Vernichtende Kritiken für Final-Leistung Frankreichs Pogba hechelt sich selbst hinterher

Saint-Denis/Düsseldorf · Die Zahlen bescheinigen ihm ein gutes Turnier. Trotzdem hat Paul Pogba bei der EM enttäuscht, besonders im Finale. Das Etikett des teuersten Fußballers der Welt wird ihn erst Recht nicht zum besten machen.

 Weltfußballer? So wird das nichts, Paul Pogba.

Weltfußballer? So wird das nichts, Paul Pogba.

Foto: afp

Aufgefallen ist es nicht, weil es in dem Moment irrelevant war, und in dieser Szene eine besondere Symbolik zu sehen, wäre auch etwas weit hergeholt. Trotzdem, fürs Protokoll: Paul Pogba hat am Sonntagabend den letzten Ballkontakt der EM 2016 gehabt. Der Franzose gewann ein Kopfballduell gegen Portugals Siegtorschützen Eder. Noch bevor der Ball wieder auf dem Rasen landete, pfiff Schiedsrichter Mark Clattenburg ab.

Anschließend folgten die Kameras natürlich der portugiesischen Jubeltraube, Cristiano Ronaldo bekam wie die beiden Trainer eine eigene Kamera, Pogba ist dagegen nur in der Totalen zu erkennen: Hände hinter den Kopf, ein Zupfer am Trikot, stapfende Schritte, ein hektischer Richtungswechsel. Ende der Aufnahme.

Es gibt Profis, für die nun mehr Pause ist als für andere. Auch Pogba wird Urlaub machen, dafür muss man nicht investigativ bei allen Fluggesellschaften der Welt nachhaken, aber in erster Linie wird er seine Zukunft ordnen und ordnen lassen. Falls der 23-Jährige seinen Klub Juventus Turin verlässt, wird die Frage die gleiche sein, wie wenn Usain Bolt zu einem großen 100-Meter-Finale antritt: Gibt es einen neuen Weltrekord oder nicht?

Vertraut man den unterschiedlichen Quellen, also in erster Linie Pogba, seinem Berater Mino Raiola und dem Umfeld des Mittelfeldspielers, ist die Weltrekord-Wahrscheinlichkeit sehr groß. Eine dreistellige Millionensumme schwirrt fast schon dogmatisch durch die Gerüchteküche. Die Erde ist eine Scheibe, was denn sonst?

Real Madrid soll sich nach Angaben von "Sky Sport News" aus dem Wettbieten zurückgezogen haben, hier darf man gerne auf die Symbolik verweisen, wenn es selbst den "Königlichen" zu teuer wird. Manchester United ist jetzt der Top-Favorit, Raiola hat dort in diesem Sommer bereits seine Klienten Zlatan Ibrahimovic und Henrich Mchitarjan untergebracht.

Auf einer ethischen Basis ist die Diskussion, ob ein Fußballer, ein Mensch oder ein Pogba so viel Geld wert sind, gar nicht zu führen. Die Antwort kann nur "nein" lauten. Also rücken die Bedingungen eines Marktes in den Mittelpunkt, der in einer immensen Inflation steckt — und der Wahnsinn dürfte gerade erst begonnen haben.

Der ehemalige englische Nationalspieler Robbie Fowler hat sich am Wochenende in einer Kolumne für den "Daily Mirror" zur Pogba-Debatte geäußert und geschrieben, dass er den Franzosen für "massiv überbewertet" hält. "Bei Manchester Uniteds Interesse an der Verpflichtung von Paul Pogba geht es nur darum, auf dem Transfermarkt Zähne zu zeigen — weil sie es können."

