Haller, Götze und Co. Das sind unsere Spieler der Saison
In der Bundesliga-Saison 2022/23 gab es viele besondere Geschichten. Spieler, die über sich hinausgewachsen sind. Spieler, die nach einem Comeback besonderes geleistet haben. Spieler, die in ihrer Mannschaft den Unterschied ausmachen. Die Redakteure unserer Sportredaktion stellen ihre Spieler der Saison vor.
Wataru Endo (VfB Stuttgart) Wataru Endo steht in der Scorerliste des VfB Stuttgart auf Platz zwei. Nichts Besonderes? Okay, auf den ersten Blick nicht, ebenso wie seine fünf Treffer und fünf Vorlagen in der regulären Saison. Interessanter wird die Sache schon, wenn man betrachtet, dass Endo defensiver Mittelfeldspieler ist – und zudem Kapitän des VfB. Doch der 50-malige Nationalspieler ist mehr als nur der Kapitän. Für viele Fans IST der 30-Jährige bereits der VfB. „Wie sehr uns die Schultern und die nie enden wollende Aufopferung des Wataru Endo tragen, werden wir erst dann im Ansatz verstehen können, sollte er nicht mehr da sein“, „Wie kann man von Wataru Endo adoptiert werden?“, „Welcher Spieler der letzten zwölf Jahre ist eine größere Vereinslegende als es Wataru Endo bereits jetzt ist?“ – nur drei von vielen Tweets von Stuttgarter Fans. In der Vorsaison brachte – natürlich – sein Kopfball in der Nachspielzeit des letzten Spieltags zum 2:1 gegen den 1. FC Köln den Stuttgartern die direkte Rettung. In dieser Spielzeit verpasste Endo eine Partie wegen einer Gehirnerschütterung, in den übrigen 33 stand er 30 Mal über die volle Distanz auf dem Feld, verpasste zusammengerechnet ganze 45 Minuten. Wataru Endo. Ein stiller Held, auf dem nun die Hoffnungen des VfB in der Relegation gegen den HSV ruhen. (von Bernd Jolitz)
Randal Kolo Muani (Eintracht Frankfurt) Immer wieder schafft es die Eintracht, neue Stürmer aus dem Hut zu zaubern, die kaum jemand auf dem Zettel hatte und die sofort funktionieren. Randal Kolo Muani ist das aktuellste Beispiel. 2022 ablösefrei geholt, könnte er im Sommer schon wieder weg sein und eine Summe irgendwo zwischen 80 und 100 Millionen Euro einbringen. Bis dahin hat er 15 Tore in der Bundesliga vorzuweisen und dazu eine zweistellige Anzahl Assists. Am Finaleinzug im DFB-Pokal war er mit sechs Treffern in fünf Spielen auch maßgeblich beteiligt. Schießt der Franzose Frankfurt dort auch zum Titel, wäre eine schwierige Saison gerettet, die ohne ihn weitaus schlechter hätte werden können. (von Stefan Janssen)
Frederik Rönnow (Union Berlin) Torhüter werden oft allein an der Zahl der Gegentore gemessen oder an der Quote der abgewehrten Schüsse. Nun spricht es für Union Berlins Frederik Rönnow, dass er auch in diesen Rankings der beste Stammkeeper der Bundesliga ist: 0,93 Gegentore pro Spiel, 82 Prozent aller Schüsse pariert. Doch das Repertoire der Torwart-Statistiken hat sich enorm weiterentwickelt: „Expected Goals“ geben die Trefferwahrscheinlichkeit eines jeden Schusses an, „Post-Shot Expected Goals“ berücksichtigen nur die Versuche, die wirklich aufs Tor gingen. 8,2 Tore hat Rönnow auf diese Weise in absoluten Zahlen vereitelt, 0,28 pro Spiel. Auf der Torwart-Position führt in keiner „Elf der Saison“ ein Weg vorbei an Unions Königsklassen-Garant. (von Jannik Sorgatz)
