Nationalmannschafts-Manager Bierhoff warnt vor übertriebenen Erwartungen

Tourettes · Vor 16 Jahren machte Oliver Bierhoff höchstpersönlich den deutschen Traum wahr, in diesem Sommer will er als Verantwortlicher ebenfalls mal wieder den EM-Pokal in den Händen halten.

EM-Test 2012, Deutschland - Schweiz: Fakten
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Foto: dpa, Andreas Gebert

"Der Titel ist für die Spieler und die Fans gleichermaßen wichtig. Nach den guten Platzierungen streben wir alle danach, nach 1996 endlich mal wieder einen Titel nach Deutschland zu holen. Wir wissen, dass wir aufgrund unserer Leistungen zu den Titelfavoriten gehören und nehmen diese Rolle auch an", sagte der 44-Jährige im EM-Trainingslager der DFB-Auswahl in Südfrankreich im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID).

"Bewegen uns auf dünnem Eis"

Bierhoff, der mit seinem Golden Goal beim 2:1 gegen Tschechien im EM-Finale 1996 in London Geschichte geschrieben hat, weiß aber, dass der Titel kein Selbstläufer ist. "Wir wissen auch, dass es der Titel kein Muss sein darf und wir uns bei der großen Konkurrenz bei einer Euro auf dünnem Eis bewegen. Zudem hat man bei den vergangenen Turnieren, nicht zuletzt 2004 beim Titelgewinn Griechenlands gesehen, dass sich nicht immer die spielerisch beste Mannschaft durchsetzt. Das Champions-League-Finale Bayern München gegen den FC Chelsea ist dafür ebenfalls ein gutes Beispiel", sagt Bierhoff und warnt vor übertriebenen Erwartungen.

Selbst wenn es im dritten Turnier unter Bundestrainer Joachim Löw, der bislang Vize-Europameister und WM-Dritter wurde, mal richtig schieflaufen sollte, was bei einer Vorrundengruppe mit Portugal, Vize-Weltmeister Niederlande und Dänemark im Bereich des Möglichen liegt, würde das Große und Ganze nicht gefährdet. "Ich sehe generell keine Ansätze, dass bei unserer Gesamtentwicklung etwas aus den Fugen geraten könnte, wenn es mal einen Rückschlag geben sollte", sagt Bierhoff, der gar nicht erst an einen "Worst Case" in Polen und der Ukraine denken will.

"Solche Gedanken beschäftigen mich nicht, auch wenn man auf alle Szenarien vorbereitet sein muss. Klar ist doch, dass es im Fußball schon alles gegeben hat und wir auch schon unsere eigenen Erfahrungen gemacht haben. 2008 standen wir kurz vor dem Aus und sind dann ins Finale gekommen. Wenn wir das erste Spiel gegen Portugal in den Sand setzen, stehen wir gleich wieder unter Druck", sagt der frühere DFB-Kapitän, der vor acht Jahren zunächst mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann und dann mit dessen früheren Assistenten Löw den dreimaligen Welt- und Europameister Schritt für Schritt aus der Krise geführt und wieder in der Weltspitze etabliert hat.

Top-Mannschaft das Werk von Löw

"Die Mannschaft hat sich kontinuierlich weiterentwickelt, ist immer stärker und auch immer jünger geworden. Nach dem Vorrundenaus bei der EM 2004 musste Jürgen Klinsmann die Mannschaft bis zur WM 2006 im eigenen Land neu ausrichten. Als Manager habe ich damals außerhalb des sportlichen Bereiches mit Jürgen und seinem Trainerteam viele neue Wege eingeschlagen", erinnert sich Bierhoff, der vor allem Löws großen Anteil am Erfolg würdigt: "2008 war mit Jogi Löw schon eine Weiterentwicklung zu beobachten und danach gab es vor allem mit unseren U21-Europameistern einen zusätzlichen Schub. 2010 haben wir dann eine Mannschaft gesehen, die klar den Stempel von Joachim Löw getragen hat. Die Mannschaft ist mehr und mehr sein Werk geworden."

Ebenso wie bei Klinsmann ist auch bei Löw eine optimale Betreuung und Vorbereitung der Mannschaft gewährleistet, die sich der Deutschen Fußball-Bund (DFB) pro Turnier jeweils rund 20 Millionen Euro (einschließlich der möglichen Prämien) kosten lässt.

"Wir versuchen bei der Vorbereitung und beim Turnier die besten Rahmenbedingungen für die Spieler zu schaffen, lassen auch immer wieder die neuesten Erkenntnisse aus der Sportwissenschaft mit einfließen", berichtet Bierhoff, der aber auch weiß: "Klar ist, dass man den Erfolg nur bedingt kaufen kann." Spezialisten für Yoga und Kinesiologie sollen aber die Arbeit der Physios und Fitnesstrainer unterstützen und neue Reizpunkte setzen.

In den Genuss dieser alternativen Trainingsmethoden kommen ab dem Pfingstwochenende auch die acht Bayern-Spieler, die am Samstagabend im DFB-Quartier erwartet werden. Bierhoff ist sicher, dass die Integration von Philipp Lahm und Co. rasch gelingt und das Vize-Trauma schnell überwunden wird: "Ich mache mir in dieser Hinsicht keine allzu großen Sorgen, denn die Münchner werden sich ganz schnell wieder auf das neue Ziel fokussieren und die negativen Erlebnisse der vergangenen Wochen vergessen."

(sid)
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