Halbfinalist bei der EM 2021 Spaniens Team spaltet die Nation
Madrid · Das ganze Land drückt der Mannschaft bei der EM die Daumen? Weit gefehlt. In Katalonien und im Baskenland schlägt das Herz keineswegs für die Auswahl. Und selbst in der Hauptstadt ist man sauer auf den Trainer.
Das ganze spanische Königreich, so möchte man meinen, drückt im EM-Halbfinale Spaniens Nationalelf, die an diesem Dienstag gegen Italien antritt, die Daumen. Ganz Spanien? Nicht ganz. In den eigenwilligen spanischen Regionen Katalonien und Baskenland, wo sich die Menschen als eine eigene Nation ansehen, schlägt das Herz nicht unbedingt für das spanische Team. In diesen beiden Regionen leben immerhin etwas mehr als 20 Prozent der spanischen Bevölkerung.
Dass in Katalonien die Uhren anders ticken, machte gerade erst wieder der dortige regionale Regierungschef Pere Aragonès klar. Als er in einem TV-Interview gefragt wurde, welche Mannschaft er unterstütze, sagte er: „Die katalanische Nationalmannschaft.“ Kataloniens Team ist bisher nur ein Traum der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und wird vom europäischen Fußballverband Uefa nicht anerkannt. Doch das stört Aragonès wenig. Denn was nicht ist, kann ja noch werden.
„Ich werde dafür kämpfen, dass Katalonien künftig bei der EM vertreten ist, denn wir haben sehr gute Spieler“, sagt Aragonès. Letztere Aussage wird niemand bestreiten: Katalonien ist die Heimat des Spitzenklubs FC Barcelona, bei dem zum Beispiel der aktuelle Kapitän der Nationalelf, Sergio Busquets, unter Vertrag ist. „Barça“, wie der Verein kurz genannt wird, stellt seit vielen Jahren die meisten Spieler für das iberische Nationalteam. Bei dieser EM sind außer Busquets noch die Barça-Spieler Jordi Alba und Pedri González dabei.

Das sind die Halbfinal-Spiele
„Catalonia is not Spain“ (Katalonien ist nicht Spanien) prangt auf Transparenten, die üblicherweise im Camp-Nou-Stadion in Barcelona wehen. Die Barça-Fans skandieren gerne den Schlachtruf „In-Inde-Independencia“ (Un-Unab-Unabhängigkeit). Und natürlich schwenken sie im Stadion keine spanischen, sondern katalanische Fahnen, die oft mit einem fünfzackigen Stern geschmückt sind – dem Symbol der Separatisten.
Ähnlich sieht es im Baskenland aus, wo Spaniens Elf ebenfalls nicht beliebt ist. Die Nationalelf hat schon seit mehr als 50 Jahren nicht mehr in Bilbao, der größten baskischen Stadt, gespielt. Deswegen löste der Vorschlag des spanischen Fußballbundes, die drei ersten EM-Gruppenspiele Spaniens in Bilbaos Stadion zu organisieren, vor Ort wenig Enthusiasmus aus. Die Spaniengegner lancierten die Protestkampagne „Nein zur EM“. Und sie hatten Erfolg: Statt im Stadion von Athletic Bilbao, Verein des Nationaltorwarts Unai Simón, wurde schließlich im spanienfreundlichen Sevilla in Andalusien gespielt.
Neuerdings weht dem Nationalteam von Trainer Luis Enrique auch noch in der Hauptstadt Madrid der Wind entgegen. Dort, wo Spaniens „königlicher“ Klub Real Madrid beheimatet ist. Nicht wenige Madrid-Fans nehmen Enrique übel, dass er keinen einzigen Spieler der „Königlichen“ ins Nationalteam berief. Das gab es noch nie in der spanischen Fußballgeschichte. „Ungerecht ist dies“, schimpfte die Madrider Fangemeinde, die eine Verschwörung witterte. Zumal Enrique bekannte, dass er ein Fan von Barça sei, jenem Verein, bei dem er jahrelang spielte und später auch Trainer war.
Vergeblich versuchten Spaniens Medien vor dem Schicksalsspiel gegen Italien, den Streit um das Nationalteam zu schlichten. „La Roja“, wie die Elf wegen ihres roten Trikots genannt wird, sei doch eigentlich „das Team aller Spanier“. Leider nur nicht jener, bedauerte das Sportblatt „Marca“, die durch Fanatismus und „dem Fanschal vor den Augen“ blind für die Erfolge der Nationalkicker geworden seien.