Nach Fehlschuss gegen Italien Spanien-Star Morata ist die tragischste Figur dieser EM

Analyse | London · Alvaro Morata schlug im Turnierverlauf der Hass im Netz entgegen. Als Reaktion darauf zeigte er es seinen spanischen Landsleuten auf sportlicher Ebene. Im Halbfinale dieser Europameisterschaft wurde er dennoch zum tragischen Helden.

 Spain's Alvaro Morata and Jordi Alba, right, react at the end of the Euro 2020 soccer championship semifinal match between Italy and Spain at Wembley stadium in London, Tuesday, July 6, 2021. Italy defeated Spain 4-2 in a penalty shootout after the game ended tied 1-1 after extra time.(Facundo Arrizabalaga/Pool Photo via AP)

Spain's Alvaro Morata and Jordi Alba, right, react at the end of the Euro 2020 soccer championship semifinal match between Italy and Spain at Wembley stadium in London, Tuesday, July 6, 2021. Italy defeated Spain 4-2 in a penalty shootout after the game ended tied 1-1 after extra time.(Facundo Arrizabalaga/Pool Photo via AP)

Foto: AP/Facundo Arrizabalaga

Der Blick war leer, die Hände in die Hüften gestemmt, die tröstenden Worte der Mannschaftskollegen dürften im Jubel der Italiener im riesigen Wembley-Stadion verhallt sein. An diesem Abend konnte Alvaro Morata wohl ohnehin nichts trösten. Das EM-Halbfinale, das Italien mit 4:2 (1:1, 1:1, 0:0) im Elfmeterschießen für sich entschied, war für den spanischen Stürmer ein Spiegelbild des gesamten Turniers – in dem er zum tragischsten Helden von allen wurden.

Dabei schien es so, als könne Morata endlich alle negativen Dinge hinter sich lassen. 60 Minuten musste er im Halbfinale zwischen seinen Spaniern und Italien auf der Bank schmoren. Dann kam er für Ferran Torres ins Spiel und belebte es deutlich, schoss in der 80. Minute den längst überfälligen Ausgleich nach einer tollen Kombination mit Dani Olmo. Morata war es zu verdanken, dass Spanien sich überhaupt ins Elfmeterschießen schleppte. Wenngleich er die eine oder andere Chance auf einen weiteren Treffer liegen ließ. So wollte es das Schicksal, dass ausgerechnet er, der mit einer Italienerin verheiratet ist, seinen Versuch vom Punkt versemmelte. „Morata trifft und verrät dann Enrique“, titelt die italienische Zeitung „Tuttosport“ am Mittwoch. Nach ihm traf Jorginho und brachte Italien ins Finale. Morata und die Spanier hingegen müssen die Heimreise antreten.

Dieser Abend passte in seiner Gesamtheit in das Turnier – ja, vielleicht sogar in die Karriere – des Alvaro Morata. Stets hochgelobt konnte er die ganz großen Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, dann bisher doch nie richtig erfüllen. Bei Real Madrid ausgebildet schaffte er dort den Durchbruch nicht gänzlich. Über Stationen beim FC Chelsea und Atletico Madrid ist er nun auch für die kommende Spielzeit an Juventus Turin verliehen. Dort, ausgerechnet in Italien, läuft es für ihn am besten.

In Spanien setzen sie große Hoffnungen in ihn. Morata wurde stets behandelt wie ein Heilsbringer auf der Mittelstürmer-Position. Er gilt als wichtiger Vollstrecker im Team von Luis Enrique. Während der EM bekam er das deutlich zu spüren. Obwohl er im Halbfinale seinen dritten Turnier-Treffer erzielte und damit nun insgesamt sechs Tore bei Europameisterschaften schoss (eins mehr als der legendäre Fernando Torres), schlug ihm der Hass entgegen, weil er nach Ansicht einiger Nutzer im Netz zu viele Chancen hat liegen lassen.

„Ich weiß, dass ich in den letzten Spielen nicht so gut gespielt habe, wie ich es mir selbst erhofft habe. Besonders schlimm war es nach dem Polen-Spiel“, sagte er während der EM in einem Radio-Interview. Er wurde in Sevilla von den eigenen Fans ausgepfiffen. „Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ich habe viele Nachrichten erhalten, viele Beleidigungen an mich und meine Familie und mache Leute haben sogar geschrieben, dass sie meinen Kindern den Tod wünschen“, so Morata. Seine Familie soll sogar im Stadion bedroht worden sein.

Auch am Dienstagabend gab es wieder heftige Ausfälle im Netz. Alice Campello-Morata, Frau von Spaniens Mittelstürmer, machte Beleidigungen und Drohungen gegen den 28-Jährigen öffentlich. Sie postete am Mittwoch auf Instagram mehrere persönliche Nachrichten, die sich gegen sie, ihren Mann und die Kinder des Ehepaares richten. „Erinnern wir uns daran, dass es ein Sport ist, der die Menschen zusammenbringen soll, und der nicht dazu da ist, eurem Frust Luft zu machen“, schrieb seine Frau zu den Beleidigungen. „Ich hoffe wirklich, dass es in Zukunft strenge Maßnahmen gegen solche Personen geben wird: Das ist beschämend und inakzeptabel.“

Der 28-Jährige schlug sportlich zurück, traf dreimal im Turnierverlauf und ließ seine Kritiker verstummen. Im Achtelfinale gegen Kroatien war ihm es zu verdanken, dass Spanien überhaupt so weit kam im Turnierverlauf. „Alvaro Morata hat gezeigt, dass es nur wenige gibt, die in der Lage sind, das zu tun, was er getan hat“, schwärmte sein Trainer danach. „Morata wird noch beweisen, wie wichtig er für uns ist.“

Das wurde er dann auch durch seinen Treffer zum 1:1 im Halbfinale gegen Italien. Bis er in der Elfmeter-Lotterie wieder zum tragischen Helden eines ganzen Landes wurde. Es scheint, als könne Morata diese Rolle einfach nicht abschütteln.

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