Interview mit Uli Hoeneß "Ich genieße mein Leben in vollen Zügen"

München · Uli Hoeneß feiert am Donnerstag seinen 60. Geburtstag. Der Präsident des deutschen Rekordmeisters Bayern München spricht im Interview über seine Wünsche, seine Zukunft, sein Image und seine Feinde.

Uli Hoeneß: FC Bayern München, Abteilung Attacke, Steuerhinterzieher
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Das ist Uli Hoeneß

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Foto: dpa/Matthias Balk

Inzwischen würde er sogar Christoph Daum wieder die Hand geben, sagte Hoeneß dem Sport-Informations-Dienst (sid). Groß zurückblicken wollte der langjährige Manager allerdings nicht. Er sei "kein großer Romantiker. Zurücklehnen kann man sich in diesem Geschäft nicht. Das ist Stillstand."

Uli Hoeneß, Ihr Freund Paul Breitner hat einmal gesagt, wenn Sie sich mit 27 Jahren nicht so schwer verletzt hätten, wären Sie wohl nie Fußball-Manager geworden. Stimmen Sie dem zu?

Uli Hoeneß: "Das glaube ich nicht. Ich hatte nie die Absicht, Trainer zu werden, wollte aber immer im Fußball etwas machen. Deshalb wäre ich zwangsläufig auf die Idee gekommen, Manager zu werden. Aber wenn man sich die Geschichte genau anschaut, war das doch alles mit sehr viel Glück verbunden."

Wie meinen Sie das?

Hoeneß: "Wenn ich damals zum Hamburger SV gegangen wäre und nicht nach Nürnberg, hätte ich heute sicher keine Wurstfabrik und wäre vielleicht nicht Manager beim FC Bayern geworden. Auch wenn ich in München geblieben wäre, in diesem totalen Chaos damals, weiß man nicht, was passiert wäre. So hat mich Neudecker (damaliger Präsident des FC Bayern, d.Red.) angerufen. Er brauchte einen Prellbock."

Wie haben Sie Ihre Anfangszeit als Manager beim FC Bayern erlebt?

Hoeneß: "Als ich 1979 anfing, hatte der FC Bayern zwölf Millionen Mark Umsatz und davon 7,5 Millionen Schulden. Und 85 Prozent dieser Einnahmen waren Zuschauereinnahmen, und nur 15 kamen aus dem Bereich Fernsehen, Marketing, Sponsoring. Meine ganze Aufgabe bestand darin, genau diese Abhängigkeit zu verringern. Es war aber nicht so wie heute, wo du dir die Partner aussuchen kannst.
Es war ein Klinkenputzen. Man musste neue Ideen entwickeln."

Welche zum Beispiel?

Hoeneß: "Ich bin in die USA geflogen, um mir da das Merchandising anzuschauen. Bei uns gab es das gar nicht. Ich hatte nur immer gehört, dass im American Football, im Baseball oder Basketball Millionen mit T-Shirts, Schals, Mützen oder Taschen umgesetzt werden. Wir hatten eine kleine Poststelle mit ein paar Karten. Da haben wir angefangen, einige Läden aufzubauen."

Gibt es für Sie einen Lieblings-Fanshop?

Hoeneß: "Oberhausen war der Hammer. Es war immer mein Traum, die Dortmunder und die Schalker zu ärgern. Am Anfang hat der Laden rote Zahlen geschrieben, das kannten wir gar nicht. Aber ich habe immer gesagt: Das ist es mir wert, wenn der Assauer (damals Manager bei Schalke, d.Red.) jeden Morgen an einem Bayern-München-Shop in Oberhausen vorbeifahren muss. Inzwischen ist der Laden sehr profitabel."

Erlauben Sie sich anlässlich Ihres runden Geburtstages einen Rückblick und wie fällt der aus?

Hoeneß: "Ich bin kein großer Romantiker, ich bin nach wie vor sehr in der Gegenwart verhaftet. Ich habe immer noch einen sehr engen Zeitplan. Da bleibt nicht viel Zeit, um zurückzublicken - und ich will das auch gar nicht. Zurücklehnen kann man sich in diesem Geschäft nicht. Das ist Stillstand. Selbst wenn man die Champions League gewinnt, muss man weiter mit vollem Einsatz bei der Sache sein."

Wie sehen Sie Ihren FC Bayern heute?

Hoeneß: "Wie der Verein lebt, wie er pulsiert, wie er in der Gesellschaft angesehen ist - das ist eine tolle Sache. Das sind Dinge, worauf wir alle sehr stolz sein können. Das ist etwas ganz Besonderes."

Gibt es vom Visionär Hoeneß noch konkrete Vorstellungen für die Zukunft des FC Bayern?

