Gegenpressing Wenn alle nur noch Versager sind

Der Hamburger SV wird mal wieder nach Kräften verspottet, weil er im Abstiegskampf steckt. In Mainz dagegen rückt man in Krisenzeiten enger zusammen.

Bundesliga 16/17: Das Restprogramm der Abstiegskandidaten
4 Bilder

Das Restprogramm der Abstiegskandidaten

4 Bilder
Foto: ap, mm

Spätestens im Mai hängen bei vielen Fußballvereinen die Nerven total blank. Wenn selbstgesteckte Ziele nicht erreicht werden, dann greifen in der Branche gnadenlose Mechanismen. Naturgemäß stehen vor allem die Profis im Blickpunkt. Sie, so postuliert es der Stammtisch, haben es schließlich verbockt. Der Weg ist dann nicht mehr weit, um sich hemmungslos an ihnen abzuarbeiten.

Besonders der Hamburger SV dient als gern genommene Zielscheibe verbaler Entgleisungen jeglicher Art. Es gehört noch zum harmloseren Vokabular, dass die Akteure des Bundesliga-Dinos als Versager abgekanzelt werden. Das Boulevard trommelt natürlich eifrig mit und nennt die mal wieder abstiegsbedrohten Hanseaten nur noch HSV-Flaschen. Sicher darf und muss man Spieler für schwache Leistungen kritisieren dürfen. Aber alles hat seine Grenzen - und auch die Würde von Fußballspielern ist unantastbar. Was für eine Überraschung.

Es gibt zum Glück auch andere Beispiele in diesen Tagen. Die Anhängerschaft von Mainz 05 ist ebenfalls mit großen Träumen in die Saison gestartet. Immerhin waren sie ein Europa-League-Teilnehmer. Doch dann folgte wie so oft bei Teams dieser Gewichtsklasse der rasante Absturz. Da irgendeiner immer schuld sein muss, wird in der Regel zuerst der "Kopf" des Trainers gefordert. Und gewiss gab es auch Unmutsbekundungen gegenüber dem Schweizer Martin Schmidt. Doch die Fans haben in Mainz ganz augenscheinlich ein feines Gespür dafür entwickelt, was man mit der Mannschaft realistisch erreichen kann. Der wertvollste Spieler ist im Winter für viel Geld zum VfL Wolfsburg gewechselt. Ohne Yunus Malli fehlt die Balance im kreativen Bereich. So läuft das manchmal in dem Geschäft. Adäquater Ersatz war für die Mainzer nicht so schnell zu finden.

Die Fans jedenfalls haben auf Pfeifkonzerte gegen das eigene Team verzichtet. Keine Sitzblockade vor dem Stadiontor. Keine Einschüchterungsversuche. Keine Drohungen gegen die eigenen Spieler. Sie haben sich auch in der schweren Zeit für Unterstützung entschieden. Natürlich sind die Mainzer Ultras keine Heiligen. Ein paar Wochen zuvor gab es noch eine offene Konfrontation zwischen dem Vereinsvorstand und den organisierten Fans. Nach diversen Verfehlungen strichen die Mainzer Verantwortlichen ihnen einige Privilegien, darunter eine bevorzugte Behandlung bei der Ticketvergabe. Stattdessen kam es hernach zum Schulterschluss zwischen Anhängern und Team. Das gibt es nicht so oft in der Szene und kann durchaus als positives Beispiel viele Nachahmer finden. Auch wenn man nicht so recht daran glauben mag.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(gic)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort