Italiens Häuptling will den EM-Pokal Andrea Pirlos bleibende Momente

Vor einem Jahr wurde er beim AC Mailand ausgemustert. Nun sorgte der Italiener Andrea Pirlo bei der EM-Endrunde für bleibende Momente - und will im Finale gegen Spanien erneut triumphieren.

EM 2012, Spanien - Italien: Vorschau
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Er sei wie Mozart, das Musikgenie. Der größte Spieler der Geschichte des Landes. Der Busen, an dem sich ganz Italien nährt. Wenn Medien, Mitspieler und Experten während der EM von Andrea Pirlo schwärmten, benutzten sie die buntesten Bilder. Für Deutschland jedoch war der 33-Jährige zum zweiten Mal nichts als ein Schreckgespenst.

Das Fachmagazin 11 Freunde hat den genialen Strategen der italienischen Nationalmannschaft aufgrund des Äußeren als "Apachen-Häuptling" bezeichnet. Würde man ihm einen Indianer-Namen geben, er könnte lauten: "Der den Jogi in die Falle trieb."

Es war allein oder zumindest in erster Linie die Angst vor Pirlo, die Bundestrainer Joachim Löw zu seinem taktischen Eigentor im Halbfinale (1:2) verleitete. Predigt Löw sonst das Motto "Agieren statt Reagieren", so nahm er für Pirlo einen Paradigmenwechsel vor, der vollends in die Hose ging. Und so spielte am Sonntagabend Italien statt Deutschland im Finale gegen Spanien um den EM-Titel.

Schon bei Italiens WM-Triumph 2006 in Deutschland war Pirlo überragend gewesen. Sein genialer Pass auf Torschütze Fabio Grosso zwei Minuten vor Ende der Verlängerung war es, der im Halbfinale das deutsche Sommermärchen beendete. Nach diesem Spiel und auch nach dem Finale gegen Frankreich wurde er zum besten Spieler des Spiels gewählt.

Was den AC Mailand geritten hat, Pirlo im vergangenen Sommer mit 32 als überaltert auszusortieren, gleichzeitig aber die "Rentner-Combo" mit Filippo Inzaghi (heute 38), Flavio Roma (37), Alessandro Nesta (36), Gianluca Zambrotta, Mark van Bommel (beide 35) und Gennaro Gattuso (34) noch ein Jahr durchzuschleppen, wird man wohl nie erfahren. Es war ein Fehlurteil, das Löws taktische Patzer bei weitem in den Schatten stellt. Pirlo wechselte zu Juventus Turin und führte die "alte Dame" als Spieler der Saison zum Titel.

"Ich danke Massimo Allegri, der mich nicht mehr wollte", sagte er mit ironischen Grüßen an den Milan-Coach. Bei Juve sind sie von "l'architetto", dem Architekten, der seit Dezember 2010 kein Spiel in der Serie A verlor, dagegen begeistert. "Er allein hat eine Gruppe guter Spieler in eine Spitzenmannschaft verwandelt", sagte Teamkollege Simone Pepe.

Auch in der Nationalelf ist allen bewusst, dass es Pirlo ist, der oft den Unterschied zum Rest Europas ausmacht. Daniele de Rossi spielt bei seinem Verein AS Rom am liebsten auf Pirlos Position, bei der Squadra Azzurra würde er nie wagen, sie zu beanspruchen. "Der Platz ist eben besetzt", sagt er lapidar: "Von einem der größten Spieler in der Geschichte des italienischen Fußballs."

Dennoch schmunzelten einige vor der EM, als Pirlo versicherte, er sei in der Form seines Lebens. Das EM-Finale am Sonntag war bereits sein 56. Pflichtspiel in dieser Saison, für einen 33-Jährigen eine Menge Holz. Doch Pirlo gestaltete das Spiel seiner Mannschaft bei der EURO aus dem defensiven Mittelfeld ruhig und abgeklärt. "Sein Herz schlägt 35-mal pro Minute", sagte der frühere italienische Nationalspieler Gianluca Vialli als BBC-Experte und erklärte unter Verwendung eines englischen Sprichworts: "Pirlo ist cool wie eine Gurke."

"Er ist mehr als die halbe Nationalelf", schrieb die Gazzetta dello Sport, die während des Turnier endgültig zum Pirlo-Fanmagazin wurde. So fragte die Gazzetta, ob Pirlo aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht geklont werden könne, und stellte fest: "Es fehlt nur noch, dass er Wasser in Wein verwandelt." Auch Trainer Vicente del Bosque von Endspielgegner Spanien ist begeistert: Von ihm stammt das Bild mit dem Busen, der "ganz Italien nährt".

(sid)
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