo Werner ist Torjäger und Chancentod zugleich

Düsseldorf · Er ist zwar Topscorer seines Teams, lässt aber auch viele Gelegenheiten aus. Bei der EM will Timo Werner seinen Ruf als Chancentod ablegen. Wie man Titel holt, weiß er indes: Gerade erst gewann er mit Chelsea die Champions League.

Timo Werner bei der EM 2021: Alle Infos zum Stürmer beim FC Chelsea - Portrait
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Das ist Timo Werner

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Foto: dpa/Jan Woitas

Im Champions League-Finale passierte es wieder: Timo Werner vergab eine Großchance. In der zehnten Minute traf er sechs Meter vor dem Tor den Ball nicht richtig. In der 14. Minute schloss er freistehend zu unpräzise ab, Ederson im Tor von Manchester City hatte keine Mühe. Kurz darauf traf Kai Havertz zum 1:0 für Chelsea und wurde zum umjubelten Helden des Finals.

Werner hatte also mal wieder seinen Ruf bestätigt, dass er in entscheidenden Situationen vor dem Tor zu überhastet agiert. Dennoch machte der Stürmer im Finale kein schlechtes Spiel. Vor dem Siegtreffer durch Havertz zog er mit einem schnellen Lauf einen Gegenspieler auf sich. Erst dadurch hatte sein Teamkollege den Freiraum, in Richtung Tor zu starten. Auch die oft wenig zimperliche englische Presse erkannte seine Leistung durchaus an, die „Daily Mail“ schrieb „Timo Werner ist kein hoffnungsloser Fall“.

Das ist er in der Tat nicht. Mit seinem enormen Tempo kann er immer für Gefahr sorgen und Abwehrspieler überrennen. Er ist sowohl in der Spitze als auch als Flügelspieler einsetzbar. In seinem ersten Jahr beim FC Chelsea verbuchte er mit wettbewerbsübergreifend zwölf Toren und 15 Vorlagen die meisten Torbeteiligungen seiner Mannschaft. Ein paar mehr Tore könnten es aber sicherlich noch sein, wie auch Werner im „Sport1“-Interview vor dem Finale sagte: „Es war für mich jahrelang mein Business, diese Chancen reinzumachen, und ich bin mir sicher, dass ich da wieder hinkomme.“ Viele Chelsea-Fans sind aber schon jetzt sehr zufrieden mit ihrem neuen Offensivspieler. Am Ende der Saison dichteten sie ihm ein eigenes Lied zur Melodie von „Just Can't Get Enough“ der Band Depeche Mode. Aus der Fankurve schallte es „And I just can't seem to get enough of do, do, do ... Timo Werner!“.

EM 2021: Kader von Deutschland bei der Fußball-Europameisterschaft - Übersicht
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Das ist der deutsche Kader für die Fußball-EM 2021

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Foto: dpa/Stefan Constantin

Bei RB Leipzig erzielte er in seiner letzten Saison 28 Treffer in der Liga, nur Robert Lewandowski hatte mehr. Insgesamt gelangen ihm in 159 Spielen für Leipzig 95 Tore und 40 Assists, das sind Spitzenwerte. Er ist Rekordtorschütze der Sachsen. Allerdings erhielt er nicht immer die größte Anerkennung für seine Leistungen.

Das hängt wohl auch mit einer verhängnisvollen Situation im Dezember 2016 zusammen: Im Bundesliga-Spiel gegen Schalke 04 holte er mit einer umstrittenen Aktion einen Elfmeter heraus und verwandelte ihn selbst. Hinterher räumte er die Schwalbe ein, sagte aber auch, dass er dies noch auf dem Feld zugegeben hätte. Die Aktion verziehen ihm manche Fans aber nicht mehr, er wurde Ziel von teilweise üblen Schmähungen. Werner war natürlich nicht der erste Spieler, der einen Elfmeter auf diese Weise herausholte. Sein einstiger Verein RB Leipzig zieht aber ohnehin die Wut vieler Zuschauer auf sich, die ihn als Gefahr für den Fußball sehen. In ihren Augen steht bei dem Klub der Kommerz anstelle von Traditionen im Vordergrund. Womöglich war der Stürmer also einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Insgesamt kommt Werner bodenständig daher. In einem Gespräch mit der „Welt“ 2019 machte er keinen Hehl daraus, gelegentlich die strikte Profi-Ernährung zu missachten: Wenn er einen freien Tag habe, wolle er „nicht auch an diesem Tag Dinkelnudeln essen. Dann gehe ich auch gern mal einen Döner essen oder in ein Burger-Restaurant.“ Er scheint außerdem nicht vor schwierigen Entscheidungen zurückzuschrecken: Im Sommer 2020 entschied er sich bei seinem Wechsel nach England, die durch Corona verzögerte Champions-League-Saison nicht mit Leipzig zu Ende zu spielen. Stattdessen wechselte er direkt zu Chelsea, um dort die ganze Vorbereitung mitmachen zu können. Seine ehemaligen Teamkollegen erreichten das Halbfinale beim Turnier in Lissabon, während Werner nicht mehr eingreifen konnte.

Der Angreifer spielte seit der F-Jugend für den VfB Stuttgart und schaffte dort früh den Sprung zum Profi. Er ist der jüngste eingesetzte Bundesliga-Spieler des Vereins. Der Stuttgarter hält außerdem den Rekord als jüngster Doppelpacker der Bundesliga-Geschichte: Im Alter von 17 Jahren und 249 Tagen traf er doppelt für den VfB. Nach dem Abstieg 2016 wechselte er dann nach Leipzig.

Bei der Europameisterschaft 2021 soll er für Torgefahr im Angriff sorgen. Er ist neben Rückkehrer Kevin Volland der einzige echte Stürmer im Kader. Beim Confed Cup-Sieg 2017 gewann er den Goldenen Schuh als bester Torschütze. In jüngerer Vergangenheit blieb aber wieder ein Fehlschuss besonders in Erinnerung: Im Länderspiel gegen Nordmazedonien im März traf Werner beim Stand von 1:1 frei vor dem Tor den Ball nicht. Die Videos davon wurden vielfach im Internet geklickt. Sein Vereinstrainer Thomas Tuchel sagte nach dem Länderspiel, er habe den Angreifer davon abgehalten, zusätzlich Torschüsse auf dem Trainingsplatz zu üben. „Ich habe ihm gesagt: Das brauchst du nicht! Dein Kopf und dein Körper wissen, wie man Tore schießt. Du hast das gemacht, seit du fünf Jahre alt bist. Also mach dir keine Sorgen, es wird kommen!“, sagte Tuchel.

Im Halbfinale der Champions League leistete sich Werner trotzdem den nächsten Fehlschuss, im Hinspiel gegen Real Madrid. Im Rückspiel traf er dann per Kopf zum 1:0 ins leere Tor. Hinterher scherzte er bei „Sky“ über die Situation: „Im Hinspiel war ich ein bisschen der Depp, weil ich aus fünf Metern den Ball nicht reingekriegt habe. Heute habe ich es aus fünf Metern noch ein bisschen einfacher bekommen, nämlich ohne Torwart sogar. Wäre schlimm gewesen, wenn ich den auch nicht reingemacht hätte.“ Die Lockerheit scheint er also nicht gänzlich verloren zu haben. Gute Voraussetzungen, um weitere Internet-Hits zu vermeiden.

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