Serie: Der deutsche Fußball (1) Wie Schalke zum Mythos wurde

Gelsenkirchens Bergarbeiterklub und der 1. FC Nürnberg gewannen bis 1948 insgesamt 13 deutsche Meistertitel. Fritz Szepan und sein Schwager Ernst Kuzorra erfanden den "Kreisel".

 Ernst Kuzorra (l.) und sein Schwager Fritz Szepan.

Ernst Kuzorra (l.) und sein Schwager Fritz Szepan.

Foto: Graeber Gerhard Presse Bild Verlag

Die Fußballer des FC Schalke 04 sind in Berlin deutscher Meister geworden. Vom Ort des großen Triumphs bringt sie die Bahn zurück ins Revier. Sie machen in Dortmund Halt, werden von den Fans begeistert empfangen und tragen sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Dann setzen sie die Fahrt fort, für die letzten Kilometer nach Gelsenkirchen. Ziel ist der Schalker Markt, wo die Party mit tausenden von Anhängern natürlich erst richtig losgeht.

Was angesichts der Rivalität zwischen den Traditionsklubs aus Gelsenkirchen und Dortmund wie eine Szene aus einem falschen Film anmutet, hat sich tatsächlich so abgespielt im Juni 1934. Denn zu dieser Zeit waren die beiden Vereine noch keine Erzrivalen wie heute, deren Derbys geprägt sind von tiefer Abneigung gegeneinander. Schalkes 2:1-Erfolg im Endspiel gegen den damaligen Rekordmeister 1. FC Nürnberg galt als Sieg für das gesamte Revier.

Als Schalke den Vereinsfußball beherrschte

Schalke beherrschte vor dem Zweiten Weltkrieg den deutschen Vereinsfußball. Zwar holte Fortuna Düsseldorf 1933 als erster Klub aus dem Westen die Meisterschaft, doch ein Jahr später folgte Schalke. Von 1934 bis 1942 gewannen die Knappen sechsmal den Titel. Damit beendeten sie die Vormachtstellung des 1. FC Nürnberg, der in den 20er-Jahren fünfmal triumphiert und gemeinsam mit seinem fränkischen Nachbarn SpVgg Fürth den Fußball in Deutschland dominiert hatte.

Die entscheidenden Akteure des Arbeiter- und Malocherklubs aus Gelsenkirchen wurden zu Schalker Legenden: Fritz Szepan und Ernst Kuzorra. Über sie sagte Fritz Walter, Kaiserslauterns großer Fußballheld und Weltmeister 1954: "Um Szepan und Kuzorra spielen zu sehen, bin ich sogar auf Bäume geklettert." Die beiden, miteinander verschwägert, waren Schlüsselfiguren eines Kombinationsspiels, das sie erfunden hatten und das als Schalker Kreisel in die Fußballhistorie einging.

Der Schalker Kreisel

Dabei handelte es sich um ein laufintensives, schnelles und verwirrendes Kurzpassspiel, bei dem Gegner nach allen Regeln der Kunst aus den Angeln gehoben wurden — eine Spielform, die der FC Barcelona heute zur Perfektion entwickelt hat. Ziel der Kombinationen war es, am Ende die besten Torschützen in Schussposition zu bringen. Schalker Kreisel lautet auch immer noch das Schalker Vereinsmagazin.

"Wir kannten nur Arbeit und Fußball, sonst nichts", sagte Ernst Kuzorra, der sieben Tage die Woche Bergmann in der Zeche Consolidation war, bis er sich in den 20er-Jahren ganz auf den Fußball konzentrierte. Er behauptete: "Wir hatten immer einen Trainer, aber die Aufstellung habe ich gemacht." Kuzorra, der große Regisseur, und Szepan, der schon mit 15 Jahren in der ersten Mannschaft eingesetzt wurde, ein grandioser Mittelläufer und Stratege war und ebenfalls als Bergmann arbeitete, standen in allen Schalker Meisterteams dieser Zeit und waren die Torschützen beim Premierenerfolg 1934.

Schauplatz des Endspiels gegen die "Clubberer" aus Nürnberg war das Berliner Poststadion mit einem Fassungsvermögen von 45.000 Zuschauern — das Olympiastadion war noch nicht gebaut. Kuzorra wurde in der Schlussphase des Finales zum Helden, denn er schoss Sekunden vor dem Abpfiff trotz Schmerzen und mit letzter Kraft den Siegtreffer, dann brach er ohnmächtig zusammen. Trainer des Teams war pikanterweise ein Mann, der viele Jahre lang das Trikot des 1. FC Nürnberg getragen hatte und mit ihm dreimal Meister geworden war: Hans "Bumbes" Schmidt. Übrigens: Im fränkischen Dialekt ist ein "kleiner Bumbes" ein kleiner Furz.

Drei Jahre später glückte Schalke das erste Double der deutschen Fußballgeschichte. Wieder war der Nürnberger "Club" Gegner im Endspiel um die Meisterschaft, diesmal aber vor 100.000 Besuchern im Berliner Olympiastadion. Dann folgte in Köln der 2:1-Finalsieg gegen Fortuna Düsseldorf im Pokal, der damals noch den Namen Tschammer-Pokal trug. Zwei Jahre später, wieder in Berlin und auch wieder vor 100.000 Fans, demontierte Schalke seinen Gegner Admira Wien mit 9:0. Es war der höchste Endspielsieg in der Geschichte deutscher Meisterschaften bis zur Gründung der Bundesliga 1963, und als fünffacher Torschütze zeichnete sich dabei Ernst Kalwitzki aus.

Der Rechtsaußen war — wie Szepan, Kuzorra und Stopper Otto Tibulski — an allen Triumphen des großen Schalker Zeitalters bis 1942 beteiligt. In jener Ära, die den Mythos des Revierklubs begründete.

(RP/seeg)
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