Emotionen, Fair Play, Menschlichkeit Diese elf Beispiele zeigen den Fußball, wie er sein sollte

Kritik am Fußball ist zum Volkssport geworden. Und es gibt ja auch genug Anlass zum Meckern, genug, was sich verbessern ließe. Doch es gab in der Saison 2021/2022 auch die andere Seite. Die, auf der der Fußball menschelt, wo er seiner Vorbildrolle gerecht wird. Wir haben elf Beispiele in der abgelaufenen Saison gefunden.

Trinkpausen im Ramadan Im April bewies die Fußball-Bundesliga, dass sie vieles gleichzeitig sein kann: flexibel, menschlich und spontan. Es lief der Fastenmonat Ramadan, und für die muslimischen Bundesligaprofis stellte die Ausübung ihres Berufs im Hochleistungssport einmal mehr eine extreme Belastung da. Doch dieses Mal hatte der Fußball eine Idee, denn einige Schiedsrichter gewährten Trinkpausen extra für die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fastenden, gläubigen Spieler wie Leipzigs Mohamed Simakan. Was für ein Zeichen der Solidarität, der Kollegialität und der gesundheitlichen Verantwortung! So einfach und doch so bedeutend. Eine generelle Anweisung gebe es nicht, aber man unterstütze es natürlich, wenn die Schiedsrichter auf Bitten der Spieler solche Trinkpausen zulassen, ließ der DFB wissen. Manchmal braucht der Fußball eben keine Anweisungen, um das Richtige zu tun

Stuttgarts Sasa Kalajdzic wird zum Ersthelfer für Bielefelds Fabian Klos Sasa Kalajdzic ist von Beruf Stürmer in Diensten des VfB Stuttgart. Und diesen Dienst versah der Österreicher Anfang April auch beim Kellerduell auf der Bielefelder Alm. Doch als sich Arminias Stürmer-Oldie Fabian Klos in einer Szene am Kopf verletzte und am Boden liegen blieb, wurde Kalajdzic binnen Sekunden vom Angreifer zum Ersthelfer. Der Schlaks schnappte sich die Trage, die von den Helfern auf der Alm nach seinem Geschmack zu langsam zu dem verletzten Kollegen gebracht wurde. „Ich wollte einfach nur helfen, ohne irgendwelche Kritik am Personal“, sagte Kalajdzic später. Der damalige Bielefelder Trainer Frank Kramer sprach später von einer „ganz außergewöhnlichen Aktion“ des VfB-Spielers. So sahen das übrigens auch die Fans im Stadion, die die Aktion und Ersthelfer Kalajdzic frenetisch feierten.

Freiburgs Vincenzo Grifo lehnt einen Elfmeterpfiff ab 0:2 lag der SC Freiburg hinten, als Vincenzo Grifo den Vorstoß unternahm, noch etwas zu bewegen gegen Eintracht Frankfurt. Im Duell mit Timothy Chandler ging er zu Boden, doch Grifo sprang sofort auf und zeigte an: Das war kein Elfmeter! „Ich habe im Spiel nicht das Gefühl gehabt, dass er mich getroffen hat“, sagte er. „Deswegen wollte ich mich sofort entschuldigen, dass es keine Schwalbe war.“ Frankfurts Trainer Oliver Glasner stimmte eine regelrechte Lobeshymne an: „Vincenzo Grifo hat gezeigt, für was er und der SC Freiburg stehen: Für ehrlichen Fußball, für Fair Play, für Sportsgeist.“ Damit seien die Spieler – was Christian Streich gefreut haben dürfte – auch immer ein Spiegelbild ihres Trainers.

Christian Eriksen kehrt auf die Fußballbühne zurück Die Bilder vom 12. Juni 2021 wird wohl niemand mehr vergessen, der live dabei – ob im Stadion oder vor dem Fernseher. Kurz vor der Pause im Vorrundenspiel zwischen Dänemark und Finnland kollabiert Dänemarks Spielmacher Christian Eriksen und muss vor den Augen seiner geschockten Mitspieler reanimiert werden. Gott sei Dank überlebt der damals 29-Jährige und kämpft sich in den Monaten danach zurück auf den Fußballplatz. Ihm wird ein Defibrillator eingesetzt. Mit diesem darf der damalige Spieler von Inter Mailand zwar laut italienischer Statuten kein Profisport mehr ausüben, dafür aber in der Premier League. Aufsteiger FC Brentford sichert sich die Dienste Eriksens und schafft auch dank ihm sensationell den Klassenerhalt. Der Kampf hat sich gelohnt.

Der Fußball solidarisiert sich mit der Ukraine Der Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine erschütterte Ende Februar die gesamte Welt – auch den Fußball. Während die Verbände Uefa und Fifa mit dem Ausschluss von russischen Teams von allen Wettbewerben reagierten, solidarisierten sich in Deutschland Vereine, Spieler, Trainer, Funktionäre und Fans durch verschiedene Aktionen mit den Kriegsopfern in Osteuropa. Egal, ob Eckfahnen und Kapitänsbinden in den ukrainischen Landesfarben, Friedensbotschaften auf Transparenten oder Benefizspiele gegen ukrainische Mannschaften: Der deutsche Fußball sendete ein starkes Signal hinaus in die Welt, dass Krieg niemals eine Option sein darf.

