Scouting-Team der Sporthochschule Löws "Schattenmänner" sezieren jeden Gegner

Köln · 600 Seiten Papier, 60 Stunden Video: Was sich nach dem Rohmaterial eines Hollywoodstreifens anhört, ist tatsächlich der Umfang eines Analyse-Dossiers zur Fußball-Nationalmannschaft von Portugal.

EM 2012: Das Team hinter der deutschen Mannschaft
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Foto: dpa

In sechsmonatiger Arbeit hat das "Scouting-Team Köln" Bundestrainer Joachim Löw ein Daten-Paket geschnürt, das absolut alles über den ersten Gruppengegner bei der EM verrät. Und "Jogis Schattenmänner" wissen um ihren Stellenwert für das Spiel am Samstag (20.45 Uhr/Live-Ticker) im ukrainischen Lemberg.

"Heiße Phase beginnt erst jetzt"

"Wir können zwar keine Tore schießen, aber diese zwei, drei Prozent Informationsvorsprung können auf dem Niveau entscheidend sein", sagt Professor Jürgen Buschmann, der die derzeit wohl wichtigste DFB-Außenstelle leitet. Mit rund 50 weiteren Helfern löst er dabei zunächst jede Schraube des gegnerischen Spiel-Gerüstes, um anschließend ein eigenes Werk zu konstruieren, das auch nur die kleinsten Mängel in der ursprünglichen Statik entlarvt. "Die ganz heiße Phase beginnt erst jetzt", sagt Buschmann.

Nicht nur die portugiesische Nationalmannschaft hat die "Arbeitsstelle für Scouting-Studien der Deutschen Sporthochschule" in mühevoller Kleinarbeit auseinander genommen. Bereits vor zwei Wochen wurden für Löw und seinen Stab Dossiers über alle Gruppengegner sowie die möglichen Viertelfinal-Konkurrenten erstellt. Jeweils fünf Leute sezieren eine Mannschaft und nehmen dabei bis zu zehn Begegnungen des Teams unter die Lupe. Dauer: rund sechs Stunden für ein Duell.

"Die Analyse beruht auf der eigenen Spielphilosophie", erklärt Buschmann: "Der Trainerstab wünscht sich unter qualitativen Scouting-Gesichtspunkten ganz bestimmte Aspekte, zum Beispiel das Angriffsverhalten, der Spielaufbau oder das Umschaltspiel." Man erstelle auch Einzelspieler-Analysen, jedoch nicht von Stars wie Portugals Cristiano Ronaldo: "Da weiß doch jeder wie der spielt", wiegelt Buschmann ab.

Lehmann-Zettel ein Highlight der Scouting-Geschichte

Angesprochen auf mögliche Elfmeterschießen gerät Buschmann ins Schwärmen. Erinnerungen kommen hoch. "Die Sache mit dem Lehmann-Zettel - das war natürlich ein Highlight in unserer Scouting-Geschichte." Unvergessen, wie Torwart Jens Lehmann bei der WM 2006 im Viertelfinale gegen Argentinien einen Fetzen Papier aus dem Stutzen zog und anschließend die Versuche von Esteban Cambiasso und Roberto Ayala abwehrte. Wie selbstverständlich erzählt Buschmann, dass man alle Elfmeter der letzten Jahre gescannt habe - dies gehöre einfach zum Standard.

Nunmehr seit 2005 besteht die Kooperation zwischen dem Scouting-Team aus der Domstadt und dem Deutschen Fußball-Bund: eine Idee des damaligen Bundestrainers und DFB-Reformers Jürgen Klinsmann. "Man wollte neue Wege gehen", sagt Buschmann rückblickend, "wir haben dann spontan entschlossen, die Nationalmannschaft zu unterstützen." Heute ist Scout Stephan Nopp beim Löw-Team in Danzig vor Ort und fungiert als Schnittstelle zwischen den Analytikern in Köln und Co-Trainer Hansi Flick sowie DFB-Chefscout Urs Siegenthaler.

Nach sechsmonatiger Analyse und unzähligen rezipierten Team-Berichten rechnet Buschmann nicht mit einem Überraschungssieger, wie es Griechenland 2004 war: "Die Favoriten sind die üblichen Verdächtigen, insbesondere Spanien und Deutschland. Jedoch sind für mich die Spanier immer noch der erste Titelanwärter." Mit einem Schmunzeln schiebt er dann noch eine Prognose nach, die beruhigend klingt und Hoffnung macht: "Aber ich gehe jedoch davon aus, dass wir nicht ein drittes Mal gegen Spanien verlieren werden."

(sid)
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