Sicherheit im Fußball Was die Zahlen der Polizei aussagen - und was nicht

Düsseldorf · Mehr als 10.000 Personen sind bundesweit in der „Datei Gewalttäter Sport“ registriert. Fast jeder dritte ist Fan eines Fußballklubs aus NRW. Die Polizei-Gewerkschaft nennt die Sicherheitslage rund um die Stadien „angespannt“. Fans kritisieren das als „Panikmache“.

 Fans von Köln und die Polizei geraten nach einem Spiel in Mönchengladbach im Jahr 2015 aneinander.

Fans von Köln und die Polizei geraten nach einem Spiel in Mönchengladbach im Jahr 2015 aneinander.

Foto: dpa, fg nic

Das erste Bundesliga-Spiel der Saison war noch nicht angepfiffen, da kam es zum großen Zerwürfnis zwischen dem organisierten Teil der Fußballfans auf der einen Seite und der Deutschen Fußballliga (DFL) sowie dem Deutschen Fußballbund (DFB) auf der anderen: Weil der bisherige Dialog zwischen den „Fanszenen Deutschlands“ und den Verbänden aus Sicht der Fans fruchtlos geblieben war, wurden weitere Gespräche von Seiten der Fans abgesagt. In den Gesprächen ging es unter anderem um weniger Spieltermine unter der Woche und die Abschaffung von Kollektivstrafen gegen Fans durch das DFB-Sportgericht. Mittels Bannern in den Stadien kündigten die Anhänger kurz darauf in Richtung DFL und DFB an: „Ihr werdet von uns hören.“

Was vonseiten Seiten der Fans vor allem als eine Ankündigung zu „noch engagierterem Protest“ verstanden werden soll, macht manchen Polizeivertreter unruhig. Michael Mertens, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen, sieht „eine erhebliche Belastung auf die Polizei zukommen“. Der Abbruch der Gespräche zwischen Fans und Verbänden mache die Situation für die Polizei „unabwägbarer“, so Mertens. Die Sicherheitslage rund um die NRW-Spielorte sei insgesamt „konstant angespannt.“

Dazu passt, dass fast jeder dritte mutmaßliche Problemfan, der in der sogenannten „Datei Gewalttäter Sport“ gespeichert ist, einem Fußballverein aus NRW zuzuordnen ist. Das bestätigte das Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste in NRW (LZPD) unserer Redaktion. Demnach ziehen die NRW-Klubs der 1. bis 4. Liga rund 3100 der bundesweit 10.200 Fans an, deren Personalien im September in der „Gewalttäter-Datei“ gespeichert sind. Rund 4300 Betroffene wurden aufgrund von Vorfällen in ganz NRW registriert.

Vergleichbare Daten für alle Bundesländer konnten die Behörden nicht zur Verfügung stellen. Unstrittig ist jedoch, dass Nordrhein-Westfalen aufgrund der hohen Vereinsdichte – allein in der Bundesliga spielen fünf Klubs aus NRW – eine Spitzenposition einnimmt. Immerhin: „Die Zahl ist seit einiger Zeit recht konstant“, sagte Behördensprecher Jan Schabacker. Laut Schabacker variieren die Zahlen täglich: „Es braucht nur ein großes Ereignis und es gibt mehrere Hundert neue Registrierungen.“ Dennoch ist die Tendenz klar fallend. Im Sommer 2015 waren in ganz Deutschland rund 13.000 Personen erfasst, im März 2017 immer noch rund 11.000.

Die Datenbank und ihre Aussagefähigkeit über die Sicherheitslage ist allerdings auch umstritten: Zum einen haben nur rund 1700 der erfassten „Gewalttäter Sport“ ein bundesweites wirksames Stadionverbot. Zum anderen reicht schon der Verdacht, künftig eine Straftat begehen zu können, um in die Datei aufgenommen zu werden. So sind rund 880 Personen erfasst, deren Daten lediglich von der Polizei festgestellt wurden, 1150 wurde ein Platzverweis erteilt, dem allergrößten Teil, rund 4000 erfassten Personen, wird Landfriedensbruch vorgeworfen – allesamt recht harmlose Delikte.  „Entgegen dem Titel muss der Betroffene keine Gewalttat begangen haben oder anderweitig im Zusammenhang mit Gewalttätigkeiten aufgefallen sein“, sagt Strafverteidiger Andreas Hüttl von der Arbeitsgemeinschaft Fan-Anwälte. Eine Löschung der Daten ist auch nach einer Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nicht vorgesehen. Die Datei wird deshalb von Juristen, Datenschützern und Fußballfans immer wieder kritisiert.

