Deutsche Firma produziert EM-Grün Der Rasen ist für alle gleich

Düsseldorf · Die spanische Mannschaft hatte sich vor ihrem EM-Auftaktspiel gegen Italien darüber beschwert, dass die Spielfläche in Danzig zu trocken und stumpf sei. Die Saat für diesen Rasen kommt von einer Firma aus Nordhorn, die den spanischen Ärger nicht nachvollziehen kann.

EM 2012, Gruppe C: Spanien - Irland
18 Bilder

EM 2012, Gruppe C: Spanien - Irland

18 Bilder

Rasen ist Ansichtssache. Das ist nicht erst seit dieser EM, als sich die Spanier und die Holländer über die Spielflächen beschwerten, klar. Auch bei der WM 2002 gab es Nationen, die an den Gräsern etwas auszusetzen hatten: In Japan und Südkorea meckerte Dänemarks Trainer Morten Olsen, dass der Rasen stumpf sei. Dieselbe Beschwerde brachten nun die Niederländer (schon vor ihrer 0:1-Niederlage gegen Dänemark) und die Spanier (schon vor ihrem 1:1 gegen Italien) an. Während aber die Dänen von 2002 nicht eine Reduzierung ihrer Spielkultur fürchteten, argumentierten die Niederländer und Spanier von 2012 damit, dass sie ihr Kurzpassspiel bei diesen Bedingungen nicht aufziehen könnten.

Die Spanier legten sogar eine offizielle Beschwerde bei der Europäischen Fußball-Union (Uefa) ein, die als Ausrichter der EM federführend in allen Angelegenheiten ist. Der Rasen in ihrem Spielort Danzig sei zu trocken, werde deswegen stumpf, das erhöhe die Verletzungsgefahr, argumentierten sie. Als "Desaster" und "Horror" hatten die Stars vom FC Barcelona, Andres Iniesta und Xavi, den Untergrund bezeichnet.

Gräser haben Stress

Das sind Bezeichnungen, die zwei Männer für "ihren" Rasen nicht allzu gerne hören: Holger Otte und Carsten Audick sind Berater beim Rasenhersteller Everris aus Nordhorn — der Firma, die den Rasen gezüchtet hat, der zur Nachsaat in vier EM-Stadien — darunter Danzig — verwendet wurde. "Es kommt bei einem Spiel ja auch darauf an, wie eine Mannschaft auf dem Rasen spielt", sagt Otte und ergänzt: "Das, was die Spanier gespielt haben, war ja auch nicht berauschend." Und Audick meint: "In Spanien gibt es auch andere Gräser. Die sind also vielleicht einfach etwas anderes gewöhnt." Der Rasenexperte erklärt, dass dieselbe Grassorte sich an anderen Orten ganz anders verhalten kann: "Die Temperaturen in Polen sind natürlich andere als in Spanien. Das sind die Gräser nicht gewöhnt. Der Stressfaktor für die Pflanzen, zum Beispiel durch stärkere Sonneneinstrahlung, ist in Spanien wesentlich höher. Da kann es sein, dass sich der Rasen da weicher anfühlt."

Einer, der seit mehr als 30 Jahren bestens weiß, wie sich Rasen wann anfühlt, ist Dieter Prahl — der Greenkeeper im Stadion des Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen. Zum Ansatz der Spanier, das Geläuf sei zu stumpf, sagt er: "Man findet immer Ausreden." Prahl meint: "Beide Mannschaften spielen auf demselben Rasen. Was man vom Fernsehen aus beobachten kann, rollt der Ball bei den Spielen ordentlich. Die Farbe ist gut, die Schäden halten sich in Grenzen. Ich bin mit den Rasenflächen in Polen und der Ukraine fernsehtechnisch gesehen zufrieden." Prahl weiß, dass Uefa und der Weltverband Fifa alles bis ins Detail reglementieren — auch die Rasenpflege, die strengstens dokumentiert werden muss. Zur neuen Saison in der Bundesliga hat auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) die Anforderungen an die Greenkeeper erhöht: "Alles wird mit Laser vermessen. Das müssen wir ebenso wie die Ebenflächigkeit, den Deckungsgrad und die Wasserdurchlässigkeit des Rasens genau dokumentieren." Für Prahl kein Problem: "Wir wollen ja gute Plätze und dass keiner meckert. Deswegen dokumentieren wir das gerne."

Im Reglement der Uefa spielen in puncto "Beschaffenheit des Spielfeldes" unter anderem Begriffe wie "Mikroumfeld des Stadions", "Makroumfeld des Stadions" oder "Verstärkungen im Wurzelbereich" eine Rolle. In Handbüchern wird allen Verbänden und Vereinen genau erklärt, wie der Untergrund zu gestalten ist und wie der Rasen gepflegt werden muss. "Regelmäßiges Mähen führt zu einem dichteren Bewuchs und verbessert das Erscheinungsbild des Spielfeldes", schreibt die Uefa etwa. "Die Mäher müssen auf die richtige Schnitthöhe eingestellt sein", heißt es weiter. "In der Bundesliga sind Schnitthöhen bis 28 Millimeter üblich", erklärt Prahl. "In Leverkusen haben wir normalerweise 25 Millimeter. Wenn der Trainer sagt, er hätte jetzt gerne 20 Millimeter, wird das von uns umgesetzt." Was das Wässern des Platzes angeht, berichtet Prahl: "Wasser macht den Ball schneller. Vor dem Spiel müssen sich beide Mannschaften einigen, ob der Rasen gewässert werden soll. Will eine Mannschaft das nicht, darf nicht gewässert werden."

Im Fall von Spanien wollte Italien nicht, dass der Rasen vorab gewässert wird — also beschwerten sich die Spanier über das zu trockene Geläuf. Mittelfeldspieler Sergio Busquets fand: "Der trockene Platz hat uns sehr beeinträchtigt. Das ist, als ob man beim Basketball die Drei-Punkte-Linie nach hinten verlegt, um zu verhindern, dass der, der viele Dreier wirft, das weiter macht." Die Spanier reagierten auf die ihrer Meinung nach irregulären Platzverhältnisse an ihrem Spielort Danzig höchst eigenwillig: Trainer Vicente del Bosque ließ das Abschlusstraining vor der Partie gegen Irland im Team-Quartier Gniewino abhalten — natürlich nicht, ohne den Rasen vorher ausgiebig wässern zu lassen.

(RP/areh)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort