Trainer Zinedine Zidane Früher Künstler, heute Pragmatiker

Düsseldorf · Als Spieler war Zinedine Zidane einer der größten seiner Zeit. Und auch als Trainer von Real Madrid schickt er sich an, in kürzester Zeit Geschichte zu schreiben. Seine Leistung wird dabei oft unterschätzt. In Madrid scheint seine Zeit begrenzt.

Zinedine Zidane: Weltfußballer, Weltmeister, Hitzkopf
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Das ist Zinedine Zidane

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"Alle, nur bloß nicht Juve", hatte Zidane vor der Achtelfinal-Auslosung in der Champions League gesagt. Seiner "alten Liebe" Juventus Turin wollte er aus dem Weg gehen, ein Wunsch, der ihm lange erfüllt wurde — bis zum Endspiel. Nun ist ein Aufeinandertreffen mit jenem Verein, bei dem er zwischen 1996 und 2001 in seinen Worten zum "Mann gereift" ist, unausweichlich. Natürlich für ihn ein "besonderes Erlebnis". Juventus steht allerdings auch zwischen ihm und Einmaligem: In seiner erst 17-monatigen Trainerlaufbahn kann er bereits zum zweiten Mal die Königsklasse gewinnen. Doch wenn über die großen Trainer der Gegenwart gesprochen wird, fällt der Name Zidane relativ selten.

Als Spieler vermochte er diesem an sich simplen Spiel mit 22 Akteuren, zwei Toren und einem Ball wie nur wenige vor und nach ihm etwas Fesselndes zu verleihen. "Künstler", riefen sie ihn und beschrieben seine Art zu spielen als "elegant" und "magisch". Champions League, WM, EM, etliche nationale Titel und dreimal Weltfußballer — Zidane hat alles gewonnen. Mit seinem Wechsel zu Real Madrid wurde er 2002 mit 73 Millionen Euro Ablöse zum damals teuersten Spieler der Welt. Zur Faszination Zidane gehörte aber auch sein Makel: Ausraster und Platzverweise wirkten wie wilde Farbkleckse in einem an sich perfekten Gemälde. Dramatischer Höhepunkt war sein Kopfstoß im WM-Finale 2006 gegen Marco Materazzi. In seinem letzten Spiel. Als hätte es so kommen müssen.

"Er lebt ausschließlich von seinem großen Namen als Spieler"

Dennoch zeichnete Zidane als Spieler eine grundsätzliche Zurückhaltung aus, durch rege Kommunikation fiel er nicht auf. Als introvertiert bezeichneten ihn die einen, andere würden eigenbrötlerisch sagen. Kann so jemand ein guter Trainer werden? Die Skepsis bei seiner Berufung als Trainer von Real Madrid im Januar 2016 war groß. Ottmar Hitzfeld nannte die Entscheidung gar "Wahnsinn". "Er lebt ausschließlich von seinem großen Namen als Spieler", urteilte der ehemalige Bayern-Trainer damals im Schweizer "Blick". Zuvor hatte Zidane etliche Stationen bei Real Madrid durchlaufen, war als Botschafter, Berater, Sportdirektor und zuletzt als Übungsleiter der Amateure in der dritten Liga tätig. "Was ich mag, ist Fußball, was ich verstehe, ist Fußball, worin ich gut bin, das ist Fußball", drückte es Zidane einst aus.

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Seine Zeit bei Real Madrid Castilla, der zweiten Mannschaft von Real, war von Licht und Schatten geprägt. Die Sache mit Jungstar Martin Ödegaard bekam er nicht ganz in den Griff, den angestrebten Aufstieg verpasste er im ersten Jahr, im zweiten lag er auf Kurs — ehe er zur ersten Mannschaft berufen wurde. Das Erbe von Vorgänger Rafael Benítez, der in nur sechs Monaten Amtszeit zuverlässig jedes Fettnäpfchen mitnahm, war überschaubar. Und doch schaffte Zidane schnell Bemerkenswertes — trotz aller Zweifel: Bis zum Saisonende führte er Real zu 17 Siegen, zwei Unentschieden und nur einer Niederlage. Zudem gewann er nach einem Sieg im Elfmeterschießen gegen den Stadtrivalen Atlético Madrid auf Anhieb die Champions League.