Schwer zu sagen, welcher Preis vor fünf Jahren für einen Spieler wie Pogba aufgerufen worden wäre, als in der englischen Premiere League der Tabellenletzte noch nicht mehr Fernsehgeld kassierte als der FC Bayern. Fernando Torres ging damals im Rahmen eines überstürzten Winterdeals für 58 Millionen Euro vom FC Liverpoool zum FC Chelsea. Im Sommer 2011 holte Manchester City den Argentinier Sergio Aguero für 40 Millionen Euro von Atletico Madrid. Für 60 Millionen Euro hätte Juventus Turin sich damals sicherlich überzeugen lassen, Pogba abzugeben. Für 70 auf jeden Fall.

Aber wir schreiben den Sommer 2016, und es ist davon auszugehen, dass United nicht mit einem Ausdruck der Einzelkritik zum EM-Finale in Turin erscheint, um den Preis zu drücken. Traditionell verteilt die französische "L'Equipe" Noten von 1 bis 10, Pogba hat eine 4 bekommen — und es in die Überschrift geschafft. "Pogba, die Enttäuschung", steht über der ausführlichen Bewertung, die mit Konjunktiven beginnt, wie groß dieser Abend in Saint-Denis für Pogba hätte werden sollen, können, müssen. Doch "L'Equipe" stellt nicht nur fest, dass Pogba "nichts Wirksames zustande gebracht habe", sondern konstatiert auch: "Viel wird nicht hängenbleiben von seinen Auftritten." Welcher Klub auch immer bereit sei, womöglich 100 Millionen Euro Ablöse aufzubringen, habe "Stand jetzt keine Garantie, dass sich das Investment rentiert".

Pogba hat schon zu Beginn seiner Zeit bei Juventus vollmundig verkündet, irgendwann einmal den "Ballon d'Or" für den Weltfußballer des Jahres gewinnen zu wollen. Da war er gerade bei seinem alten Klub aussortiert und ablösefrei abgegeben worden. Dass der Klub Manchester United hieß, macht das, was sich nun anbahnt, noch interessanter.

So ganz gibt sich Pogba mit der Zielsetzung von damals nicht mehr zufrieden. Im Frühjahr sagte er gegenüber "La Repubblica": "Ich will eine Legende werden, wie Pelé oder Maradona. Oder sogar noch mehr. Ich sage nicht, dass ich der Stärkste bin, nur dass ich es werden möchte." Wer möchte das nicht?

Und dann sind da noch Ambitionen, einen neuen Typus von Mittelfeldspieler zu erschaffen. Objektiv gesehen ist das Gesamtpaket Pogba tatsächlich kein herkömmliches. Der 1,91 Meter große Fußballer mit den langen Beinen hat in Italien den Spitznamen "Krake Paul" verpasst bekommen. Elegante Präsenz prägt sein Spiel. Pogba kann mit rechts und links schießen, sein Kopfballspiel ist stark, wie die Isländer bei seinem einzigen EM-Tor im Viertelfinale erfahren mussten. Theoretisch kann Pogba alles, er kann dieses "alles" nur noch nicht richtig einsetzen. Er hat allerdings nach vier kompletten Saisons bereits 127 Liga-, 41 Europapokal- und 38 Länderspiele absolviert. Irgendwann läuft die Frist ab, in der nachsichtig auf sein Alter verwiesen wird.

Die Statistikseite "Whoscored.com" hat nur 13 Spieler bei dieser EM besser gesehen. Die teils vernichtenden Kritiken, obwohl er zumindest ein ordentliches und in einzelnen Phasen einzelner Partien gutes Turnier gespielt hat, haben Pogba und sein Umfeld selbst heraufbeschworen. Auf der Weltfußballer-in-spe-Skala waren das tatsächlich nur vier von zehn möglichen Punkten.

Pogba hat in seiner Karriere schon so viel versprochen, dass er es gar nicht halten kann. "Ich will anders sein. Ich will tun, was noch niemand getan hat." Schwer vorstellbar, dass ein 100-Millionen-Euro-Preisschild plötzlich die Demutsphase einläutet, wenn Pogba in Manchester hinter Ibrahimovic spielt und José Mourinho auf der Trainerbank sitzt. Eher läuft Usain Bolt die 100 Meter unter neun Sekunden.

(jaso)
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