Rani Khedira (Union Berlin) Union Berlins Rani Khedira, Bruder von 2014er Weltmeister Sami Khedira, galt lange als eines der großen Talente in Deutschland. Er spielte wie sein Bruder zunächst beim VfB Stuttgart. Nach Stationen in Leipzig und Augsburg ist er bei Union Berlin nun einer der prägenden Spieler und Garanten für den Erfolg in dieser Saison. Er lenkt das Spiel der Mannschaft strategisch wie emotional, ohne selbst zu viel Raum einzunehmen. Der inzwischen 29-Jährige ist ein wichtiger Wortführer an der Alten Försterei. Dabei spart er auch nicht mit Selbstkritik. Eine Eigenschaft, die eben den Unterschied zwischen einem guten Spieler und einem guten Führungsspieler ausmacht. Rani Khedira ist bei Union zu so einem Spieler gereift. Inzwischen sind diese Fähigkeiten auch Vereinen im Ausland aufgefallen. Teams aus England und Spanien sollen Interesse an Khedira haben. (von Christina Rentmeister)
Niclas Füllkrug (Werder Bremen) Sein Stern ist erst spät aufgegangen am großen, deutschen Fußballfirmament, dafür aber umso eindrucksvoller. Im beginnenden Herbst seiner Karriere hat Niclas Füllkrug die landesweite Sehnsucht nach einem Mittelstürmer auf internationalem Niveau gestillt und sich die Torjägerkanone gesichert – zwar mit „nur“ 16 Treffern (so wenige wie noch nie), was aber auch daran gelegen hat, dass den Stürmer von Werder Bremen auf den letzten Metern der Saison doch noch sein schon für überwunden geglaubtes Verletzungspech einholte. Nicht zu vergessen: die fünf Vorlagen, die der 30-Jährige außerdem geleistet und auch damit maßgeblich zum Klassenerhalt der Bremer beigetragen hat. Selbstverständnis, Torinstinkt, eiskalter Abschluss – Füllkrug war ein großer Gewinn für die Bundesliga. (von Tobias Dinkelborg)
Anthony Losilla (VfL Bochum) In einem Alter, in dem andere ihre Karriere schon längst in der Kreisliga oder sonst wo ausklingen lassen, gibt Anthony Losilla noch einmal richtig Stoff. Mit seinen 37 Jahren ist er zwar der zweitälteste Spieler der Bundesliga, dennoch ist kaum ein Spieler für seinen Verein so wichtig wie „Toto“ für den VfL Bochum. Der Franzose beweist jedem Mitt-Dreißiger, wie fit man sein kann, wenn man sich mal ein bisschen Mühe gibt. Knapp zwölf Kilometer reist Losilla in jedem Spiel ab. Dies mit einer beeindruckenden Präsenz, einer wahnsinnigen Zweikampfstärke und den richtig, richtig wichtigen Toren wie zuletzt beim 1:1 gegen den BVB – sozusagen als eine Art Anti-Bellingham. Anne Castroper hält Losilla (wie man im Ruhrgebiet sagt:) den ganzen Laden am kacken. Der Aufstieg vor zwei Jahren und der nun zweite, sensationelle Klassenerhalt in Folge sind vor allem auch sein Verdienst. (von Stefan Loyda)
Sheraldo Becker (Union Berlin) Wenn es in einem funktionierenden Kollektiv zusätzlich Spieler gibt, die herausragen und den Unterschied machen können, dann ist auch eine Saison möglich, wie sie Union Berlin hingelegt hat. Seit dem Bundesliga-Aufstieg 2019 hat sich der Klub von Jahr zu Jahr gesteigert. Sheraldo Becker trug einen wesentlichen Teil dazu bei, dass dies den Eisernen auch in der vierten Saison wieder gelang. Mit seinen elf Toren und acht Vorlagen machte der pfeilschnelle Angreifer vergessen, dass Unions Königstransfer Jordan in seinem Premierenjahr deutlich hinter den Erwartungen blieb. Zwar hatte auch Becker seine Auszeiten, nach einem furiosen Start wurden die Scorerpunkte weniger. Doch in der Endphase war er da: Siegtreffer in Gladbach, zwei Tore beim eminent wichtigen Sieg gegen Freiburg. So geht es wieder nach Europa. (von Thomas Grulke)
Mario Götze (Eintracht Frankfurt) Für Mario Götze, den Weltmeistermacher von 2014, war die Zeit beim PSV Eindhoven quasi ein Jungbrunnen und die Zusammenarbeit mit Roger Schmidt ein Segen. Gestärkt und mit viel Energie kam er zu Eintracht Frankfurt und zeigte dort, dass er nicht nur fußballerisch, sondern auch als Typ eine Mannschaft mit anführen kann. Das brachte ihm nebenbei die DFB-Rückkehr nach fünf Jahren und die zweite WM-Teilnahme ein – inklusive der Chance, auch für die EM 2024 ein Thema zu sein. Mit der Eintracht kann er seine Comeback-Saison mit seinem fünften DFB-Pokalsieg krönen. (von Karsten Kellermann)
