Schlechte Arbeitsbedingungen Bundesliga-Fotografen im Bierwurfgewitter

Düsseldorf · Obwohl die Situation seit Jahren bekannt ist, beklagen die Fotografen immer schlechtere Arbeitsbedingungen in den Fußballstadien. DFL und Vereine tun sich mit Lösungen für die teilweise hausgemachten Probleme schwer.

 Fotografen belagern Schalkes Trainer Domenico Tedesco vor dem Spiel in Mönchengladbach.

Fotografen belagern Schalkes Trainer Domenico Tedesco vor dem Spiel in Mönchengladbach.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Zunächst ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie kommen an Ihren Arbeitsplatz, setzen sich vor den PC, legen Ihr Handy neben sich auf den Tisch und beginnen, sich konzentriert in Ihr Tagwerk zu vertiefen. Unterbrochen werden Sie dabei davon, dass Sie und Ihr Equipment mit vollen Bierbechern, Feuerzeugen, Münzen und anderen zweckentfremdeten Gegenständen beworfen werden, garniert von übelsten Beleidigungen, begleitet manchmal gar von feuchter Aussprache. Klingt erstens ziemlich seltsam, aber zweitens sehr unangenehm und vor allem gefährlich für Sie und Ihr Arbeitsmaterial? Das ist es auch, zumindest für jene, die ihren Arbeitsplatz samt Laptop, Handy und weiterem kostspieligen Equipment nicht im Büro haben, sondern in deutschen Fußballstadien.

Die dort tätigen Fotografen und Kameraleute beklagen genau derartige Zustände, und zwar nicht in Ausnahmefällen, sondern regelmäßig. Zusätzlich gefährdet werden sie durch Feuerwerkskörper. Und manchmal, so formuliert es der Fotografensprecher im Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS), Wolfgang Rattay, „sind in den Bierbechern auch andere gelbe Flüssigkeiten“. Seine Kollegin Ina Fassbender von der dpa sagt: „Das sind unwürdigste Arbeitsbedingungen.“ Und der freiberufliche Fotograf Norbert Schmidt spricht davon, dass sich die Bierbecherwürfe „mittlerweile zu einem Volkssport“ ausgewachsen hätten. „Das hat drastisch zugenommen. Man hört außerdem das ganze Spiel über übelste Fäkalsprache“, sagt Schmidt, „wie sich das in den letzten drei Jahren entwickelt hat, ist schrecklich.“

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Foto: dpa/Bernd Thissen

Die Fotografen ziehen teilweise bewusst alte Kleidung an oder versuchen sich mit Regenschirmen zu schützen. Doch auch sie haben nur zwei Hände, die sie eigentlich zum Bedienen Ihrer Kameras und Laptops benötigen. Werden sie im Bierwurfgewitter getroffen, geht es nicht nur um die äußerst unangenehmen Folgen wie nasse und stinkende Kleidung, sondern schnell auch um hohe Materialschäden. Schmidt sagt, allein seine schon einmal betroffene Ausrüstung, eine Kamera und ein Teleobjektiv, habe einen Neuwert in Höhe von insgesamt 19.500 Euro. Hinzu kommen Laptop, Handy und weiteres Fotoequipment im Wert von mehreren tausend Euro. Oft kann der Freiberufler Schäden bei der Versicherung aber nicht geltend machen, die zudem eine hohe Selbstbeteiligung verlangt.

Hört man sich unter Fotografen um, ist das Phänomen ihnen zufolge in den drei höchsten deutschen Fußball-Ligen zu beobachten, besonders aber in der Bundesliga. Am schlimmsten sei die Situation im Stadion von Borussia Dortmund, immer wieder genannt wird auch das Stadion von Bayer Leverkusen. Doch das seien nur die Schwerpunkte. Quer durch die ganze Republik und durch die Ligen müssen sich die Fotografen ihren Angaben zufolge auf derartige Attacken einstellen, mal zufällig, mal gezielt. Und die Bierbecherwürfe sind ja nur ein Problem von vielen. Der freie Fotograf Robert Michael, hauptsächlich in Sachsen tätig, verweist beispielsweise auf das Stadion in Dresden, in dem bei jedem Heimspiel des Zweitligisten ein „Lügenpresse“-Banner zu sehen sei – in Runenschrift.

