Marco Villa zum Todestag von Robert Enke "Ich vermisse Robert jeden Tag"

Düsseldorf (RP). Marco Villa, 32, ehemaliger Bundesligaprofi, kritisiert vor dem ersten Todestag seines besten Freundes Robert Enke die Oberflächlichkeit im Fußball-Geschäft, fordert mehr therapeutische Möglichkeiten für Spieler und spricht über seine Trauer.

 Der beste Freund von Robert Enke: Marco Villa.

Der beste Freund von Robert Enke: Marco Villa.

Foto: AP, AP

Herr Villa, am Mittwoch jährt sich zum ersten Mal der Todestag von Robert Enke. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den 10. November 2009 zurück?

Villa Mit großem Schmerz. Es tut noch sehr weh. Ich habe einen Freund verloren. Ich vermisse Robert jeden Tag.

Wie haben Sie damals von der Nachricht erfahren?

Villa Ich saß mit meiner Familie beim Abendessen. Plötzlich klingelte das Telefon. Ein Freund erzählte mir, es sei was Schlimmes passiert. Er brauchte nicht weiterzureden. Ich konnte mir schon vorstellen, was passiert war. Es war, als ob mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Ein absoluter Schock. Es drehte sich alles so schnell, in den ersten Tagen nach seinem Tod passierte so viel. Ich habe einfach nur funktioniert. Erst viel später konnte ich für mich ganz persönlich von Robert Abschied nehmen.

Wo werden Sie diesen Tag verbringen?

Villa Zurückgezogen. Ich wäre sehr gerne nach Hannover ans Grab gekommen. Aber ich komme nicht aus Italien weg. Es klappt einfach nicht aus organisatorischen Gründen.

Wie sieht Ihr Kontakt zu seiner Witwe Teresa aus?

Villa Ich habe natürlich weiter sehr engen Kontakt zu Teresa, das wird sich auch niemals ändern. Ich bin schließlich der Patenonkel der kleinen Leila. Wann immer Teresa das Gefühl haben sollte, reden zu wollen, meine Frau, ich, wir sind immer für sie da.

Hat der Tod von Enke irgendetwas in der Bundesliga verändert?

Villa Ich denke, es ist ein Prozess in Gang gekommen. Aber wirklich viel passiert ist noch nicht. Sehen Sie, zwei Wochen nach seinem Tod ist in der Liga wieder Alltag eingekehrt. Ich kann mich noch an den Fan-Aufstand in Stuttgart erinnern und an einen entsetzten Markus Babbel (damaliger Trainer des VfB, Anmerkung der Redaktion), der kurze Zeit später entlassen wurde.

Wie blicken Sie heute auf das Fußball-Geschäft?

Villa Es ist eine verdammt oberflächliche Welt. In dem Geschäft ist für Schwächen kein Platz. Die Zuschauer wollen Helden sehen. Wer eben noch gefeiert wurde, ist plötzlich der größte Depp und wird gnadenlos ausgepfiffen. So läuft das eben, und ich denke, das Publikum hat natürlich auch ein Recht darauf, seinen Unmut zu zeigen. Wenn jemand in einem Loch steckt, dann bildet er mit den Mannschaftskollegen aber keinen Gesprächskreis in der Kabine, sondern zieht sich immer weiter zurück. Fußball ist ein Männersport. Da will keiner freiwillig zeigen, wenn ihn etwas belastet.

Was sollte sich ändern, damit sich eine Tragödie wie bei Robert Enke nicht wiederholt?

Villa Ich würde mir wünschen, die Branche bucht seinen Selbstmord nicht als Einzelfall ab und kehrt nicht die Problematik unter den Teppich. Die Vereine sollten mehr in die Prävention investieren. Ein Fußballer ist nicht nur ein Fußballer, sondern in erster Linie ein Mensch. Er hat Sorgen und Nöte. Man sollte ihm therapeutische Möglichkeiten anbieten. Es wird auch immer mehr zu einem wirtschaftlichen Faktor.

Was sollte besser werden?

Villa Ich habe gelesen, zurzeit gibt es 89 Verletzte in der Bundesliga. Einige von ihnen werden auch mit mentalen Problemen zu kämpfen haben. Man könnte ihnen leicht helfen. Der Verein profitiert doch auch davon. In den ersten sechs Wochen zahlt der Klub schließlich das Gehalt komplett weiter. Es wäre besser angelegt, wenn ein Spieler auf dem Rasen steht.

Wie sind Sie Freund von Robert Enke geworden?

Villa Es gab nicht den Moment, an dem wir beide einander gegenübergestanden und gesagt haben: So, jetzt sind wir Freunde. Das hat sich einfach entwickelt. Wir haben uns als Nachwuchsspieler bei Borussia Mönchengladbach kennengelernt und schnell gemerkt, dass wir einander vertrauen können.

Seit wann wussten Sie von seiner Erkrankung?

