Darmstadt-Trainer Lieberknecht Ein Trainer bringt den Fußball mit einem Satz zum Nachdenken

Meinung | Düsseldorf · Der Kulturkampf um Zustand und Zukunft des Fußballs leidet nicht an fehlender Schärfe. Was der Debatte auf beiden Seiten fehlt, sind wirklich kluge Gedanken, die alle Beteiligten zum Nachdenken anregen. Torsten Lieberknecht ist so ein Gedanke gelungen. Danke dafür.

Darmstadts Trainer Torsten Lieberknecht.

Darmstadts Trainer Torsten Lieberknecht.

Foto: dpa/Tom Weller

Im Fußball-Geschäft rauschen die Schlagzeilen nur so aneinander vorbei. Täglich. Stündlich. Minütlich haben wir Medien etwas Neues im Angebot. Der sagt das, das läuft da schief, so könnte es in Zukunft laufen, meint dieser oder jene. Selten sind die Aussagen, die nachhallen, die einen zum Nachdenken anregen. Ja, die dazu taugen, das ganze Geschäft wenigstens kurz einmal anders zu denken. Torsten Lieberknecht hat so einen Satz jetzt gesagt. Und wäre er nicht Trainer des SV Darmstadt 98, sondern der Bayern, des BVB oder von Schalke 04 – seine Aussage würde die Ostertage dominieren.

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Foto: AP/Martin Meissner

„Die Fans haben das Recht, mit uns in Kontakt zu kommen, weil wir als Trainer und Spieler in ihrem Verein erst mal Gast sind.“ Das hat Lieberknecht gesagt in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Klingt erst einmal nach Populismus. Nach Fishing for Compliments. Lieberknecht sagt halt vordergründig das, was die Fans hören wollen. Und was die Medien als „die Fans“ bezeichnen, ist im laufenden Kulturkampf im Fußball die eine Seite. Die Seite, die den Fußball bei den Menschen lassen will, die sich gegen den Ausverkauf von Vereinen an Investoren wehrt, gegen die Zerstückelung von Spieltagen, gegen die Reduzierung des eigenen Fanseins auf eine Rolle als Kunden in einem Geschäftsbereich, der früher einmal eine Sportart war.

Auf der anderen Seite stehen die, die aus dem Fußball noch immer mehr Geld herauspressen wollen. Fifa, Uefa, Super League. Infantino, Investoren, die, die dem Fußball nur einen Anstrich von Volksnähe gönnen und einen Sprühstoß Grasgeruch, damit sich die raffgierige Silhouette des kickenden Kapitalismus dahinter verstecken kann.

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Foto: IMAGO

Das ist also der Kulturkampf, in den Lieberknecht – ob er will oder nicht – seine Interview-Aussage platziert. Er platziert sie in eine Zeit, in der öffentliche Trainingseinheiten im deutschen Profifußball immer mehr zur Rarität werden. In der Klubs das eigene Tun vor der Konkurrenz verbergen wollen, so aber eben auch Mittel, Wege und abgesperrte Straßen finden, damit ihre Spieler und Trainer im Alltag nicht mehr dem wahren Leben begegnen müssen, sondern die vorgespielte Nähe über ihre Social-Media-Accounts betreiben können.

In dieser Zeit dreht Lieberknecht mal eben das Narrativ um. Er sieht die Spieler und Trainer zu Gast bei den Fans eines Klubs. Gastgeber und Gäste auf Zeit tauschen die Rollen. Die Fans sind zwar streng genommen auch Gäste, aber eben immer da, egal, wie gut oder schlecht es dem Verein geht, egal, welcher Investor kommt und geht, vor allem aber egal, welche Spieler und Trainer den Verein repräsentieren. Es ist ein kluger Satz, und wenn er Lieberknechts innerer Überzeugung entspringt und nicht der cleveren Idee der eigenen Medienabteilung, dann taugt er durchaus dazu, eine ganze Reihe von Beteiligten im heutigen Fußball-Geschäft zu beschämen.

Spieler sind eben nicht per se die Halbgötter auf einem Thron, auf den wir Medien sie zu setzen vermögen. Es gibt auch heute genug Profis und Verantwortliche, die wissen, wo sie herkommen, die wissen, was sie und ihr Tun für die Anhänger bedeuten und die die Entwicklung des Fußballs auch dann kritisch sehen, wenn sie selbst von dieser Entwicklung profitieren.

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Foto: dpa/Swen Pförtner

Lieberknechts Satz ist deswegen dann auch keine populistische Anbiederung ans Volk. Weil er nicht mit dem Finger auf andere zeigt, sondern sich und seine Spieler in Darmstadt mit in die Pflicht nimmt („Wir“), hallt diese Aussage so nach. Es sind am Ende Aussagen wie diese, die der Debatte um Zustand und Zukunft des Fußballs guttun. Sie verzichtet auf Schärfe, sie verzichtet auf Attacke. Sie regt den, der es will, zum Nachdenken an. Und nachdenken hat noch nirgendwo geschadet, wo gestritten wird.

Da bildet der Fußball keine Ausnahme.

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