Scharfzüngiger TV-Experte Scholl geht an die Schmerzgrenze

Düsseldorf · Mehmet Scholl kommentiert, wie er Fußball gespielt hat. Mit viel Witz. Mit Haken. Mit hohem Risiko. Bei dieser Spielweise geht auch schon einmal ein Ball verloren. Oder er schießt mit einer Bemerkung über das Ziel hinaus. Auf jeden Fall bietet er dem Publikum einiges. Mehmet Scholl ist der Mann für die überraschenden Wendungen.

Einen festen Platz im Zitatenschatz der Bundesliga hat ein, nun ja, politischer Spruch von ihm. "Hängt die Grünen, so lange es noch Bäume gibt", sagte er in jungen Jahren. Ziemlich geschmacklos war das. Doch Scholl gelang es, selbst diesen verunglückten Gag einzufangen. Als er ein paar Jahre später nach seiner Parteipräferenz gefragt wurde, sagte er mit einem Augenzwinkern, dass er "natürlich" die Grünen wähle: "Ich kann sie ja nicht hängen lassen."

Seit Samstagabend steht Mehmet Scholl, 41 Jahre alt und Experte im EM-Team der ARD, wieder im Mittelpunkt öffentlicher Debatten. Er ist an die Schmerzgrenze gegangen, manche meinen sogar: ein wenig darüber hinaus. Der 36-malige Nationalspieler kritisierte Auswahl-Stürmer Mario Gomez scharf, obwohl der das einzige Tor im Spiel gegen Portugal erzielt hatte. Scholl beklagte sich über die seiner Ansicht nach mangelhafte Laufarbeit des Angreifers: "Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wund liegt und mal gewendet werden muss." Scholl verlangte von dem Stürmer, dass er einfach mehr tut fürs Spiel. Fachlich lässt sich diese Forderung nachvollziehen.

Via Bild-Zeitung betonte Scholl gestern, dass er nichts gegen Gomez persönlich habe: "Ich bin Fan dieser Mannschaft, Gomez ist ein Teil von ihr." Über den Spruch, mit dem er für Erheiterung und Entsetzen gesorgt hatte, sagte er: "So was nehme ich mir nicht vor. Dieser Vergleich ist mir spontan eingefallen. Die Kameras vergesse ich häufig." Scholl steht zu seinem Wort.

Mit seinen Aussagen unterstreicht er seine Unabhängigkeit. So wie es sich für einen bekennenden Anhänger des Independent Rock eben gehört. Denn in dem gern von den Boulevard-Medien zum "Super-Mario" hochgejubelten Gomez kritisiert er ein Mitglied seiner FC-Bayern-Familie. Am 1. Juli tritt Scholl, der mit den Münchnern 15 Titel holte und als Intimus von Präsident Uli Hoeneß gilt, seinen Dienst als Trainer der zweiten Mannschaft an.

Als "Andersdenkenden" bezeichnet die ARD Scholl, der mit Reinhold Beckmann ein Duo bildet. Diesem Ruf ist er spätestens mit seiner Gomez-Kritik gerecht geworden. "Kompetenz, Witz und Professionalität" schätzt ARD-Programmdirektor Volker Herres an ihm. Mit seiner Frechheit und seinem Wortwitz stellt Mehmet Scholl Günter Netzer, seinen Vorgänger als Fernsehchefkritiker bei den großen Turnieren, jedenfalls klar in den Schatten.

(RP/can)
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