Villa Er hat mir in einem sehr frühen Stadium von seinen Ängsten und Sorgen berichtet. Für Roberts Verhältnisse hat er mir mehr anvertraut als vielen anderen Menschen. Wir haben einfach über alles geredet. Ich habe als Freund versucht, ihm Geborgenheit zu geben. Aber ich bin auch kein Therapeut. Doch auch mit meinem gesunden Menschenverstand habe ich gesehen, dass der Robert ein Problem hatte, dass er krank war.

Machen Sie sich Vorwürfe, vielleicht etwas versäumt zu haben?

Villa Nein. Ich denke, als Freund habe ich alles gemacht, was für mich möglich war.

Rund um den Tod von Enke haben sich angebliche Freunde von ihm zu Wort gemeldet. Hat Sie das manchmal irritiert, wer mit ihm alles bekannt gewesen sein will?

Villa Ehrlich gesagt, freue ich mich über jeden, der sich positiv über Robert äußert. Sicher, ich habe mich schon am Anfang ein wenig gewundert, wer sich alles zu Wort gemeldet hat. Aber mir steht es nicht zu, darüber zu urteilen. Robert war mein Freund und offenbar ein sehr beliebter Mensch.

Was bleibt Ihnen von Robert Enke?

Villa Viele schöne Erinnerungen, eine innige Freundschaft, viele intensive Gespräche. Ich bin stolz auf die leider viel zu kurze Zeit, die wir miteinander hatten.

Gibt es etwas, was Sie ihm noch gerne gesagt hätten?

Villa Zwei Wochen vor seinem Tod hatten wir noch einmal sehr, sehr lange miteinander telefoniert. Ich habe das Glück, dass zwischen uns nichts unausgesprochen geblieben ist. Jetzt geht es auch für mich und alle anderen, die zurückgeblieben sind, darum, weiterzuleben.

Sie selbst waren während Ihrer Karriere immer wieder verletzt.

Villa Ich habe mir nicht nur wegen der Sache mit Robert viele Gedanken über mein Leben gemacht. Bei mir ging alles viel, viel zu schnell. Nach meinen ersten Einsätzen und Toren bin ich total überschätzt worden. Ich konnte die Erwartungen von den Fans, aber auch von mir selbst, einfach nicht erfüllen. Im Nachhinein habe ich die Theorie aufgestellt: Viele Verletzungen hatten etwas mit Stress zu tun. Der Körper hat gestreikt, weil der Kopf nicht mehr mitgekommen ist. Damals habe ich das nicht so realisiert.

Hatten Sie selbst auch eine Phase in Ihrem Leben, in der Sie sich als depressiv bezeichnet hätten?

Villa Es gab, wenn ich jetzt so zurückblicke, einige Anzeichen. Bei mir ist die Depression aber glücklicherweise nie ausgebrochen.

Was hat Sie belastet? Das weit verbreitete Bild der Öffentlichkeit von einem Profi-Fußballer ist doch: Der hat alles. Was hat Ihnen gefehlt?

Villa Zeit. Es war immer mein großer Traum, einmal am Bökelberg zu spielen und ein Tor zu machen. Und plötzlich hatte ich das erreicht. Ich habe versucht, mir neue Ziele zu stecken. Ich bin nicht mehr entspannt an die Sache herangegangen, sondern habe mir nur noch Druck gemacht. Damals wollte ich mir das nicht eingestehen. Da waren andere schuld. Der Trainer, der schlechte Zustand des Rasens. Du entwickelst als Spieler ein erstaunliches Talent, für alles eine Ausrede parat zu haben.

Was machen Sie heute?

Villa Ich lebe mit meiner Familie (Villa ist verheiratet mit seiner Jugendliebe Christina, das Paar hat eine Tochter, Chiara (6) und einen Sohn, Mattia (4), Anmerkung der Redaktion) in der italienischen Provinz. In Roseto. Die Stadt liegt direkt am Adriatischen Meer. Ich spiele dort bei dem Fünftligisten "San Nicolo". Wir trainieren jeden Tag, aber der Druck ist natürlich nicht mehr so groß wie früher. Ich wollte nach vielen Jahren auf der Durchreise endlich sesshaft werden. In Roseto haben wir eine zweite Heimat gefunden.

Haben Sie vor, irgendwann in die Bundesliga zurückzukehren?

Villa Als Spieler schon mal ganz bestimmt nicht. Ich bin ja schon 32. Das Kapitel ist abgeschlossen. Als Funktionär? Darüber mache ich mir keine großen Illusionen. Wenn man keine guten Kontakte hat, ist der Einstieg sehr schwierig. Ich habe mich niemals auf solche Dinge verlassen und mich frühzeitig weitergebildet. Ich habe über einen Fernlehrgang die Prüfung zum Betriebswirt bestanden und habe jetzt mit einer Ausbildung zum Heilpraktiker angefangen. Eine spannende Sache.

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