EM-Modus in der Kritik Die Krux mit den Gruppendritten

Düsseldorf · Warten, Wettbewerbsverzerrung und Verwirrung: Der neue EM-Modus, bei dem auch die vier besten Gruppendritten ins Achtelfinale kommen, gerät immer mehr in die Kritik. Sogar die Türkei hat nach zwei Pleiten und einem Sieg noch Chancen auf das Achtelfinale.

Die besten Gruppendritten der EM
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Foto: dpa, sam

Seit Sonntag hängt Albanien in der Luft. Der EM-Neuling hat im letzten Gruppenspiel durch ein 1:0 gegen Rumänien Platz drei in Gruppe A gesichert — und trainiert seitdem auf Abruf. Denn erst am Mittwochabend entscheidet sich, ob die drei Punkte und ein Torverhältnis von 1:3 für das Achtelfinale reichen. Drei Tage zwischen Hoffen und Bangen. Auch für die Fans heißt das: Erst mal weiter das Hotel bezahlen. Und dann vermutlich doch nach Hause fliegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Albanien am Ende unter den Top Vier der Gruppendritten liegt, ist gering.

Ein wenig besser stehen — völlig unverhofft — die Chancen der Türkei. Nach dem 0:1 gegen Kroatien und dem 0:3 gegen Spanien zogen die Türken am Dienstagabend durch den 2:0-Sieg gegen Tschechien in der Tabelle der Gruppendritten durch die mehr erzielten Tore (2:4) an Albanien vorbei. "Manche Mannschaften, die nach zwei Spielen einen Punkt haben, haben noch Chancen. Das finde ich vielleicht nicht ganz so gerecht", hatte Bundestrainer Joachim Löw vor einigen Tagen gesagt. Albanien und die Türkei standen nach zwei Spielen sogar bei null Zählern.

Und jetzt droht auch noch Wettbewerbsverzerrung. So weiß zum Beispiel Island vor seinem letzten Gruppenspiel gegen Österreich ganz genau, dass ein Remis reicht, um sicher über die Tabelle der Gruppendritten ins Achtelfinale zu kommen. Island hätte dann ebenso wie die Türkei drei Punkte auf dem Konto, nach drei Unentschieden aber ein ausgeglichenes Torverhältnis.

Die Teams der Gruppen, die schon vorher gespielt haben, hatten diesen Vorteil des Taktierens nicht. Das beste Beispiel ist die WM 1986, an der ebenfalls die "krumme" Zahl von 24 Teams teilnahm: Am letzten Tag der Vorrunde wusste Uruguay schon vor Anpfiff, dass ein Remis reichen würde, um zu den besten Dritten zu gehören. Das Spiel gegen Schottland endete, Überraschung, 0:0.

Zudem ist der Quervergleich der Gruppendritten sportlich fragwürdig. Drei Punkte in einer "Todesgruppe" können wesentlich schwieriger zu erreichen sein als vier Zähler gegen Fußball-Zwerge. Doch was am Ende zählt, sind die Punkte — und dann Tordifferenz, erzielte Tore, Fair-Play-Verhalten, Uefa-Koeffizient.

Zudem, so sagen Kritiker, wirkt sich der Modus auch auf die Qualität der Spiele aus. "Wir sehen nicht mehr so viele gute Spiele. Gestern die Slowakei, sie haben sich zurückgezogen und den dritten Platz angepeilt, heute Nordirland, sie machen nicht mehr richtig was", sagte der frühere DFB-Kapitän, der das 1:0 der Deutschen bei der EM gegen Nordirland am Dienstag wie üblich für den US-Sportsender ESPN analysierte. Beide Teams sind als Gruppendritte bereits sicher durch.

Alle seien verwirrt von dem neuen Modus. "Für die kleinen Teams ist es gut, es gibt ihnen eine Möglichkeit, in die nächste Runde zu kommen", sagte Ballack. "Aber auf der anderen Seite kritisiere ich ein bisschen die Qualität der Spiele, wenn sich die Teams nur noch für den dritten Platz qualifizieren wollen. Die EM war immer für ihre hohe Qualität bekannt, mit 16 Teams, sehr kompakt, sehr konkurrenzbetont, das geht jetzt ein bisschen verloren."

(areh/dpa/sid)
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