EM 2016 Physiker sagt: Deutschland wird Europameister

Vor jedem fußballerischen Großereignis kommen sie aus ihren Ecken gekrochen: vermeintliche Orakel, die ganz genau wissen, wie die WM, die EM oder zumindest das nächste Spiel ausgehen. Unvergessen ist Krake Paul. Doch es geht auch wissenschaftlich etwas fundierter.

 Physik-Professor Metin Tolan.

Physik-Professor Metin Tolan.

Foto: dpa

Sechs Jahre nach seinem Tod ist Paul immer noch unvergessen. Der Krake, der zur Europameisterschaft 2008 und zur Weltmeisterschaft 2010 in Oberhausen nicht nur fast alle Spiele der deutschen Mannschaft, sondern auch das WM-Endspiel richtig vorhersagte, hat die immer länger werdende Geschichte tierischer Fußball-Orakel begründet. Ihm folgten diverse Dackel, Schweinchen, Kühe - und neuerdings Koala Oobi-Ooobi. Doch es geht auch anders: Landauf, landab setzen Experten eher auf die Wissenschaft als auf tierische Instinkte, um die EM 2016 in Frankreich vorherzusagen.

Dabei ist für die Wissenschaft klar: Deutschland wird Europameister. "Mit der höchsten Wahrscheinlichkeit wird das deutsche Nationalteam den Titel holen", sagt der Physiker Metin Tolan von der Technischen Universität Dortmund, der seit 2006 alle großen Fußballturniere in Simulationen vorwegnimmt. Zumindest wenn die Elf so spiele, wie sie bei den vergangenen großen Turnieren gespielt hat. Schon bei den Weltmeisterschaften 2010 und 2014 sagte er Deutschland als Turniergewinner voraus - eine Trefferquote von 50 Prozent.

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 15 Prozent wird das Team von Jogi Löw in diesem Jahr auch den Europameister-Titel holen, sagt Tolan. "Jetzt kann man sagen "Boah, das ist aber wenig. Da bleibt ja noch über 85 Prozent Luft." Aber man muss bedenken, wenn 24 Mannschaften spielen und alle gleichstark wären, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, den Titel zu holen, ein Vierundzwanzigstel und das sind 4,2 Prozent."

Auf eine ganz ähnliche Zahl kommen auch Mathematiker der Uni Frankfurt, die die Seite Fußballmathe.de ins Leben gerufen haben. Mit 14,39 Prozent liegt Deutschland dort vor Spanien mit 13,78 Prozent und England mit 11,01 Prozent. Das gilt für die Standard-Einstellung, bei der Kriterien wie "Historische Ergebnisse", "Fifa-Punkte" und "Mannschaftswert" aus Sicht der Experten passend aufeinander abgestimmt sind.

"Sie können bei der Gewichtung der Kriterien variieren", sagt Matthias Ludwig, Professor für Didaktik der Mathematik. "Aber egal, welche Einstellung Sie wählen - Deutschland ist immer vorne." Schon für die EM 2012 und die WM 2014 hatten Ludwig und seine Kollegen ein ähnliches Projekt an den Start gebracht. Ihre Trefferquoten: 66 und 60 Prozent.

Auf den Marktwert stützen sich auch die Soziologen Jürgen Gerhards und Gert Wagner aus Berlin sowie Michael Mutz aus Gießen. Sie kommen laut "Tagesspiegel" damit zu folgendem Ergebnis: Deutschland wird die am Freitag beginnende EM wahrscheinlich gewinnen - nach einem Sieg gegen Spanien im Finale. Den Mannschaftswert der Deutschen bezifferten sie auf 562 Millionen Euro, knapp dahinter liegt Spanien mit 558 Millionen. Es folgen demnach Frankreich (487 Millionen), England (477 Millionen) und Belgien (461 Millionen). Die Teams mit dem geringsten Marktwert - und demnach den geringsten Chancen - stellen nach Ansicht der Forscher Ungarn (27 Millionen), Nordirland (36 Millionen) und Island (42 Millionen).

"Das Wichtigste für all diese Modelle ist es, die richtigen Variablen zu haben", betont Gunther Schauberger vom Seminar für angewandte Stochastik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Die Wettanbieter seien da Vorreiter.

Beim Buchmacher Tipico gilt derzeit Gastgeber Frankreich als Favorit - allerdings dicht gefolgt von Deutschland und Spanien. Die drei Teams schießen - zumindest laut Wettquoten - auch die meisten Tore. Krasse Außenseiter sind demnach Albanien, Nordirland und Ungarn. Als wichtige Kriterien nennt Wissenschaftler Schauberger neben dem Marktwert der Mannschaft und den Fifa-Punkten auch Verletzungsausfälle.

Auf ihre Ergebnisse festnageln lassen wollen die Wissenschaftler sich nicht. "Ein Fußballspiel einfach nur am Schreibtisch ausrechnen, das wird's nie geben", sagt Tolan von der Uni Dortmund. "Es bleibt also immer noch eine Menge Luft für uns Fans zum Daumendrücken."

Und für den Mathematik-Professor Ludwig aus Frankfurt ist etwas Anderes ohnehin viel wichtiger: "Das Hauptziel der Seite ist, zu zeigen, dass unbeliebte Themen wie Wahrscheinlichkeitsrechnung auch Spaß machen können", sagt er. Internetseiten zur Mathedidaktik würden seiner Erfahrung nach vielleicht 20 Mal pro Tag angeklickt. Bei Fußballmathe.de sind es dagegen 25.000 Klicks pro Tag.

(dpa)
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