Pro und Contra Muss die Auswärtstor-Regel weg?

Meinung | Düsseldorf · Die Tottenham Hotspur haben Ajax Amsterdam in der Nachspielzeit aus allen Champions-League-Träumen gerissen. Dank der Auswärtstor-Regel. Ist die überhaupt noch zeitgemäß? Ein Pro und Contra.

Champions League: Ajax Amsterdam - Tottenham Hotspur, Bilder des Spiels
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Ajax Amsterdam - Tottenham Hotspur: Bilder des Spiels

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Foto: Action Images via Reuters/MATTHEW CHILDS

Es war einer dieser Momente, in denen Gesten mehr sagen als Tausend Worte. Ajax-Kapitän Mathijs de Ligt sank auf die Knie, ließ sich dann auf den Boden fallen. Alle paar Meter taten es ihm seine Mannschaftskollegen gleich. Ein Moment der Leere. Der Enttäuschung. Es liefen Tränen.

Mit seinem dritten Tor hatte Tottenhams Lucas Moura in der sechsten Minute der Nachspielzeit Ajax Amsterdam aus der Champions League geworfen. 2:3 endete das Spiel, das Hinspiel hatte Ajax 1:0 gewonnen. 3:3 endeten beide Spiele zusammengerechnet. Trotzdem kam Tottenham weiter, weil es zwei Auswärtstore mehr schoss. So ist es bislang in der Champions League. Bei Gleichstand nach 180 Minuten entscheidet die Zahl der geschossenen Auswärtstore über K.o oder Weiterkommen. Haben beide Teams bei Gleichstand gleich viele Treffer auf fremdem Platz erzielt, geht das Spiel in die Verlängerung.

Zunehmend stoßen sich Zuschauer an dieser Regel. Sie stammt aus einer Zeit, als Auswärtsfahrten noch beschwerlich waren, lange Busfahrten dazugehörten. Am 29. Mai berät die Uefa über die Abschaffung. Wir diskutieren schon heute: Gehört die Regel also abgeschafft?

Ja, ein Tor muss wieder ein Tor sein - von Elisabeth Huther

Die Auswärtstorregel stammt aus dem Jahr 1965. Sie wurde im Europapokal der Pokalsieger eingeführt, um Nachteile auszugleichen und später auf alle Wettbewerbe der Uefa ausgeweitet. Die (Bus-)Fahrten zum Gegner waren mit enormen Reisestrapazen verbunden und Bälle stammten nicht alle vom gleichen Hersteller, waren also nicht genormt - ein extremer Heimvorteil für den Gastgeber. Heute müssen Stadien einen ganzen Katalog an Kriterien erfüllen, damit sie möglichst einheitlich sind. Die Spieler fliegen in der First oder Business Class und nächtigen im besten Hotel der Stadt.

Die Regel ist also nach über 50 Jahren nicht nur anachronistisch, sie ist schlicht ungerecht. Ein Tor muss wieder ein Tor sein. Auswärtstreffer zeugen nicht (mehr) von höherem Können. Treffer „in der Fremde“ werden so wertvoller gemacht als sie sind. Im Fall von Ajax gegen Tottenham schafften es beide, drei Tore gegen ihren Gegner zu erzielen. Warum steht dann Tottenham im Endspiel? Hätte man andersherum eine „Heimtorregel“ wäre Ajax am Mittwoch der glückliche Gewinner gewesen. Das ist willkürlich.

Und man muss nicht besonders progressiv sein, um der Meinung zu sein: Nur weil man es immer so gemacht, bleibt das jetzt so.

Nein - von Sebastian Fuhrmann

Was wäre denn die Konsequenz einer Abschaffung? Anhand des Ajax-Spiels lässt sich das ganz gut festmachen: Hätte das dritte Tor von Tottenham nicht die Entscheidung gebracht, wäre das Spiel in die Verlängerung gegangen. Natürlich werden viele Spiele dort entschieden, aber viele eben auch nicht. Weil die Spieler müde sind und sich niemand mit einem kühnen Vorstoß den entscheidenden Konter einfangen will. Die Gefahr wäre real, dass viele Partien ins Elfmeterschießen gehen. Wäre das wirklich fairer als die Auswärtstor-Regel? Fragen Sie mal bei Profis nach.

Niemand darf sich darüber beklagen, dass die Auswärtstor-Regel ungerecht ist. Jedes Team muss in Hin- und Rückspiel ja einmal auswärts ran. Die Regel wird ja nicht zwischendurch in den Ring geworfen. Jeder weiß, dass es sie gibt und kann die Spiele entsprechend gestalten.

Treffer auf fremdem Platz höher zu gewichten, ist auch deswegen in Ordnung: Vor fremden Publikum Tore zu machen, ist oft deutlich schwieriger als daheim. Das hat das Spiel des FC Barcelona beim FC Liverpool im anderen Halbfinale gezeigt, in dem Liverpool mithilfe seiner Fans ein 3:0 aus dem Hinspiel wettmachte.

Und um aus der Perspektive der Traditionalisten zu urteilen: Warum soll etwas, das so viele Jahre gut und gewollt war, auf einmal schlecht sein? Weil die „falschen“ Teams verloren haben? Auch mir tat es weh, dass diese junge, tolle Ajax-Truppe verloren hat. Sie hat uns so viel Spaß gemacht, weil sie ein Gegengewicht ist zu den großen Klubs, die mit Geld um sich werfen und Spieler kaufen, statt sie selber auszubilden. (Grüße an Manchester City). Aber das Verlieren gehört zum Sport dazu.

Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn Matthijs de Ligt und Frenkie de Jong in den großen Karrieren, die ihnen bevorstehen, es in die ganz großen Spiele schaffen. Dann werden sie da sein. Sie werden Anführer sein. Weil sie um die Erfahrung der Niederlage reicher sind. Für Ausnahmekönner sind bittere Niederlagen doch der größte Antrieb. Manchmal muss es wehtun.

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