Eintracht Frankfurt schreibt ein Europapokalmärchen Eintracht Frankfurt hat einen Freudenspender: die Europa League. 2019 ging es bis in Halbfinale, und jetzt haben die „Adler“ noch einen draufgesetzt: Sie stehen im Finale, am Mittwoch geht es in Sevilla gegen die Glasgow Rangers. Die Romantiker unter den Fans feiern das Finale zweier Traditionsvereine. Und die Eintracht zelebriert ihre Europa-Tour lustvoll. Erst der Thriller gegen Betis Sevilla, dann wurde das Camp Nou in Barcelona gestürmt und schließlich auch das Wembley-Stadion gegen West Ham. Nun soll der erste internationale Titel seit 1980 her. Damals war es ein deutsch-deutsches Finale gegen Gladbach. Jetzt ist die Eintracht der Allein-Unterhalter aus der Bundesliga. Und zwar einer, der tolle Werbung macht für den deutschen Fußball.

Schiedsrichter, die offen Fehler zugeben, verhelfen der Zunft zu mehr Ansehen und Menschlichkeit Nach einer Partie geraten gerade Schiedsrichter gerne ins Visier des Fan-Frusts – gerade dann, wenn ein falscher Pfiff spielentscheidend war. Zwei Positiv-Beispiele zum Thema Transparenz und Einsicht lieferten kürzlich Deniz Aytekin und Patrick Ittrich. „Es ist uns durchgerutscht, das ist ärgerlich“, sagte Aytekin, nachdem er und sein Video-Assistent im Februar ein Mainzer Tor gegeben hatten, obwohl dieses aufgrund einer Abseitsstellung nicht hätte zählen dürfen. Patrick Ittrich übersah im März ein Handspiel in der 3. Liga und entschuldigte sich anschließend über Twitter. „Aber auch das ist Schiedsrichterei – Fehler machen und diese eingestehen“, sagte Ittrich.

Liverpool-Fans gedenken Ronaldos totem Kind Der Fußball zeigte Größe in einem seiner emotionalen Epizentren. „Exakt so sollte Fußball sein – alle Rivalitäten beiseite, das ist wahre Klasse“, sagte Jürgen Klopp nach dem 4:0 seines FC Liverpool gegen den Rivalen Manchester United. United-Star Cristiano Ronaldo hatte mit seiner Lebensgefährtin die Trauer um den gemeinsamen Sohn bekanntgegeben, der die Geburt nicht überlebt hatte. In der 7. Minute des Spiels (die 7 ist Ronaldos Rückennummer) hatten sich die Fans an der Anfield Road erhoben, 60 Sekunden geklatscht und „You’ll never walk alone“ angestimmt. „Danke, Anfield. Meine Familie und ich werden diesen Moment des Respekts und des Mitgefühls nie vergessen“, schrieb der Portugiese später bei Instagram.

Flick und Neuendorf bemühen sich, das Image des DFB zu retten In Präsident Bernd Neuendorf und Bundestrainer Hansi Flick hat der DFB in dieser Saison zwei Positionen neu besetzt. Neuendorf gilt als bodenständig, will unter anderem mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen bringen und sich dafür einsetzen, dass bei der Vergabe großer Turniere auf Menschenrechtssituationen und Nachhaltigkeit gesetzt wird. Veränderungen, die sich zahlreiche Fußball-Fans sicher wünschen. Mit Flick hat der DFB zudem einen Trainer gewonnen, der darauf bedacht ist, Ruhe und Sympathie auszustrahlen.

Die Fans kehren in die Stadien zurück Wenn die Corona-Pandemie im Fußball eines gezeigt hat, dann, dass dieser Sport ohne Fans im Stadion wie ein fader Einheitsbrei ist: Es sättigt zwar irgendwie, aber es fehlt das Besondere. Genauer gesagt die Spannung und Emotionen auf den Rängen, die sich wie ein Brandfeuer auf den Rasen ausbreiten und alles miteinander auf natürliche Weise verbinden. Zu beobachten war das in den vergangenen Wochen vor allem bei den Europa-League-Auftritten von Eintracht Frankfurt und beim Aufstieg von Schalke 04 zurück in die Bundesliga. Auch dank der Unterstützung der Anhänger in den Stadien waren diese beiden Team in der Lage, über sich hinaus zu wachsen.

Der DFB-Pokal ist diesmal ein Wettbewerb der Außenseiter Meist werden die Bayern DFB-Pokalsieger. Ja, manchmal auch Borussia Dortmund. Auch Wolfsburg holte zuletzt mal den Pott. Doch meist ist es eben einer der Großkopferten der Liga, der am Ende in Berlin den Pokal in den Nachthimmel stemmt und sich feiern lässt. Und gerade vor diesem Hintergrund ist die laufende Pokalrunde eine besondere. Eine tolle. Eine, die einen Fußball am Leben erhält, in dem die Grundüberzeugung überlebt, dass dann doch mal die Kleinen die Großen schlagen können. Die Bayern blamierten sicht früh beim 0:5 in Gladbach, Dortmund scheiterte beim FC St. Pauli. Leverkusen schied gegen Karlsruhe aus. Im Halbfinale standen schließlich der HSV, Freiburg, Union Berlin und Leipzig. Im anstehenden Finale sind es Freiburg und Leipzig. Und es würden einfach zu dieser Pokalrunde passen, wenn es die Freiburger am Ende packen würden.

Von Andrich bis Stach Diese Transfers im Sommer 2021 waren echte Glücksgriffe
