Deutschland gegen Polen Die Rückkehr nach Saint-Denis

Saint-Denis/Düsseldorf · Am 13. November 2015 wütet der Terror in Paris und Saint-Denis. Die deutsche Elf ist dort und muss aus Sicherheitsgründen im Stade de France übernachten. Am Donnerstag tritt sie erstmals wieder in diesem Stadion an.

EM 2016: Jogi Löw trägt Torwarthandschuhe im Training
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Löw trägt im Abschlusstraining für Polen Torwarthandschuhe

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Foto: dpa, hpl

Es ist sieben Uhr am Morgen des 14. November 2015. Dann kommt das Signal. Der Tross der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kann endlich zum Flughafen gebracht werden. 60 Menschen wollen einfach nur weg. Sie haben die Nacht aus Sicherheitsgründen auf knapp 70 Quadratmetern im Stade de France verbracht. Am Vorabend hatten sie ein Freundschaftsspiel in Saint-Denis vor den Toren von Paris gegen Frankreich absolviert. Während die Partie lief, wütete der Terror im Stadionumfeld und im Pariser Stadtgebiet. Mehr als hundert Menschen wurden getötet. Am Donnerstag, 216 Tage danach, tritt die deutsche Elf wieder im Stade de France an - zum EM-Gruppenspiel gegen Polen (21 Uhr/Live-Ticker). Die Verantwortlichen beim Deutschen Fußball-Bund sind bemüht, mögliche Ängste zu reduzieren. Doch der Umgang mit Ängsten ist sehr individuell.

In der Kabine von Paris habe er "kein Auge zugemacht", verrät Bundestrainer Joachim Löw nach der Terrornacht. So ergeht es auch vielen Spielern. Manche beten, manche lenken sich mit Spielen auf ihrem Smartphone ab, manche unterhalten sich die ganze Nacht, um das Geschehene irgendwie zu verarbeiten. Jerome Boateng sagt: "Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens."

Sieben Monate danach steht Boateng im Teamquartier in Evian und erläutert, warum seine Familie nicht nach Frankreich reist: "Das muss nicht sein - gerade auch mit den Kindern. Für mich war wichtig, dass ich den Fokus voll auf den Fußball lege und nicht besorgt sein muss, was rund ums Stadion passiert", sagt er. Der deutsche Verteidiger hat entschieden, dass seine Familie in Deutschland bleibt und nicht wie üblich zur Unterstützung mit zum Turnier kommt. Zu groß ist die Befürchtung vor erneuten Terrorakten während der EM.

Ehefrauen und Lebensgefährtinnen anderer Akteure hingegen werden am Donnerstag im Stadion sitzen. "Jeder Spieler geht anders mit dieser Thematik um", sagt Innenverteidiger Shkodran Mustafi. Für ihn sei es ein normales Spiel, auf das er sich normal vorbereiten werde. "Wir haben unsere Aufgabe, um das andere kümmern sich andere." Französische Behörden versprechen, "das höchstmögliche Sicherheitsniveau erreicht zu haben". 12.000 Sicherheitskräfte beschützen das Sportfest. 34 Millionen Euro wurden für die Maßnahmen ausgegeben. Doch was heißt das schon? Absolute Sicherheit kann niemand garantieren.

Der DFB betonte direkt nach den Anschlägen, dass er den Spielern zur Seite stehen werde. Wer im Team Gesprächsbedarf hat, kann sich an Hans-Dieter Hermann wenden. Der Sport-Psychologe arbeitet seit 2004 mit dem DFB zusammen, ist vor Ort in Evian. "Wenn man Risiken oder Gefahren einschätzt, dann hängt das immer stark davon ab, wie dicht man an etwas dran ist oder dran war", sagte Hermann kurz vor dem Turnier der "Badischen Zeitung". "Die Nähe zu dem Ereignis ist groß gewesen. Ich finde es daher ehrlich, zu sagen: Klar, da ist noch etwas, aber ich schiebe es zur Seite. Es wäre naiv, zu denken: Da war etwas, aber es kommt nie wieder vor."

Mut darf den Akteuren machen, dass die bisherigen zwei EM-Spiele im Stade de France reibungslos über die Bühne gingen. Die Sicherheitskräfte scheinen aufmerksam. Vor der Partie zwischen Irland und Schweden wurde ein verdächtiges Paket entdeckt, ein Eingangstor sofort geschlossen. Fehlalarm.

Im deutschen Team gibt zumindest öffentlich keiner zu, dass ihn Sorgen vor der Dienstreise nach Saint-Denis umtreiben. "Ich fühle mich sicher im Moment. Es gibt keinen Anlass zur Sorge, denke ich. Wir hoffen, dass das so bleibt", sagt Boateng. Das war vor der Rückkehr ins Stade de France gestern. Am Abend versammelte sich das Team zum Abschlusstraining im Stadion im Pariser Vorort. Von außen betrachtet, sah alles aus wie immer. Was sich aber in den Köpfen abspielte, kann keiner beurteilen.

(erer)
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