Julian Brandt (Borussia Dortmund) Man konnte im Laufe der Karriere von Julian Brandt bisweilen den Eindruck gewinnen, er sei als Kind einmal in ein gigantisches Nutella-Glas gefallen. Er war immer dabei, aber sportlich nie so wirklich der Unterschiedsspieler. Er blühte vor allem in seiner Rolle als Klassenclown auf. Doch es hat sich etwas in seinem Berufsleben gewandelt. Bei Borussia Dortmund scheint er nun diesen berühmten nächsten Schritt gegangen zu sein. Vielleicht hat aber auch nur Edin Terzic als Erster verstanden, wo Brandt seine Stärken am allerbesten ausspielen kann. In 29 von 34 Partien stand er in dieser Spielzeit in der Startelf, überwiegend im offensiven Mittelfeld eingesetzt. Der gebürtige Bremer zählt aktuell zu den engagiertesten Flankengebern, hat neun Tore selbst geschossen und acht vorbereitet. Ihn zeichnet dieser gewisse Spielwitz aus. Er ist Passgeber, Antreiber und profitiert natürlich auch stark davon, dass Jude Bellingham um ihn herum wuselt und Sébastien Haller vor ihm vollstreckt. Aber Brandt ist in diesem Zusammenspiel eine zentrale Figur. Die Dortmunder dürfte besonders freuen, dass er gerade erst seinen Vertrag bis 2026 bei den Westfalen verlängert hat. (von Gianni Costa)
Sébastien Haller (Borussia Dortmund) Als Sébastien Haller am 22. Januar im Heimspiel von Borussia Dortmund gegen den FC Augsburg eingewechselt wurde, wurde es hochemotional – und laut. Zigfach wurde der Name des Stürmers von den Fans gerufen, der noch nicht eine Sekunde für den Verein gespielt hatte. Haller hatte seinen größten Kampf gewonnen, den Krebs besiegt. Kein halbes Jahr nach der Schockdiagnose Hodenkrebs stand er Anfang diesen Jahres wieder auf dem Feld in der Fußball-Bundesliga. Neun Tore erzielte er seitdem. Doch viel mehr Wert ist seine Präsenz auf dem Feld, mit der er seinen Mitspielern Räume ermöglicht und sie „strahlen lässt“ (Zitat Edin Terzic): „Alles hängt mit Haller zusammen“. Dass er am letzten Spieltag mit seinem verschossenen Elfmeter zur tragischen Figur wurde, ändert nichts an seiner Bedeutung für das Team. (von Stefan Döring)
Vincenzo Grifo (SC Freiburg) Der SC Freiburg spielt eine der besten Spielzeiten seiner Vereinsgeschichte. Laut Trainer Christian Streich solle es zwar eine zu große Abhängigkeit von einzelnen Spielern in seinem Team nicht geben, dennoch steht aber vor allem ein Akteur für die beeindruckende Entwicklung der Breisgauer bis ins obere Tabellendrittel der Bundesliga und ins Achtelfinale der Europa League: Vincenzo Grifo. Der 29 Jahre alte Edeltechniker, der praktisch nie schlecht spielt und Woche für Woche auf hohem Niveau agiert, spielt die beste Saison seines Lebens. Er gehört zu den gefährlichsten Mittelfeldspielern der Liga, hat 14 Tore erzielt, 20 Scorerpunkte gesammelt und war an 38 Prozent der Treffer seiner Mannschaft in dieser Saison beteiligt. Unvergessen bleiben einige geniale Auftritte, so zum Beispiel der im letzten Bundesligaspiel vor der WM in Katar: In der Partie gegen Union Berlin erzielt er bis zur 20. Minute einen lupenreinen Hattrick (4., 6., 20.). Einer seiner Stärken sind die Freistöße, was er im Frühjahr bei seinem Treffer zur 1:0-Führung demonstrierte, der den Freiburger 2:1-Sieg über den BVB den Weg bereitete: Gegen Keeper Gregor Kobel gelang dem Zauberfuß da mithilfe seiner unnachahmlichen Technik ein Traumtor in den Winkel. Zweimal ist der gebürtige Pforzheimer nach Freiburg zurückgekehrt, seine Ausflüge nach Mönchengladbach und Hoffenheim waren wenig erfolgreich. Doch im Breisgau zeigt „Wintzsche“, wie ihn die Fans rufen, wahre Leistungsexplosionen: Dort passt er mit seiner spielerischen Klasse, seinem starken Antritt und seinem starken Schuss perfekt zur Philosophie seines Trainers, der keinen klassischen Mittelstürmer gebrauchen kann, sondern auf einen Akteur setzt, der Räume für die Mitspieler schafft. Wenn der neunfache italienische Nationalspieler weiter brilliert, wird Coach Roberto Mancini nicht an ihm vorbeikommen können und ihn für den Kader für die EM 2024 in Deutschland nominieren müssen. (von Falk Janning)
