Internationaler Vergleich Die Bundesliga hat ein Qualitätsproblem

Amsterdam · In der Champions League feiern die anderen – deutsche Klubs können den Großen der Branche in der Königsklasse nur zugucken. Für die Fünfjahreswertung hat das Folgen. Es ist aber nicht mehr als eine schmerzhafte Momentaufnahme.

Freude und Leid: Spurs-Trainer Mauricio Pochettino herzt seine Spieler, die Profis von Amsterdam liegen am Boden.

Freude und Leid: Spurs-Trainer Mauricio Pochettino herzt seine Spieler, die Profis von Amsterdam liegen am Boden.

Foto: dpa/Marius Becker

Manchmal liegen auch Helden am Boden. Das Personal in Dienstkleidung von Ajax Amsterdam konnte sich jedenfalls nur schwer auf den Beinen halten. Es spielt eine Saison wie im Märchen. Spitzenreiter in der niederländischen Eredivisie, damit war zu rechnen. In der Champions League hatten sie nur wenige auf dem Zettel. Real Madrid und Juventus Turin ging es offenbar ganz ähnlich – Ajax warf die beiden Klubs im Achtel- beziehungsweise Viertelfinale des Wettbewerbs raus. Amsterdam ging mit einer extrem jungen Mannschaft, im Durchschnitt 23,6 Jahre, ans Tagwerk, bezauberte, berauschte. Am Ende haben sie viel Respekt gewonnen, sind aber auf recht schmerzliche Weise im Halbfinale gegen Tottenham Hotspur in der sechsten Minute der Nachspielzeit mit 2:3 ausgeschieden. So kommt es am 1. Juni zu einem rein englischen Duell zwischen dem FC Liverpool und den Spurs in Madrid.

Die Bundesliga muss schon seit ein paar Runden beim Konzert der Großen zusehen. Keine einzige deutsche Mannschaft hat das Achtelfinale überstanden. Das gab es zuletzt in der Saison 2005/06 – da waren indes auch nur zwei und nicht wie jetzt bis zu vier Teams qualifiziert. Borussia Dortmund, der FC Bayern München und Schalke 04: alle raus. Die TSG Hoffenheim hat es nicht mal über die Gruppenphase hinaus geschafft. Sportlich sind solche Ergebnisse durchaus erklärbar. Wie weit man in einem Turnier kommt, ist nicht nur damit zu erklären, wie viel Geld man in sein Team investiert hat. Die Rechnung ist komplexer. Es ist aber natürlich für sich genommen schon eine Blamage, wenn man die Selbstwahrnehmung der Bundesliga zu Grunde legt. Die Profiklubs hierzulande vermarkten ihren Wettstreit allzu gerne als Premiumprodukt. Tatsächlich ist die Bundesliga deutlich spannender als viele andere Ligen in Europa. Ihr geht allerdings recht schnell die Puste aus, wenn es aufs internationale Parkett geht. Kein Drama mit direkten Auswirkungen, aber ein Fingerzeig. Viele Schwächephasen konnten immer kaschiert werden, weil auf den FC Bayern Verlass war.

Champions League: Ajax Amsterdam - Tottenham Hotspur, Bilder des Spiels
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Ajax Amsterdam - Tottenham Hotspur: Bilder des Spiels

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Foto: Action Images via Reuters/MATTHEW CHILDS

Für die Bundesliga geht der Blick international nach unten. Spanien steht mit weitem Abstand vor allen anderen, dahinter kommen England und Italien. Deutschland ist nur deshalb nach dieser Saison nicht in größere Turbulenzen geraten, weil auch Frankreich mit Paris Saint-Germain und Olympique Lyon nicht übers Achtelfinale hinausgekommen ist. Ein Absturz vom vierten Platz in diesem Klassement hätte schmerzhafte Auswirkungen: Während die ersten vier jeweils vier direkte Champions-League- und drei Europa-League-Teilnehmer stellen dürfen, stehen dem Fünften insgesamt nur sechs Plätze zu. Zwei in der CL-Gruppenphase, einer in der CL-Qualifikation, drei in der Europa League. Das würde bedeuten, dass Deutschland einen Vertreter weniger ins Rennen schicken dürfte. Noch ist das Polster ausreichend groß.

Und warum guckt die Bundesliga oft nur noch zu, wenn vor allem Engländer, Spanier und Italiener die Königsklasse unter sich ausmachen? Ist die Bundesliga abgehängt worden? Die Bundesliga hat ein Qualitätsproblem. Selbst in einer für den FC Bayern vergleichsweise miesen Saison steht der selbsternannte Stern des Südens ganz oben in der Tabelle. Die Bayern haben die Kaufkraft, die anderen Klubs halten nicht auf Strecke ein eigenes Spielsystem durch. Mangelnde Erfahrung sorgt für fehlende Kontinuität. Was auffällig ist: Besonders die englischen Vertreter erweisen sich als absolute Mentalitätsmonster. Sie glauben an die eigenen Stärken, sind selbstbewusst auf dem Platz. Bis zur letzten Spielminute.

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Foto: dpa/Darren Staples

In Deutschland gibt es auch an den meisten Standorten ideale Trainingsbedingungen. Es wird gehörig in die Nachwuchsarbeit investiert. Mitunter wird aber nach sehr speziellen Kriterien ausgewählt. Echte Typen fallen zumeist aus dem Raster. Entscheidungsspieler, die für den Treffer sorgen können, schaffen es hier nicht in den Profibereich. Die Angepasstheit ist bequem, aber wenig aufregend. Mehr Mut zu Freiheiten, mehr Spielraum für Charakter wäre wünschenswert. Dem Premiumprodukt würde es bestimmt nicht schaden.

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