Testpiel gegen DFB-Team Ungarn war mal ein Gigant

Budapest · Die ungarische Nationalmannschaft ist im Test gegen die DFB-Auswahl (18 Uhr/Live-Ticker) klarer Außenseiter. Vor mehr als einem halben Jahrhundert waren die Kräfteverhältnisse anders. Damals war Ungarn das Nonplusultra.

Ungarn schlägt Norwegen und löst EM-Ticket
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Die Geschichte des ungarischen Fußballs ist eine tragische. Der deutsche Trainer Bernd Storck führt eine neue Generation magyarischer Fußballer an, die sich endlich vom Joch der Vergangenheit freimachen will. Zuvor ist es nie gelungen, die überwältigenden Bilder der alten Zeit, in der ein ungarisches Team das Spiel revolutionierte, zu verdrängen. Überall, hat Storck gesagt, sind sie: die überlebensgroßen Erinnerungen an Ferenc Puskas, den Major, und seinen genialen Adjutanten, Nandor Hidegkuti. Er gilt als Urvater der Neuneinhalb, dieses Mischwesens aus Torjäger und Spielmacher, das heute die offensive Verheißung im modernen Fußball ist.

Die Ungarn trachteten nach der Verschmelzung von Effektivität und Schönheit. 1952 schien, als sei das gelungen, als die Nationalmannschaft in Helsinki das olympische Turnier gewann. Als es ein Jahr später das unfassbare 6:3 im Wembley-Stadion gab, die erste Niederlage des Fußballmutterlands auf eigenem Boden gegen ein nicht-britisches Team, gab es offenbar kein Halten mehr (das Rückspiel gewann Ungarn in Budapest mit 7:1).

Die Ungarn lösten das Positionsspiel auf, konnten taktisch variieren. Fast der ganze Rest der Welt spielte nach festem Schema, so dass schon ein einfacher Wechsel der Rückennummer ein Höchstmaß an Verwirrung stiftete, wie Christoph Biermann und Ulrich Fuchs in ihrem lesenswerten Buch "Der Ball ist rund, damit er die Richtung ändern kann" erzählen. Beim 6:3 in England stellte der englische Abwehrchef Harry Johnston fest, er habe niemanden zu decken gehabt - Hidegkuti schoss derweil drei Tore.

Deutschland - Ungarn: Fakten
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Der Stürmer, der überall war, die Verteidiger, die auch nach vorn gingen - "wir bemerkten bald, wie revolutionär unsere Taktik war, weil niemand vorher wusste, was auf ihn zukam, und es dann alle schwierig fanden, dagegen zu verteidigen", sagte damals Torwart Gyula Grosics. Von 1950 bis 1954 blieb die ungarische Nationalmannschaft in 31 offiziellen Länderspielen in Folge ungeschlagen. Dieses Team war ein Mythos - und wurde dann von einer Mannschaft geschlagen, die selbst zum Mythos wurde.

1953, als Ungarn in Wembley gewann, war Deutschlands Bundestrainer Sepp Herberger im Stadion und sagte danach: "Ich weiß, wie es geht." 1954 im WM-Finale wies er es nach. Deutschland siegte 3:2. Nach der WM blieb Ungarn zwei weitere Jahre unbesiegt, doch die Heldentaten magyarischer Balltreter sind schwarz-weiß geblieben. Es sind verkrisselte Bilder wie die auf der Internetplattform Youtube vom 6:3 in Wembley, das es immerhin in voller Länge zu sehen gibt. 1982 gab es in Spanien noch einmal ein Ausrufezeichen. Das 10:1 gegen El Salvador ist der höchste Sieg bei einer WM-Endrunde. 1986 war Ungarn in Mexiko zuletzt WM-Teilnehmer, bei Europameisterschaften war man zuletzt 1972 dabei. Dass es nun in Bernd Storck ausgerechnet ein Deutscher ist, der Ungarn zurückbringt auf die große Bühne, ist Ironie des Schicksals.

Storck hat das Team erst in der Schlussphase der EM-Qualifikation übernommen. Morgen fordert der ehemalige Dortmunder Bundesligaprofi mit der neuen Fußballgeneration in Gelsenkirchen den Weltmeister. Die Rollen sind ganz anders verteilt als 1954. Damals war Ungarn das Nonplusultra. Heute sind "Storcks Riesen" (Fußballfachmagazin "Kicker") der kleine Herausforderer. Die Spieler sind aber gewillt, ein neues Kapitel in der ungarischen Fußballgeschichte zu schreiben. Doch die Schatten der Vergangenheit sind sehr groß. Die Helden von einst aber sind ungekrönt. Das ist die Tragik des ungarischen Fußballs.

(RP)
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