Christoph Kramer im Interview "Der EM-Titel ist unser großes Ziel"

Der Weltmeister will sich mit Bayer Leverkusen in der Bundesliga steigern und freut sich auf die Europameisterschaft. Im Interview spricht er über Anpassungsschwierigkeiten in Leverkusen und deutliche System-Unterschiede.

 Chistoph Kramer hat in Leverkusen noch nicht den Christoph Kramer gesehen, den er gerne sehen würde.

Chistoph Kramer hat in Leverkusen noch nicht den Christoph Kramer gesehen, den er gerne sehen würde.

Foto: afp, tob/iw

Im sonnigen Orlando, Florida (USA) bereitet sich Christoph Kramer (24) derzeit mit Bayer Leverkusen auf die Rückrunde der Fußball-Bundesliga vor. In der Tabelle steht die Werkself, zu der der Weltmeister vor der Saison aus Mönchengladbach gewechselt war, auf Platz fünf.

Herr Kramer, Sie machen nach Ihrem ersten halben Jahr in Leverkusen kein Geheimnis daraus, dass Sie die Hinrunde nicht zufriedenstellt.

Kramer Auf dem Papier stehen wir mit 27 Punkten, der Teilnahme am Pokalviertelfinale und an der Europa League nicht schlecht da, trotzdem sind wir mit dem Verlauf der Hinrunde alle nicht so richtig zufrieden, was ich als gutes Zeichen werte. Wir hatten alle höhere Erwartungen. Das zu sagen, finde ich nicht verwerflich.

Sie sprechen die Dinge vergleichsweise offen an.

Kramer Kritik zu üben, ist ein schmaler Grat, weil sie auch falsch ausgelegt werden kann. Vielleicht sehe ich manche Dinge etwas zu negativ. Aber was ich im Nachgang zu einigen Spielen gesagt habe, damit hatte ich sicher nicht unrecht. Wir hatten sehr gute Spiele, aber eben auch einige schlechte. Darüber ärgere ich mich dann, weil ich weiß, wie gut wir sein können. Doch es fehlte die Konstanz, die notwendig ist, um in der Tabelle weiter vorne zu stehen.

Fühlen Sie sich als Weltmeister in der Verantwortung, kritisch zu sein?

Kramer Das ist keine Frage nach dem Status im Team. Ich versuche immer, mit mir und Fragen zur Leistung ehrlich umzugehen.

Nach dem Geschmack einiger Leute haben Sie in der Vergangenheit vielleicht etwas zu häufig offen Ihre Meinung gesagt.

Kramer Das war sicherlich so. Aber ich habe daraus gelernt.

Welches Zeugnis stellen Sie sich seit Ihrer Rückkehr zu Bayer 04 aus?

Kramer Ich hatte meine Schwankungen. Ich war sehr zufrieden mit den letzten Spielen vor der Winterpause. Es waren aber einige Spiele zu viel, in denen ich nicht mit meiner Leistung zufrieden war.

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Worin sehen Sie die Gründe?

Kramer Der Wechsel nach Leverkusen und damit verbunden der Wechsel vom Stil eines Lucien Favre zum System von Roger Schmidt war eine krasse Umstellung, die ich so nicht erwartet habe. Ich habe mir viele Spiele von Bayer angeschaut. Die Umstellung von einem Extrem ins andere, ist schon nicht so ohne. Dass mir aufgrund dessen in der Hinrunde etwas die Konstanz abging, ist vielleicht normal. Es soll auch nicht so rüberkommen, dass ich unzufrieden bin, aber es war sicher noch nicht der Christoph Kramer, wie ich ihn gerne sehen würde.

Können Sie konkretisieren, was die Anpassung so schwierig macht?

Kramer Ich nenne unser System gerne ein geplantes Chaos: extremes Gegenpressing, frühes Bälle erobern und manchmal eben geplante Ballverluste. Das ist ein anderer Ansatz als in Gladbach. Sogar meine Mutter — und die ist Laie — sieht den Unterschied. Daran muss man sich erst gewöhnen.

Roger Schmidt hat Sie zum Ende der Hinrunde in die Pflicht genommen und indirekt mehr Einflussnahme auf das Spiel gefordert.