Unterdessen bilanziert die Bundespolizei, die im Rahmen von Fußballspielen für die Sicherheit in Bahnen und Bahnhöfen zuständig ist, eine positive Entwicklung. So benahmen sich an- und abreisende Fußballfans in der Saison 2017/2018 deutlich besser als noch in der Spielzeit 2016/2017. Die Zahl der Straftaten ging von 1720 auf 1343 um rund 22 Prozent zurück. Gleichzeitig sank die Zahl der Einsätze von 1642 auf 1575, die Zahl der mit der Bahn reisenden Fans stieg von 3,5 auf 3,6 Millionen.

Dass Fußball-Anhänger häufig pauschal als Gefahr des öffentlichen Friedens wahrgenommen werden, stößt Fanvertretern sauer auf: „Äußerungen von Politikern oder Polizeigewerkschaftern legen häufig der Eindruck nahe, Fußballstadien seien gefährliche Orte. Dies steht in einem eklatantem Widerspruch zum Eindruck derer, die tatsächlich Fußballspiele besuchen und sich in aller Regel völlig sicher fühlen“, bekundet Sig Zelt, Sprecher der Vereinigung „Pro Fans“. Er sagt: „Die Fußballfans sind es zunehmend leid, als ein Sicherheitsrisiko betrachtet zu werden.“

Ein Blick auf weitere Zahlen verrät jedoch auch, dass sich die Situation in und um die Stadien nicht entspannt hat. Eine Anfrage unserer Redaktion bei den Polizeistellen aller Bundesligisten ergab, dass die Zahl der eröffneten Strafverfahren in der vergangenen Saison leicht angestiegen ist. Für die im Mai beendete Spielzeit 2017/2018 gingen die Werte an acht Standorten zurück, bei acht Vereinen stieg der Wert teils deutlich an. Insgesamt wurden 2527 Ermittlungsverfahren eröffnet, im Vorjahr waren es 2310. Hannover und Dortmund konnten noch keine Angaben machen (die bundesweit genauen Zahlen werden erst im Oktober veröffentlicht). Auffällig bei der Abfrage waren vor allem zwei Standorte in NRW: Während die Mönchengladbacher Polizei einen Rückgang der Strafanzeigen um mehr als 30 Prozent bilanzierte, verdoppelten sich die Verfahren rund um die Heimspiele des 1. FC Köln von 156 (2016/2017) auf 324 in der Abstiegssaison. „Diese Steigerung ist vor allem mit einer deutlich gestiegenen Gewaltaffinität in der Fanszene zu erklären“, sagte ein Sprecher der Polizei Köln.

Zu Beginn der neuen Saison Mitte August stand Köln dann gleich im Fokus der Polizei und Öffentlichkeit. „Die Vorfälle nach dem Spiel gegen Union Berlin stimmen uns nicht gerade hoffnungsvoll“, sagt GdP-Chef Mertens. Nach dem ersten Zweitliga-Heimspiel hatten Kölner Hooligans einen Bus mit Gästefans massiv attackiert, 28 Personen wurden anschließend vorläufig festgenommen. Für solche Vorfälle hat dann auch Fansprecher Sig Zelt kein Verständnis. Er fürchtet um die Folgen für alle Fans: „Kein vernünftiger Mensch hat etwas dagegen, wenn gravierende Straftaten konsequent verfolgt werden. Allerdings darf nicht der Eindruck entstehen, als herrschten beim Fußball zuweilen bürgerkriegsähnliche Zustände. Dem ist nicht so.“

Polizei-Gewerkschafter Mertens sieht durch den Kölner Abstieg nunmehr zunehmend personelle Engpässe auf die Polizei zukommen. „Wir haben nun nahezu jede Woche sieben Tage am Stück Fußballspiele zu begleiten.“ Denn in der zweiten Liga sind Montage allwöchentliche Spieltage, mit Köln kommt nun ein fünfter NRW-Zweitligist hinzu. Mertens fordert deshalb vor allem von der Fußball-Liga mehr Fingerspitzengefühl bei der Terminierung der Spiele – ähnliche Forderungen stellen auch die Fans. Und auch der folgende Satz könnte anstatt vom GdP-Landeschef auch von einem Fußballfan kommen: „Die Deutsche Fußballliga kennt unsere Belastung, aber sie ist manchmal einfach beratungsresistent.“

(cbo)
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