Pragmatische Spielweise gefällt nicht jedem

Auch zur neuen Saison hielt der Lauf an. Etliche Rekorde wurden pulverisiert: Mit 16 Liga-Siegen und 40 Pflichtspielen ohne Niederlage in Serie stellte er zwei neue spanische Rekorde auf: Erstmals in der Vereinsgeschichte erzielte die Mannschaft in allen 38 Ligaspielen ein Tor. Am Ende gab es die erste Meisterschaft seit 2012 - und erstmals seit 1958 winkt das Double aus Meistertitel und Henkelpott.

Doch Real ist und bleibt keine Wohlfühloase für einen Trainer. Die Erfolge können noch so im Akkord kommen, bei einer Niederlage kriechen die Kritiker aus ihren Löchern. So geschehen nach dem frühen Pokalaus gegen Celta Vigo im Winter und bei der Clásico-Pleite gegen den FC Barcelona. Zidane moderiert solche Phasen mit einer bemerkenswerten Ruhe weg. Nerven kosten sie trotzdem.

Auch seine pragmatische Spielart wird diskutiert. Real agiert oft abwartend, verzichtet häufig auf Dominanz und erlaubt sich auch Schwächephasen. Das geforderte Spektakel bietet Zidane mit seinem Star-Ensemble nicht immer - zum Unmut einiger Fans. Noch lassen sie ihn jedoch machen, sein Argument "Erfolg" zieht.

"Seitdem ich hier bin, war die Stimmung nie so gut"

Doch worin liegt dieser Erfolg begründet? Charismatisch, aber oft kühl und distanziert in der Ausstrahlung, weiß Zidane, wie er sein Star-Kollektiv führen muss. "Er begegnet uns auf Augenhöhe und dann gibst du vielleicht noch mal zwei, drei Prozent, wenn du weißt, da steht einer an der Linie, für den du es gern machst", so drückte es Toni Kroos gegenüber der "Welt" aus. Sergio Ramos erklärte: "Seitdem ich hier bin, war die Stimmung nie so gut." Zidane weiß um die individuelle Klasse seiner Ausnahmespieler und auch, welche Freiheiten sie brauchen. Statt seiner Mannschaft ein strenges, taktischen Korsett zu verpassen, vereinfacht er das Spiel, sodass die einzelnen Stärken zur Geltung kommen. "Ich vermittle nur die Idee", sagt Zidane und fügt hinzu: "Ich habe Glück, dass ich diese Spieler habe." Gute Stimmung, gute Spiele — so einfach scheint die Formel bei Madrid.

Selbst Auswechslungen von Cristiano Ronaldo lösen kein königliches Erdbeben mehr aus. Anfangs murrte der Portugiese, doch Zidane bekräftigte: "Ich muss ihn auch manchmal runternehmen." Der Trainer hatte gesprochen. Das Thema war durch.

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In Zeiten, in denen Trainer oft nur an ihren taktischen Fähigkeiten gemessen werden, wirkt Zidane wie ein Gegenentwurf — und wird daher oft unterschätzt. Der Sinn für das Kollektiv ist seine Stärke. Und bei Real scheint dieses Konzept derzeit gefordert. Doch wie lange noch mit Zidane? Sollte er ein zweites Mal die Champions League gewinnen, hätte er in 17 Monaten mehr erlebt und erreicht, als so mancher renommierte Kollege. Die Fallhöhe wäre hoch, gerade in Madrid.

Künftig als Nationaltrainer?

Das weiß auch Zidane. Im April ließ er bereits durchblicken, "dass überhaupt nicht sicher ist", dass er im Amt bleibe. Es gibt Stimmen, die sagen, der Fulltime-Job im stets unruhigen Real-Umfeld würde ihm zu viel werden. Nicht von ungefähr kommen daher Gerüchte, er würde das Amt des französischen Nationaltrainers in Zukunft anstreben - mit wesentlich geringerem Stressfaktor.

Sollte ihm tatsächlich eine Wiederholung des Erfolgs in der Königsklasse gelingen — Real wäre die erste Mannschaft, die den Titel verteidigt — bleibt abzuwarten, wie es mit Zidane weitergeht. Alles scheint möglich. Denn was ihn als Spieler prägte, könnte auch seine Entscheidung als Trainer beeinflussen: Unberechenbarkeit.

(dbr)
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