Boris Pistorius im Interview Innenminister wollen auf Fan-Krawalle reagieren

Der Chef der Innenministerkonferenz, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, regt an, Teilnehmer eines Tumultes wegen Landfriedensbruchs zu bestrafen. Anlass sind Krawalle bei Fußballspielen wie zuletzt in Hannover, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Boris Pistorius im Interview: Innenminister wollen auf Fan-Krawalle reagieren
Foto: dpa

Die Innenminister befassen sich diese Woche wieder mit den Krawallen beim Fußball. Haben Sie neue Konzepte?

Pistorius Wir haben zuletzt in Hannover einheitlich komplett schwarz gekleidete Horden gegen Hundertschaften der Polizei durch die Straßen ziehen sehen. Das eindeutige Ziel war dabei, ein von Gewalt dominiertes Event zu erzeugen. Polizisten wurden mit Steinen und Flaschen beworfen, Unbeteiligte und sogar Kinder wurden von diesen Gewalttätern in Gefahr gebracht. Wir sehen, dass wir in diesem Bereich auch mit Fanprojekten, die ansonsten einen tollen Job machen, nicht mehr weiterkommen. Die aktuelle Gesetzeslage erfordert es heute, jeden einzelnen Steinwurf eines individuellen Tatverdächtigen nachzuweisen, was unter den tumultartigen Bedingungen praktisch unmöglich ist. Deshalb ist eine glaubwürdige Strafandrohung derzeit auch kaum möglich, wenn Hunderte von vermummten Hooligans im Pulk durch die Straßen ziehen - und das wissen die.

Was können Sie noch tun?

Pistorius Geisterspiele wären eine Möglichkeit, aber damit bestraft man auch die absolut überwiegende Zahl der friedlichen Stadionbesucher. Ich denke, wir sollten uns noch einmal den früheren Straftatbestand des "Tumultes" beim Landfriedensbruch in der Form vor der letzten Gesetzesnovelle anschauen. Da reichte es aus, wenn sich jemand innerhalb des gewalttätigen Mobs bewegte. Bei Fußballkrawallen würde sich vermutlich doch jedem der Sinn einer solchen Regelung erschließen. In solche Mobs gerät niemand der einheitlich schwarz gekleideten Hooligans zufällig hinein. Jeder einzelne würde dann Landfriedensbruch begehen.

Sie wollen also eine gesetzliche Strafverschärfung?

Pistorius Das ist keine Verschärfung. Was dort geschieht, ist heute auch schon strafbar. Die genannte Änderung würde aber überhaupt erst eine effektive Strafverfolgung unter den tumultartigen Bedingungen ermöglichen und damit der gesetzlichen Strafandrohung zur Wirkung verhelfen. Diese Überlegung sollten wir daher anstellen. Es träfe in der von mir beschriebenen Szenerie die Richtigen und würde der Polizei die Arbeit deutlich erleichtern. In den Niederlanden gibt es zum Beispiel das Delikt "Gewalt im öffentlichen Raum". Wer sich dabei nicht zurückzieht, kann innerhalb von 48 Stunden bestraft werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das abgesegnet.

Auch die steigende Zahl von Wohnungseinbrüchen macht den Menschen zu schaffen.

Pistorius Ich empfehle auch hier einen Blick ins Nachbarland. Die Niederlande schreiben seit 1999 bei Neubauten mechanischen Einbruchsschutz vor. Diese Häuser haben ein um 26 Prozent geringeres Einbruchsrisiko. Wir müssen auch in Deutschland ein deutlicheres Bewusstsein schaffen. Auch bei uns bleiben fast 40 Prozent der Einbrüche im Versuchsstadium stecken. Es lässt sich also viel erreichen, wenn die Nachbarn aufpassen, die Täter gestört werden oder das Eindringen auf technische Art erschwert wird. Die Aufgabe der Polizei bleibt es gleichzeitig, für eine effektive Ermittlungsarbeit zu sorgen.

Laut Koalitionsvertrag soll der Staat solche Vorkehrungen "unterstützen" — auch finanziell?

Pistorius Ich habe nichts dagegen, das steuerlich zu begünstigen.

Welche Vereinbarungen zur inneren Sicherheit aus dem Koalitionsvertrag sollten als erstes Realität werden?

Pistorius Für mich hat die bessere Flüchtlingspolitik hohe Priorität. Es kann doch keiner erklären, warum der syrische Kontingentsflüchtling sofort arbeiten darf, der syrische Asylbewerber aber neun Monate warten muss. Hier weist der Koalitionsvertrag in die richtige Richtung. Bessere Integration entlastet auch die Kassen der Länder und Gemeinden. Deshalb muss die verabredete Personalaufstockung schnell umgesetzt werden, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Vor dem Hintergrund des NPD-Verbotsverfahrens ist es zudem eine zentrale Aufgabe, die Aussteigerprojekte und Präventionsprogramme gegen den Rechtsextremismus zu finanzieren und besser zu koordinieren. Es darf insbesondere jetzt in der Übergangszeit zu keinen Finanzierungslücken kommen, die zu einer Unterbrechung dieser guten Programme führen.

Wie wichtig ist die Vorratsdatenspeicherung?

Pistorius Wir brauchen den maßvollen Zugriff auf die Daten, um zum Beispiel mehr Fälle der abscheulichen Kinderpornographie aufklären zu können. Viele Kinder werden durch die Taten traumatisiert. Im Moment schützt die fehlende Datenspeicherung die Täter: Es gibt Fälle, in denen die Polizei Tausende von Straftätern nicht ermitteln kann, weil die ip-Adressen weg sind. Das finde ich unerträglich. Wir müssen endlich die Hysterie aus der Debatte bekommen - der Staat ist nicht an den Daten der Bürger interessiert und speichert sie auch nicht selbst. Es geht um Strafverfolgung.

Wie gehen Sie mit den Kritikern um?

Pistorius Wir dürfen im Internet keinen verfolgungsfreien Raum zulassen. Ansonsten werden wir auch nie wissen, wie groß das Ausmaß der Kriminalität tatsächlich ist. Dafür halte ich eine dreimonatige Speicherfrist unter hohen Zugangsauflagen und einer Begrenzung auf bestimmte schwerste Straftaten und mit Richtervorbehalt für ausreichend und vertretbar. Allerdings wären wir gut beraten, wenn wir uns mit der Gesetzgebung Zeit lassen, bis der Europäische Gerichtshof über die EU-Richtlinie entschieden hat. Das wäre auch eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Kritikern.

(RP)
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