Analyse zur EM-Auslosung in Kiew Löw: "Die sind schon auch gut"

Düsseldorf/Kiew · Im Kunstpalast von Kiew ging ein Raunen durch die Menge. Joachim Löws ohnehin nicht so fülliges Gesicht wurde noch ein bisschen schmaler. Sein Assistent Hansi Flick schaute ziemlich entgeistert drein. Löw saugte geistesabwesend an einem Stift wie an einer Zigarette. Es beruhigte ihn offensichtlich nicht.

EM-Auslosung 2012: Pressestimmen
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Foto: RPO

Deutschland hat nach langer Zeit mal überhaupt kein Glück gehabt bei der Auslosung eines großen Fußballturniers. In der Vorrunden-Gruppe B der Europameisterschafts-Endrunde in Polen und der Ukraine bekommt es die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes mit Portugal, den Niederlanden und Dänemark zu tun. "Ich glaube", sagte Löw, als er sich vor den Kameras ein bisschen gefasst hatte, "das ist die stärkste und ausgeglichenste Gruppe."

Das war ein fachkundiges Urteil. Und Löw hatte natürlich prominente Unterstützer in seiner Einschätzung. Bert van Marwijk, den Coach der Niederländer, zum Beispiel. Der ehemalige Trainer von Borussia Dortmund war allerdings längst schon auf der Suche nach der kleinen positiven Erkenntnis auf Gold gestoßen. "Das ist schwer, aber auch ein Vorteil", erklärte er, "denn wir sind sofort motiviert. Und wir kennen jeden Gegner." Von Deutschlands Qualitäten hat sich seine Auswahl unlängst im Testspiel in Hamburg überzeugen können, das Löws Team mit 3:0 gewann. "Ich habe da Erkenntnisse gewonnen", sagte der Niederländer, "aber ich werde sie nicht verraten."

Zu seinen Einsichten wird gehören, dass seine Mannschaft ohne Rafael van der Vaart, Arjen Robben und Robin van Persie sicher ein bisschen schwächer ist, als die Weltrangliste aussagt. Dort rangiert Holland auf Rang zwei. Und so schätzt Löw diesen sicher besten Gruppengegner auch ein. Das Testspiel sei kein Maßstab für die wahre Stärke des Vizeweltmeisters, sagte Löw, beim EM-Spiel in der Ukraine werde Holland ein ganz anderer Kontrahent sein als in Hamburg.

An Portugal hat Löw ganz gute EM-Erinnerungen. Vor drei Jahren bei der Endrunde in Österreich und der Schweiz machte seine Mannschaft beim 3:2 gegen eine zuvor sehr starke Auswahl Portugals ihr bestes Turnierspiel. Diesmal muss sie sich gegen das Team um den Weltstar Cristiano Ronaldo schon im Auftaktspiel auf Betriebstemperatur bringen. "Der Start in so ein Turnier wird ganz wichtig", stellte der ehemalige Nationalspieler Mehmet Scholl als TV-Experte fest.

Dänemark gilt als Außenseiter dieser Gruppe. Aber auch diese Mannschaft steht hoch in Löws Gunst. "Die Dänen waren immer ein Turnierteam", erklärte der Bundestrainer, "sie arbeiten aus dem Kollektiv und gehen völlig unbelastet in das Turnier. Sie sind gefährlich." Ein Blick in die gemeinsame EM-Geschichte belegt das. Eine Dänen-Elf, die als Nachrücker für Jugoslawien aus dem Urlaub zusammengetrommelt worden war, gewann 1992 das Finale gegen Deutschland. Die Truppe von Berti Vogts war nach allen Regeln der Wissenschaft auf die Endrunde vorbereitet worden.

Das wird natürlich auch diesmal der Fall sein. Löws Trainerteam wird sich nicht auf der überragenden Qualifikationsbilanz mit zehn Siegen in zehn Spielen ausruhen. Auch die hervorragende Form in den Testspielen gegen Holland und Brasilien (3:2) qualifiziert die DFB-Elf nicht sogleich fürs Finale. "Am Ende, das weiß man doch, zählt, wer bei der EM die beste Form hat", betonte Löw, "wir haben noch ein halbes Jahr vor uns. Da kann viel passieren."

In Kiew passierte gestern dies: Die ganz große Siegesgewissheit der Deutschen ist gedämpft. Dem DFB-Manager Oliver Bierhoff ist das ganz recht. "Es war schon viel zu viel Euphorie", stellte er fest, "aber es gibt ja auch ein paar positive Aspekte." Zu denen rechnet er die Tatsache, dass die Mannschaft nach erfolgreicher Vorrunde zu den Finalspielen nach Polen zurückkehren kann. Das macht einiges leichter, weil die Mannschaft trotz ihrer drei Gruppenspiele in der Ukraine in Gdansk (Danzig) wohnen wird.

Als Joachim Löw sich wieder ganz im Griff hatte, erhob er die Endrunde in einen historischen Rang. "Das ist die Hammer-EM", sagte er. Zu den Favoriten rechnet er gleich neun Teams: "Uns, na klar, Spanien, Holland, England, Frankreich, die Veranstalter Polen und Ukraine, Italien und Portugal." Und die anderen? "Die sind schon auch gut."

(RP/chk/csr)
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