Neu sind die Probleme keineswegs. Schon im Sommer 2012 wurde beklagt, dass die Bierbecherwürfe seit zwei Jahren stark zugenommen hätten. Schon damals wurde von den Fotografen auf zunehmende Aggressionen hingewiesen. Und schon damals gab es neben zahlreichen Fällen mit Sachschäden auch Körperverletzungen. Aus Dresden ist ein Fall bekannt, bei dem ein Zuschauer einem Fotografen dessen Kamera in Kung-fu-Manier ins Gesicht trat, wodurch der Fotograf ein Schleudertrauma sowie eine Gehirnerschütterung erlitt und vier Wochen lang nicht arbeiten konnte. Andernorts zog sich ein Fotograf eine Risswunde knapp unter dem Auge zu, als er mit einer Fahnenstange attackiert wurde. Zu Jahresbeginn 2012 explodierte beim Wintercup in Düsseldorf in unmittelbarer Nähe einer Fotografin ein Böller. Die Liste ist lang und sehr unvollständig. Viele Fotografen sehen von Meldungen oder Anzeigen ab, teils aus Angst vor Racheakten.

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Foto: dpa/Marius Becker

Die Situation sei „nicht hinnehmbar“, sagte damals Christian Pfennig in seiner Funktion als Direktor Kommunikation bei der Deutschen Fußball Liga (DFL), „dass das Thema angegangen werden muss, ist klar.“ Doch abgesehen von punktuellen Maßnahmen hat sich an der schon vor sechs Jahren unwürdigen Situation für die Fotografen nur insofern etwas geändert, dass sich ihre Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert haben. Die DFL verweist auf Anfrage auf Gespräche von DFB und DFL mit dem VDS im Herbst 2017. Darin sei die Vorlage einer Dokumentation konkreter Missstände in den Stadien mit Rattay vereinbart worden, damit vor Ort Verbesserungen vorgenommen werden könnten. Rattay sagt, dass man an der Dokumentation arbeite. Die DFL teilt zudem wörtlich mit: „Schon angesichts der unterschiedlichen infrastrukturellen Bedingungen können nachhaltige Lösungen nur im Zusammenspiel mit Clubs und den jeweiligen VDS-Verbindungsleuten vor Ort entwickelt werden. Trotz ihrer hier begrenzten Zuständigkeit bringen sich DFB und DFL dabei gerne ein.“

Sascha Fligge, Direktor Kommunikation bei Borussia Dortmund, betont, dass sich der überwiegende Teil der Zuschauer beim BVB nichts zu Schulden kommen lasse. Er weiß aber auch um die „in der Tat nicht hinnehmbaren Zuschauerreaktionen auf Spielfeldniveau vor der Südtribüne“ und verweist auf bereits getroffene Maßnahmen wie das angebrachte Hintertornetz, den Dialog mit den Fans und „eine Info-Flyer-Verteilung auf den unteren Rängen der Süddtribüne“. Fligge sagt: „Sollte sich hier kein Effekt einstellen, werden in einem weiteren Schritt Sanktionen angekündigt und diese bei Zuwiderhandlungen umgesetzt.“ Zudem sei die hochauflösende Kameratechnik „immer Teil der Beweissicherung“, bei der man „allerdings auf zeitnahe Hinweise der Fotografen noch im Stadion angewiesen“ sei. Eingerichtet wurden für Sportcast zudem „Spuckzelte“, wie sie die TV-Kameraleute der DFL-Tochter nennen. Allein der Begriff erzählt viel über die Zustände, ebenso wie der Umstand, dass den Kameraleuten freigestellt ist, ihren Arbeitsplatz bei zu heftigen Übergriffen zu verlassen.

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Foto: Dirk Päffgen

Es wirkt, als seien die Beteiligten überfordert, allen Interessen gerecht und zugleich der Probleme Herr zu werden. Deren Ursachen scheinen vielfältig und teils auch hausgemacht zu sein. Viele Fotografen verweisen auf die LED-Werbebande in Dortmund, die mittlerweile so hoch sei, dass sie stehen müssten, wodurch Fans sichtbehindert und aggressiv würden. „Es gibt viel Frust bei den Fans, weil der Fußball immer kommerzieller wird. Die versuchen ihre Wehrlosigkeit abzureagieren und sehen in uns den Sündenbock“, meint Rattay, „es ist die Ohnmacht der Fans gegen die Allmacht der Vereine. Die Fans fühlen sich nur noch als Staffage, sie kommen sich gemolken vor.“ Sein freier Kollege Schmidt sieht als eine Ursache zudem eher ein „gesellschaftliches Problem“. Rattay nennt es „eine Verrohung, die allgemein zu beobachten ist“. Spieltag für Spieltag.

In einer früheren Version dieses Artikels haben wir geschrieben, dass die DFL auf gemeinsame Gespräche mit DFB und VDS im Herbst verweist. Diese Gespräche haben bereits im Herbst 2017 stattgefunden.

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