Kramer Es ist auch mein Anspruch, in Leverkusen eine gewisse Konstanz zu finden, die mich in Mönchengladbach begleitet hat. Und dort meine Rolle so auszufüllen, wie ich sie von meinem Naturell auch ausfüllen möchte.

War es für Sie schwerer als Weltmeister in einen Verein zu kommen?

Kramer Zum VfL Bochum und nach Gladbach bin ich als No-Name-Profi gewechselt. Beide Male als Leihspieler. Die Erwartungshaltung ist natürlich eine andere, wenn man als Weltmeister angekündigt wird.

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Interessiert Sie weiterhin, was bei Borussia passiert?

Kramer Natürlich, ich treffe mich regelmäßig mit den ehemaligen Kollegen, oder schaue im Borussia-Park vorbei, weil ich mich noch sehr verbunden mit den Leuten fühle.

Haben Sie Kontakt zu Lucien Favre?

Kramer Wir schicken uns ab und zu eine SMS — mehr nicht.

Was kann man von Bayer 04 in dieser Saison noch erwarten?

Kramer Wir wollen auch nächste Saison Champions League spielen, also muss unser Ziel einer der ersten vier Plätze sein. Das klappt nur, wenn wir in allen Bereichen zulegen und eine bessere Halbserie spielen. Um die 60 Punkte werden nötig sein. Das hieße: Wir müssten sechs Punkte mehr holen als in der Hinrunde.

Für Sie als Nationalspieler ist die EM im Sommer der Saisonhöhepunkt.

Kramer Ich hoffe, dass ich gesund bleibe und dabei bin.

Wie sehen Sie die Titel-Chancen?

Kramer Von einem Weltmeister erwartet man, dass er auch um den EM-Titel spielt. Das ist sicher unser großes Ziel, doch insbesondere die K.o.-Spiele stellen eine Riesenherausforderung dar.

Joachim Löw hat als Ziel den Gewinn des vierten EM-Titels ausgegeben, betrachtet dieses Turnier aber auch nur als "wichtiges Zwischenziel" auf dem Weg zur WM 2018. Wie blicken Sie auf die Europameisterschaft?

Kramer Ich habe noch nicht so viele Turniere gespielt und weiß nicht, wie klein oder groß eine EM ist. Für mich sind Turniere immer ein Highlight. Das schauen sich die Leute an, die Begeisterung ist groß, und für uns Fußballer ist es etwas Besonderes.

Kann diese junge deutsche Mannschaft eine ähnliche Dominanz wie die Spanier bekommen, die Welt- und Europameister wurden?

Kramer Ich glaube, dass Deutschland schon jetzt eine gewisse Dominanz besitzt. Seit Joachim Löw Trainer ist, stand das Team immer mindestens im Halbfinale und hat sich keinen Patzer bei einem Turnier erlaubt. Da kann man schon von einer guten Serie reden. Die gilt es, in Frankreich fortzusetzen.

Sie waren dabei, als in Paris Anschläge verübt wurden. Trübt so etwas die Vorfreude auf ein solches Event?

Kramer Das war ein schlimmes Erlebnis. Was wir dort im Stadion erlebt haben, übertraf alles, was ich mir bis dahin vorstellen konnte. Es herrschte Ausnahmezustand. Das hat mich schon beschäftigt.

Sie sind erst 24 . Wie geht die Geschichte Christoph Kramer weiter?

Kramer So jung schon Weltmeister zu sein, darauf bin ich sehr stolz. Wie überhaupt die letzten fünf Jahre eine prägende Zeit waren. Ich habe mir nie ein Ziel gesetzt. Fußballer sein zu dürfen, ist ein Privileg. Mir war immer wichtig, Freude an diesem schönen Sport zu haben. Das ist mehr wert als Titel zu gewinnen.

Was würden Sie gerne mal machen, wenn sie nicht Fußballer wären?

Kramer Ach, im Moment genieße ich das und würde daran nichts ändern wollen. Aber Freunde von mir sind im WM-Jahr neun Monate durch Brasilien gereist. So etwas würde mich schon mal reizen.

(RP)
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