Hoeneß: "Wir sind im sportlichen Bereich sehr gut gerüstet. Wenn die Uefa das Financial Fair Play in den nächsten Jahren wirklich konkret umsetzt, ist der deutsche Fußball, aber insbesondere der FC Bayern fantastisch darauf vorbereitet. Wir erfüllen alle Kriterien jetzt schon. Wir müssen nichts umstellen im Gegensatz zu vielen anderen Klubs. Sehen sie sich Manchester City an: Die können nicht 228 Millionen Euro Verlust schreiben."

Aber wird es nicht wieder irgendwelche Schlupflöcher geben?

Hoeneß: "Es wird sicherlich das eine oder andere Schlupfloch geben. Aber du kannst nicht 228 Millionen verstecken. Entscheidend wird sein, wie ausgeschlafen die Prüfer sind. Karl-Heinz Rummenigge (Bayern-Vorstand, d. Red.) sagt immer zu mir: Der Michel Platini (Uefa-Präsident, d.Red.) will es wissen."

Wie sehen Sie inzwischen Ihre Rolle als Präsident? Sie haben sich am Anfang in der Öffentlichkeit sehr zurückgehalten. Erst beim Thema Louis van Gaal waren Sie wieder in die Offensive gegangen...

Hoeneß: "Das war mir ein persönliches Anliegen. Da bin ich total meinem Bauch gefolgt. Aber es stimmt, dass ich am Anfang nicht mehr so präsent war. Ich hatte den Fehler gemacht, dass ich manchmal im Stadion im Laufschritt zu meinem Auto gegangen bin und Bemerkungen gemacht habe, die ausgereicht haben, um eine halbe Seite zu füllen. Das habe ich unterschätzt. Deshalb war die Entwöhnung am Anfang auch größer."

Wird es den Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß auch mit 65 noch geben?

Hoeneß: "Meine Präsidentschaft läuft Ende nächsten Jahres aus, dann bin ich knapp 61. Sollte ich noch mal gewählt werden, wäre ich danach 64. Dann muss man einfach sehen, ob ich noch weitermache oder nicht."

Sie haben alles erreicht. Könnten Sie sich nicht vorstellen, jetzt schon kürzer- oder sogar zurückzutreten?

Hoeneß: "Das ist doch genau der Fehler, den die Leute machen. Ich genieße mein Leben in vollen Zügen. Natürlich gibt es Situationen, in denen man denkt: Leck mich am Arsch! Aber am nächsten Tag ist dies wieder vergessen. Ich gehe gerne in die Arbeit. Ich kenne viele Freunde, die zwischen 60 und 70 sind, die Top-Manager waren, und die nichts mehr machen. Deren Alterungsprozess ist dramatisch."

Haben Sie Angst vor dem Älterwerden?

Hoeneß: "Angst nicht. Mein Problem ist, dass in meinem Umfeld die Einschläge näherkommen, dann zuckt man schon ganz schön."

Sie sind zur Zeit auch wieder in der Werbung zu sehen. Warum machen Sie das?

Hoeneß: "Ich mache das nur für Partner und auch nur dann, wenn ein anderes Bild von mir gezeichnet wird. In 99 Prozent der Fälle kommen die Leute danach zu mir und sagen: Sie sind ja ganz anders. Aber so bin ich eigentlich. Ich habe keine Berührungsängste und bin auch nicht eitel. Deswegen macht mir das auch so Spaß. Das trägt auch dazu bei, dass die Leute mir gegenüber eine gewisse Hemmschwelle verlieren."

Sie polarisieren sehr. Ist Ihnen eigentlich Ihr Image wichtig?

Hoeneß: "Ich bin keiner, der am Morgen aufsteht und sagt: Was muss ich tun, um heute gut auszusehen? Das habe ich noch nie gemacht. Ich gehe auch unvorbereitet in eine Talkshow bei Maybrit Illner oder Anne Will. Ich will keine Frage vorher haben."

Sie sind nie einer Konfrontation aus dem Weg gegangen. Bereuen Sie manchmal auch Dinge, die passiert sind?

Hoeneß: "Manchmal bin ich übers Ziel hinausgeschossen. Ich bin aber auch immer bereit, mich zu entschuldigen. Und ich bin auch nicht sehr nachtragend."

Gibt es immer noch Feindschaften, die aus früheren Auseinandersetzungen herrühren?

Hoeneß: "Auf einer Strecke von rund 30 Jahren sind ein, zwei, drei Leute übriggeblieben. Mit Christoph Daum habe ich nichts mehr zu tun, aber ich würde ihm die Hand geben. Der einzige, der keine Ruhe gibt, ist komischerweise Willi Lemke, obwohl ich mit dem seit Jahren nichts mehr zu tun habe. Aber sonst? Es gibt wenige, die mir entgegentreten und von mir sagen: Das ist ein Riesen-Arschloch."

