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Dortmunds Herz So wichtig ist Jude Bellingham für den BVB

Dortmund · Mit 19 Jahren ist Jude Bellingham beim BVB Anführer, Torschütze und Identifikationsfigur in einem. Und er ist wohl bald weg. Gerüchten zu Folge zieht es ihn zu Real Madrid.

Alle lieben Jude: Jude Bellingham (M.) wird von seinen Teamkollegen nach einem Torerfolg geherzt.  Foto: Martin Meissner/AP

Alle lieben Jude: Jude Bellingham (M.) wird von seinen Teamkollegen nach einem Torerfolg geherzt. Foto: Martin Meissner/AP

Foto: AP/Martin Meissner

Natürlich hat er sich den Ball zum Elfmeter genommen, als es noch möglich war, dass es halbwegs eng werden könnte im Duell der Dortmunder mit der Mönchengladbacher Borussia (Endstand 5:2). Natürlich streifte er die Binde des Spielführers über, als Mats Hummels den Platz verließ. Natürlich überließ er sie nach dessen Einwechslung dem eigentlichen Kapitän Marco Reus, weil er die Fußball-Hierarchien kennt. Und natürlich war er wieder das Herz des Dortmunder Spiels, der „Dreh- und Angelpunkt“, wie man früher so schön sagte.

Jude Bellingham ist nicht der einzige Grund, aber sicher der wesentliche Grund dafür, dass der BVB zwei Spieltage vor dem Ende der Saison wieder vom Meistertitel träumen darf. Das Erstaunlichste daran: Bellingham, der große Junge aus den englischen West Midlands, ist erst 19 Jahre alt. Unglaublich.

Er war gerade mal 18, als ihn das Fachblatt „Kicker“ bereits mit einiger Berechtigung in zeitgemäßem Taktikdeutsch zum „kompletten Box-to-Box-Spieler“ ernannte. Da hatte er mit der Selbstverständlichkeit des Könners schon eine Führungsrolle im Dortmunder Team inne. Daran hat sich allenfalls insofern etwas geändert, als er noch viel besser geworden ist.

Im Abwehrspiel beweist er Zweikampfstärke und Klugheit, mit feinen Tempowechseln bestimmt er den Rhythmus, seine Kopfballstärke macht ihn vorne und hinten wertvoll, die Pass-Sicherheit ist so beeindruckend wie die technische Grundausstattung. Er wird längst der fast drei Jahre alten Einschätzung des englischen Verbandsscouts Daniel Dodds gerecht. Der schwärmte von „der Art, wie er sich bewegt“, von seinen „technischen Fähigkeiten. Er hat eine unglaubliche Spielintelligenz, sein taktisches Wissen ist herausragend. Er ist mindestens so gut wie alles, was ich bisher gesehen habe“.

Solche Hymnen singt die Fachwelt eigentlich nur etablierten Herren im Zenit ihres Könnens, irgendwo zwischen 25 und 30 Jahren, die das Auf und Ab der Karriere durchlebt und durchlitten haben und ihren Platz im Profisport kennen.

Bei Bellingham ging es bisher steil bergauf, vom Zweitligaspieler in Birmingham, der mit 17 Jahren für 145 Pfund die Woche die Leistungen einer Stammkraft anbot, über Borussia Dortmund, wo er am Ende seiner ersten Saison 2021 schon mal den DFB-Pokal mitnahm, und die Nationalmannschaft, deren jüngster Spieler er bei einer Europameisterschaft wurde. Der junge Brite sammelt auf seinem Weg Rekorde wie sonst nur Erling Haaland, die norwegische Tormaschine von Manchester City.

Weil er vorausgeht wie ein gestandener Mann, das Publikum und die Kollegen dirigiert wie ein alter Meister, schießt er gelegentlich übers Ziel hinaus. Als sich Fußball-Dortmund in der Saison 2021/22 beim 2:3 gegen Bayern München von Schiedsrichter Felix Zwayer mies behandelt fühlte, keilte Bellingham verbal aus: „Man gibt einem Schiedsrichter, der schon mal ein Spiel verschoben hat, das größte Spiel. Was soll man da erwarten?“ Bellinghams drastische Erinnerung an den Skandal um die Spielmanipulation durch Schiedsrichter Robert Hoyzer, dessen Assistent Zwayer war, trug dem Engländer eine Geldbuße in Höhe von 40.000 Euro ein. Er wird wahrscheinlich nicht mehr so aus der Rolle fallen. Seine Mutter Denise Bellingham jedenfalls versichert: „Er ist ein guter Junge.“ Welche Mutter sagt das nicht?

Matthias Sammer gehört zwar nicht zu Bellinghams Erziehungsberechtigten. Aber der BVB-Berater sieht bekanntlich im hellsten Scheinwerferlicht immer auch die dunklen Schatten an der Wand. Bellinghams offenkundige Absicht, im Sommer (für eine Ablösesumme von wohl 120 Millionen Euro) zu Real Madrid zu wechseln, kommentierte der Sachse gewohnt bärbeißig: „Er würde zumindest eine bessere Erziehung bekommen als in Dortmund, weil zum Teil ein 19-Jähriger natürlich manchmal auch ein paar Flausen neben dem Feld und manchmal auch auf dem Feld im Kopf hat, was vollkommen normal ist für seine Entwicklung.“

Bellinghams Trainer Edin Terzic beeilte sich, die vorbildliche Berufsauffassung und Haltung seines Schützlings zu preisen, und Sammer erklärte seine Bemerkung nicht näher. Dass er einen Wechsel zu einem Weltklub für zu früh hält, musste er nicht erklären. Sammer glaubt, dass sich Bellinghams natürliches Verantwortungsbewusstsein fürs Spiel und die Mannschaft an den Ansprüchen von Weltstars reiben wird – mit ungewissem Ausgang. „Ob er das möchte, wird er entscheiden“, sagte der Berater.

Er ist nicht der Einzige, der den 19-Jährigen für (noch) nicht vollkommen hält. Auch Weltmeister Philipp Lahm urteilte in einer Kolumne für die „Zeit“: „Er hat seine Rolle noch nicht genau definiert. Er hat noch keinen Stil definiert, mit dem man ihn identifiziert. Er übernimmt in Dortmund zu viele Aufgaben.“ Am liebsten wäre er überall auf dem Feld gleichzeitig, ein Sechser, ein Achter, ein Zehner in einer Person – ein Vorsatz, den niemand einlösen kann und an dem der deutsche Mittelfeldkollege Joshua Kimmich von Bayern München manchmal zu zerbrechen scheint.

Deshalb wäre Bellinghams Weg zu einem ganz großen Klub wohl die Chance, das eigene Profil in einer harten Schule zu schärfen und den Alleinvertretungsanspruch zu mildern.

Einstweilen muss er aber nur Dortmund über die letzten beiden Spiele in Augsburg und gegen Mainz steuern. Das Rüstzeug dazu gesteht ihm selbstverständlich auch Lahm zu. „Seine Ballmitnahme ist außergewöhnlich“, schreibt der ehemalige DFB-Kapitän, „er ist physisch und furchtlos. Er zeigt auf dem Platz Charakter und sucht das Duell mit den Starken. Bellingham weckt Fantasie, weil er einmal Weltklasse werden könnte.“ Viel Fantasie braucht es dafür nicht.

(pet)
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