"Tschuttiheftli" zur Fußball-EM Das etwas andere Sammelalbum

Düsseldorf · Das "Tschuttiheftli" ist eine Alternative zu den üblichen Fußball-Sammelalben. Es setzt auf Kunst und zeigt die Stars der EM in Frankreich als Karikaturen. Der Kölner Illustrator Günter Phiesel hat die belgischen Kicker in Acryl gemalt.

Tschuttiheftli, eine Alternative zu Panini Stickern
16 Bilder

Fußballkunst zum einkleben und sammeln

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Foto: Tschuttiheftli

Ein Bild hat Phiesel doppelt. Vincent Kompany, der Kapitän der belgischen Fußball-Nationalmannschaft, der Charakterkopf, der sei ihm beim ersten Versuch in die Hose gegangen. Darum lehnt er gleich zweimal in Acryl an der Wand des Kölner Ateliers. Der Gesichtsausdruck auf einem der Bilder stimme nicht, sagt der Illustrator, der den Innenverteidiger für das Schweizer "Tschuttiheftli" zur EM in Frankreich noch mal neu malte.

"Tschutten" bedeutet auf Schweizerdeutsch kicken. Das "Tschuttiheftli", erstmals zur EM 2008 in der Schweiz von sportverrückten Luzernern herausgegeben, ist also ein Fußball-Sammelalbum. Mit Porträt-Klebebildern der Stars. Und nein, nicht wie bei Panini, sondern vielschichtiger, kreativer, rebellischer. Ganz anders halt. Das "Tschuttiheftli", in dem auf 60 Seiten 365 Sticker gesammelt werden können, ist die künstlerische Alternative zum Panini-Kommerz — 680 Bilder auf 96 Seiten — mit den Fußballerköpfchen. Die Kicker der 24 EM-Teams werden von 24 internationalen Künstlern gezeichnet oder gemalt, nicht herkömmlich fotografiert. Wer bis zum Ende dranbleibt, der baut eine farbenfrohe Kunstsammlung auf, die einem das Turnier versüßt. Der Sammler bekommt einen Überblick über die verschiedenen Gestaltungsstile zeitgenössischer Porträt-Illustration.

Phiesel, freischaffender Künstler, malt klassisch, mit gedeckten Farben, eher zurückhaltend. Er sei eben nicht so der "Pop-Art-Typ", sagt der 48-Jährige, der sich Fußballer wie Gladiatoren vorstellt, die dem Publikum ein Spektakel liefern. Sie strahlen Stärke aus, aber auch Verletzlichkeit. Belgiens Superstar Eden Hazard, beim englischen Erstligisten FC Chelsea unter Vertrag, starrt den Sammler regelrecht an, als könne es das Mittelfeldass gar nicht erwarten, endlich loszulegen.

Hazard wirkt, als wäre Phiesels Bild kurz vor dem Anpfiff eines entscheidenden EM-Qualifikationsspiels entstanden. Ernst und konzentriert. Vielleicht wird gerade die Nationalhymne gespielt. Der Mund steht offen. Hazard singt mit. Könnte sein. Jedenfalls sieht es nicht so aus wie bei Panini, wo alle Schwiegermonsters Lieblinge wie Wachsfiguren in die Kamera schauen, als bräuchten sie ein neues Bild für ihren Personalausweis, hätten es aber nur kurz vor knapp in die Fotobox beim Einwohnermeldeamt geschafft. Tschutti-Bilder will man nicht nur ins Heft, die will man an Wände kleben. Am liebsten überdimensional an die Wohnzimmerwände, mit einem schucken Rahmen drum.

Die gestalterische Freiheit der Künstler, die unentgeltlich arbeiten, ist groß. Nicht alle malen authentische Porträts der Fußballer. Kaum etwas ist bierernst gemeint. Die Spanier, als Comic-Figuren, bekamen alle im Gesicht einen Kuss aufgedrückt. Bei Gökhan Inler, schwarz-weiß gezeichnet, mit einem irren Blick, pulsiert die Halsschlagader, als würde er es allen beweisen wollen. Immerhin sitzt der Schweizer Nationalspieler beim englischen Fast-Meister Leicester City in der laufenden Saison meist auf der Bank. Das macht sicher leicht reizbar. Die Spieler der Ukraine sind als Finger dargestellt. Künstler Benedikt Notter aus Luzern musste sich halt irgendwas Kreatives aus den Fingern ziehen. Und das gelang.

Für die Eidgenossen oder die Ukrainer interessierte sich Phiesel, als Kölner selbstverständlich Fan des 1. FC Köln, nicht so sehr. Auch nicht für die Deutschen, bei denen Thomas Müller oder Marco Reus auftauchen. "Die Gesichter der Löw-Jungs kennt man halt, das war für mich nicht so spannend." Er bewarb sich für die Belgier, die Spanier und die Portugiesen, nachdem er 2015 bei einer Ausschreibung die Mitarbeit am EM-Album 2016 gewann. Das Thema der Wettbewerbs: malt Zinedine Zidane. Ein "ausdrucksstarker Typ", findet Phiesel. Bis zum vergangenen August musste der Kölner ein Porträt der Frankreich-Legende einreichen. Im November kam die Zusage. Es wurden die Belgier. Im Januar waren seine Bilder fertig: elf Spieler, der Trainer und eine Selbsdarstellung des Künstlers. Phiesel malte eine pickelige Fantasie-Gestalt, mit Hut und Krückstock. "Ich hatte keine Lust, mein Gesicht auf Laternen kleben zu sehen", erklärt der Kölner, der im Schnitt drei Tage für eines seiner Bilder benötigte. Für den doppelten Kompany etwas länger.

Seit dem 9. April ist das Kult-Sammelalbum im Handel. Startauflage: vier Millionen Sticker, also 400.000 Tüten, die übrigens in einem Gefängnis abgepackt und versandt werden. Bei den Weltmeisterschaften 2014 in Brasilien begannen die Macher mit zwei Millionen Bildern, 2,5 Millionen wurden am Ende verkauft. Zum Vergleich: Panini im italienischen Modena produziert seit Ende Februar täglich sieben bis acht Millionen Sticker-Tüten, allein in Deutschland gibt es rund 70.000 Verkaufsstellen. Die Hoffnungen der Schweizer ruhen indes auf dem österreichischen Nationalteam, das sich nach 2008 wieder für eine Euro qualifiziert hat. Dazu gibt es in manchen Tschutti-Sammeltüten, die zehn Sticker enthalten, ein abschwaschbares Tattoo. Im Album findet sich auch eine Doppelseite zu den "All Stars" des europäischen Frauen-Fußballs.

Mit dem "Tschuttiheftli", das in der Schweiz, in Österreich und Deutschland erhältlich ist, machen sich die Herausgeber nicht die Taschen voll. Das Projekt trägt sich finanziell, es bietet den Künstlern eine Plattform und es unterstützt karitative Organisationen. Beim EM-Heft arbeiten die Macher mit "Terre des Hommes" zusammen, einem entwicklungspolitischem Hilfswerk aus der Schweiz, das in zehn Ländern Afrikas und Lateinamerikas wirkt. Neun Cent pro Stickertüte sind für den guten Zweck.

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