Champions-League-Finale Kampf der Kulturen

Mailand/Düsseldorf · Am Samstagabend im Finale der Champions League: Die Spielverderber von Atlético gegen die Zauberkünstler von Real. Hier treffen zwei völlig unterschiedliche Spielphilosophien aufeinander.

Champions League: Fans feiern sich in Mailand warm
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Spanische Fans feiern sich in Mailand warm

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Wahrscheinlich ist das so: Im vornehmen Norden von Madrid leben allerlei gut betuchte Herrschaften. Einst gründeten sie einen Fußballklub, der selbstverständlich weiße Hemden trägt und seitdem ein Ort für das Edle, Gute, Schöne - auch für das Teure in diesem Sport ist. Der Name drückt das aus: Real Madrid. Im armen Süden leben nur vom Ruß des harten Tagewerks gezeichnete Malocher und Einwanderer aus Südamerika. Sie gründeten einen Fußballklub, der Streifen auf dem Trikot hat, damit man die Spuren des harten Kampfs auf dem Rasen nicht so sieht und der ein Ort für das Grobe, das Kriegerische, das ein kleines bisschen Böse in diesem Sport ist. Auch hier trägt der Name den Inhalt: Atlético Madrid. Diese Legende wird in Madrid gern erzählt. Und die beiden legendenumwobenen Klubs stehen sich heute im Champions-League-Finale in Mailand gegenüber (20.45 Uhr/Live-Ticker). Es wird ein Kampf der fußballerischen Kulturen.

Denn wie bei jeder Legende steckt darin ein Körnchen Wahrheit. Und die Anhänger der Legende fühlen sich der Idee verpflichtet. Deshalb hat sich in beiden Klubs ein fußballerisches Modell aufbewahrt, das auch aus dem Gegensatz zu dem des Lokalrivalen lebt.

Real der Klub der feinen Mittel

Real ist der Klub, der seine Gegner mit spielerischen Mitteln beherrschen will. Er führt die feinen Mittel ins Feld. Seine Stars sind Sagenhelden wie Alfredo di Stefano, der Real in den 1950er Jahren fünfmal zum Sieg im Landesmeister-Pokal führte, dem Vorgänger-Wettbewerb der Champions League. Mit ihm tanzte das erste "weiße Ballett" der Fußballgeschichte, sein Spiel sah leicht aus, überlegen, aristokratisch. Natürlich war di Stefano ein Stürmer. Die Ahnentafel von Real Madrid ist schwer vorstellbar als eine Galerie von Abwehrspielern, deren Beruf es ist, dem Gegner das Spiel zu verderben. Real steht für Unterhaltung, für Ideen, für Tore. Deshalb bleiben seine Stars Offensivkräfte. Der zurzeit bedeutendste ist Cristiano Ronaldo.

Atlético hat aus dem Kampf ein eigenes Kulturgut gemacht. Weil es immer im Schatten der vornehmen Nachbarn stand, fühlt es sich in der Rolle des geborenen Außenseiters ziemlich wohl. Und es schöpft sein fußballerisches Selbstverständnis gerade aus der Tatsache, dass es unheimlichen Spaß machen kann, die Pläne des Gegners zu durchkreuzen, ihm die Lust am Spiel zu nehmen. Die Stars von Atlético sind harte, in vielen Zweikämpfen gestählte Recken, deren Name dem Kontrahenten schon Schmerzen bereitet. Niemand will es mit Verteidiger Diego Godin zu tun bekommen oder mit Mittelfeldrennern wie Koke.

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Richard Gere kickt mit Real-Stars

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Das Sinnbild von Atlético aber ist der Trainer. Diego Simeone hat in über 100 Länderspielen für Argentinien im Mittelfeld Angst und Schrecken verbreitet. Er wurde bereits als Spieler von den Atlético-Anhängern für seine unerbittliche, strategisch geschulte Spielführung und vor allem für seinen nie ermüdenden Kampfgeist geliebt. Als Trainer arbeitet er an der Linie mit, betrachtet die Coachingzone allein als Angebot, schlägt sich häufig genug zum Platz durch und scheut nicht mal körperliche Auseinandersetzungen mit gegnerischen Spielern. Im Halbfinale ging er Bayern Münchens Angreifer Franck Ribéry buchstäblich an die Gurgel. Da war er an den Richtigen geraten, aber sogar die Gegenwehr des Franzosen schien Simeone so richtig Spaß zu machen.

Fußball ist für den argentinischen Trainer nichts anderes als eine Rauferei auf extrem hohen Niveau. Da kommt Real mit all seinen feingeistigen Athleten in der Offensive gerade recht. "Wir fühlen uns sicher wohler gegen große Teams, die mit dem Ball spielen, weil wir uns sicherer fühlen, wenn wir ohne Ball spielen und verteidigen", sagt er vor dem Finale.

Vor zwei Jahren hat Real das bereits erfahren müssen. Erst ein glücklicher Treffer kurz vor Schluss des Champions-League-Finals brachte den Favoriten in die Verlängerung. Dort ging Atlético mit 1:4 unter, weil es bei der Rauferei in 90 Minuten zu viel Kraft gelassen hatte. Damit war es beinahe ans Ziel gelangt. Heute will Atlético das entscheidende Stückchen weiter.

(pet)
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