Marius Bülter (Schalke 04) Mit 25 Jahren spielte Marius Bülter noch beim SV Rödinghausen in der vierten Liga. Dass er als Quereinsteiger in der Bundesliga mithalten kann, bewies er dann bei Union Berlin. In der Rückrunde verwandelte er sich für Schalke aber zum Unterschiedsspieler im Abstiegskampf. Mit 30 Jahren wurde er plötzlich mit Hackentricks, Übersteigern und Traumtoren verhaltensauffällig, die er so nachfühlbar hölzern vortrug, dass man sie ihm selbst beim SV Brukteria Dreierwalde verzeihen wird, bei dem er in der westfälischen Provinz das Fußballspielen lernte. Mehr als zehn Bundesliga-Tore hatten vor ihm in den vergangenen zehn Jahren erst zwei Schalker geschossen: Guido Burgstaller und Klaas-Jan Huntelaar. Große Gelsenkirchener Namen. Bülter ist jetzt einer von ihnen. (von Aaron Knopp)
Jude Bellingham (Borussia Dortmund) Er ist einfach eine Wucht – Jude Bellingham. Auf dem Platz führt er den BVB mit gerade einmal 19 Jahren für jeden erkennbar an, als wäre es in seinem Alter das Normalste von der Welt. Und für die Dortmunder Fans ist er dermaßen zur emotionalen Identifikationsfigur geworden, als hätte er seine Jugend am Borsigplatz verbracht. Bei einem Titelkandidaten erkennbar besser zu sein als der Rest der Mitspieler, ist eine Auszeichnung. Bellingham gelingt es. Als Leader, Mittelfeldmotor, Torschütze, Abwehrrecke. Der junge Brite gilt zurecht als eines der größten Talente seiner Zeit – der beste Profi der Bundesliga ist er jetzt schon. Und deswegen wird er leider eher früher als später für eine Rekordablöse wieder gehen. (von Stefan Klüttermann)
Henning Matriciani (Schalke 04) In einer für Schalke 04 nicht reich an Höhepunkten gesegneten Saison war er definitiv einer der Lichtblicke: Henning Matriciani. Der 23-jährige Defensivallrounder, der rein optisch wie die junge Version von Mario Basler daherkommt, überzeugte vor allem mit Einsatz und Mentalität und bewies dabei, dass man in der Jugend nicht unbedingt ein hochmodernes NLZ von innen gesehen haben muss, um in der Bundesliga durchzustarten. Spätestens seit seiner spektakulären Rettungstat im Revierderby gegen Borussia Dortmund, als er mit einer eingesprungenen Grätsche einen Schuss von Mo Dahoud blockte, genießt er bei der blau-weißen Fangemeinde Kultstatus. Der Lohn: Der gebürtige Lippstädter feierte Ende März sein Debüt in der U21-Nationalmannschaft. (von Max Lonn)
Marius Wolf (Borussia Dortmund) Besonders in der Rückrunde hatte Marius Wolf großen Anteil daran, dass der BVB noch einmal in den Meisterschaftskampf eingreifen konnte. Bereits zum Ende der Saison 2021/22 war Wolf Leistungsträger in Dortmund, in dieser Saison hat der Rechtsverteidiger aber noch mal einen Sprung nach vorne gemacht, der ihm als Spätstarter schließlich auch das Debüt in der Nationalmannschaft ermöglicht hat. Wolf überzeugt mit der Balance aus defensiver Stärke und offensivem Tatendrang, der Einsatz kann dem 27-Jährigen nie abgesprochen werden. Er mag zwar weiterhin etwas unter dem Radar fliegen, darf aber definitiv als einer der Gewinner der Saison gesehen werden. (von Hannah Gobrecht)