Hat ein Uli Hoeneß noch Wünsche oder Träume außerhalb des Fußballs?

Hoeneß: "Wenn es so extreme Träume wären, würde ich sie mir erfüllen. Ich bin kein Gefangener meiner Arbeit. Ich kann mir schöne Dinge erlauben. Ich werde aber immer versuchen, die von Montag bis Freitag zu machen, damit ich am Samstag wieder beim Spiel sein kann."

Sie sagen, dass Sie kein Gefangener der Arbeit sind, arbeiten aber trotzden fast rund um die Uhr. Wie passt das zusammen?

Hoeneß: "Weil ich das grundsätzlich nicht als Belastung sehe. Ich muss mich nicht 14 Tage an den Strand legen, um erholt zu sein. Mir reichen fünf, sechs Tage Ruhe wie jetzt über Weihnachten aus."

Gab es eine Phase, in der Sie dennoch mit Ihrer Kraft am Ende waren?

Hoeneß: "Es gab nur eine Phase, das war während der Daum-Affäre. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, ich weiß nicht mehr weiter. Ich hatte nicht einen Gegner, nicht zwei, sondern die ganze Welt. Ich hatte das total unterschätzt. Ich hatte das erste Mal das Gefühl: Ich habe die Situation nicht im Griff."

Ihr Glück war letztendlich die Haarprobe von Daum...

Hoeneß: "Im Prinzip war er wahnsinnig, das zu machen. Es hat ihn ja keiner dazu gedrängt. Da hatte ich Glück, dass er das gemacht hat. Ich weiß nicht, wie das weitergegangen wäre, auch wenn die Solidarität des Klubs stark war. Mein Image hatte einen richtigen Schaden abbekommen."

Sie haben einmal gesagt, wenn Sie eine Biografie schreiben würden, müssten Sie anschließend nach Australien auswandern...

Hoeneß: "Da müsste ich jetzt noch weiter auswandern. Wenn ich erzählen würde, was ich alles erlebt habe: Das ist unglaublich. Aber es wird von mir keine Biografie geben."

Wie einschneidend war der Flugzeugabsturz, den Sie 1982 überlebt haben?

Hoeneß: "Es wird immer angenommen, dass man sein Leben komplett verändert. Ich hatte das auch vor. Aber nach einem halben Jahr war es wie immer. Ich konnte mich an den Absturz nicht mehr erinnern. Das hat mir geholfen. Natürlich sagt man: So, jetzt machst du nicht mehr so viel Hektik. Aber dann musst du dir einen anderen Beruf suchen."

Was treibt Sie weiterhin an?

Hoeneß: "Der FC Bayern hat sich zu einem gesellschaftlichen Ereignis entwickelt. In Barcelona heißt es Mes que un club, dann würde ich sagen, dass Bayern auch mehr als ein Klub ist. Das ist eine Philosophie, eine Vision. Überall merkt man, wie dieser Verein emotionalisiert. Ich will mithelfen, dass dies auch so bleibt."

Sehen Sie darin ein Problem?

Hoeneß: "Es ist die größte Aufgabe von uns allen, dass wir die nächsten fünf Jahre, die richtigen Entscheidungen treffen, unsere Arbeit in die richtigen Hände zu geben. Wir brauchen vier, fünf Leute. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Ich hatte 30 Jahre Zeit, in denen sich der Umsatz von 12 Millionen Mark auf 350 Millionen Euro gesteigert hat. Aber jeder, der jetzt kommt, hat keine Zeit. Man wird sie ihm nicht geben."

Ist der FC Bayern ohne Uli Hoeneß überhaupt vorstellbar?

Hoeneß: "Das sagen alle. Aber es geht immer wieder weiter."

Das heißt, dass man Sie Eins zu Eins ersetzen könnte?

Hoeneß: "Ich hoffe, dass das keiner versuchen wird, du kannst keinen Menschen ersetzen. Die Arbeit ja, aber nicht sein Charisma. Es gibt auch andere Wege, einen Verein erfolgreich zu führen."

Haben Sie für 2012 eine Wunsch-Schlagzeile?

Hoeneß: "Wenn ich das auf das Sportliche beziehe, wäre es natürlich schon ein Traum, wenn wir das Champions-League-Finale in München gewinnen könnten. Aber ich möchte den enormen Druck nicht noch weiter vergrößern. Viele fragen immer, was noch anders werden soll oder was ich für Ziele habe. Ich glaube, dass es das Wichtigste ist, sagen zu können: Man ist zufrieden. Immer höher, immer schneller, immer weiter - das geht nicht."

(sid)
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