Bundesliga 14/15 Gesichter und Szenen der Hinrunde
Der Dortmunder Absturz, die bayerische Dominanz und das Eigentor des Jahres: Da sind die Tops und Flops der Hinrunde.
Als der Ball seinen Fuß verlassen hatte, ahnte Christoph Kramer schon Böses. "Ich dachte sofort: Scheiße", sagte der Weltmeister über sein kurioses Eigentor aus 45 Metern, mit dem er den eigenen Torhüter gekonnt überlupft hatte. Besonders bitter: Mehr Treffer fielen nicht beim Gastspiel der Mönchengladbacher Borussia in Dortmund, am Ende hieß es 0:1. Hohn und Spott waren Kramer anschließend sicher. "Für wen spiele ich eigentlich, Schiri?" und "Vielleicht zieht sich Kramer heute Abend noch selbst eine Gehirnerschütterung zu, damit er von dem Spiel auch nichts mehr weiß", waren nur zwei von vielen hämischen Kommentaren bei Twitter.
Am Schluss ging es doch ganz schnell: Die lange Leidenszeit von Jens Keller bei Schalke 04 endete am 7. Oktober - nur drei Tage nach dem 1:2 bei 1899 Hoffenheim am siebten Bundesliga-Spieltag. Auch der 2:1-Derbysieg eine Woche zuvor gegen Borussia Dortmund hatte den 43-Jährigen nicht retten können. Seit seinem Amtsantritt im Dezember 2012 hatte Keller in der Kritik gestanden. Fehlendes Konzept, keine Ausstrahlung, mangelnde Autorität - die immergleichen Vorwürfe begleiteten den Stuttgartern in seiner fast zweijährigen Zeit bei den Königsblauen. Dennoch führte er Schalke zweimal in die Champions League. Die Klubführung erklärte immer wieder, Keller stehe nicht zur Diskussion. Dennoch wurde mehrmals mit anderen Kandidaten gesprochen. Der Fehlstart in diese Saison kostete den Schwaben schließlich den Job.
Wer Xabi Alonso schon aufs Altenteil abschieben wollte, sah sich in den letzten Monaten eines Besseren belehrt. Der 33-Jährige ist seit seinem überraschenden Wechsel im Sommer für rund acht Millionen Euro von Real Madrid zum FC Bayern der Dreh- und Angelpunkt bei den Münchnern. In Abwesenheit von Bastian Schweinsteiger, der lange Zeit verletzt war, schwang sich der 33 Jahre alte Spanier im Mittelfeld des Rekordmeisters zum unumstrittenen Dirigenten auf. Es gibt kaum einen Spielaufbau bei den Bayern, der nicht über den Welt- und Europameister läuft. Beim 2:0 in Köln Ende September stellte Alonso mit 204 (!) Ballkontakten sogar einen Liga-Rekord auf.
Ladehemmung, Torschusspanik, Horrorserie: Geschlagene 507 Minuten mussten die leidgeprüften Fans des Hamburger SV warten, bis sie am sechsten Spieltag endlich den ersten Treffer ihres Teams in dieser Spielzeit bejubeln durften. Es nutzte nichts. Trotz des ersehnten Treffers von Neuzugang Nicolai Müller verloren die Hanseaten auch ihr Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt (1:2), verharrten auf dem letzten Tabellenplatz (zwei Punkte) - und "übertrafen" ganz nebenbei einen einen uralten Negativrekord des VfL Bochum: Der Ruhrpott-Klub war zu Beginn der Saison 1979/80 474 Minuten ohne eigenen Treffer geblieben. Richtig viel hat sich seit dem Premierentor an der Elbe aber nicht verändert. Noch immer krebst der HSV im Tabellenkeller herum und stellt trotz vermeintlicher Stars wie Pierre-Michel Lasogga und Co. mit Abstand die harmloseste Offensive der Liga (neun Tore nach 17 Spielen).
Der Fußweg zur Stätte von Moritz Stoppelkamps bislang größter Tat ist genau 82,3 Meter lang und trägt seinen Namen. Die Moritz-Stoppelkamp-Allee führt über den Vorplatz der kleinen Arena des SC Paderborn, eingeklemmt zwischen Möbelhaus Finke und der A33. In jener Arena traf der Mittelfeldspieler am 20. September aus der eigenen Hälfte zum 2:0 gegen Hannover 96, stellte mit seinem Tor aus 82,3 Metern einen Bundesliga-Rekord auf und bescherte dem SCP sensationell sogar die zwischenzeitliche Tabellenführung. Ein Treffer sinnbildlich für die Hinrunde des SCP und Stoppelkamps. Der Überraschungs-Aufsteiger aus Ostwestfalen hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen, der 28-Jährige seinen Teil dazu beigetragen - nicht nur mit dem Rekordtor.
Eintracht Frankfurts Klub-Ikone Karl-Heinz Körbel verstand die Welt nicht mehr. "Meier, was ist aus dem Fußball geworden, wenn sie dich schon Fußball-Gott nennen", scherzte der 60-Jährige. Adressat der Frotzelei war Alexander Meier, Offensiv-Allrounder der Hessen und mit 13 Toren treffsicherster Akteur in der Hinrunde der Bundesliga. "Haste gesehen? Ich bin die Nummer eins", entgegnete Meier (31) mit großer Genugtuung. Herbstmeister, wenn man so will, ist der Hüne also schon. Und vielleicht ja auch bald Torschützenkönig - sollten die Frankfurter auch in der Rückrunde ähnlich erfolgreich spielen und Meier die Chancen so kaltschnäuzig nutzen wie bisher.
Für den Preis als beliebtester Trainer in der Bundesliga kommt Roger Schmidt eher nicht infrage. Der Coach von Bayer Leverkusen eckte ein ums andere Mal in seiner ersten Bundesliga-Saison mit Trainerkollegen an, sein Auftreten und seine Äußerungen waren teilweise gewöhnungsbedürftig. Der 47-Jährige ist die Reizfigur der Hinrunde. So geriet er beim 0:1 beim Hamburger SV mit HSV-Trainer Joe Zinnbauer verbal aneinander, Schmidt unterstellte den Spielern des Bundesliga-Dinos eine Treibjagd auf seine Profis. Nach dem 5:1 im Derby gegen den 1. FC Köln schrieb Schmidt FC-Coach Peter Stöger ins Stammbuch, dass er lieber nicht Trainer sein möchte, wenn er einen Fußball wie Köln spielen lasse. Der Österreicher Stöger antwortete einen Tag später: "Respekt gibt es auf dem Transfermarkt eben nicht zu kaufen." Noch Fragen?
Marco Reus wird 2014 an Silvester als Seuchenjahr abhaken. Denn die Serie der Blessuren der Nationalspielers scheint nicht abzureißen. Derzeit ist Reus seit dem 22. November wegen eines Außenbandrisses im Sprunggelenk außer Gefecht. Insgesamt werden für den 25-Jährigen bis zum Jahresende 149 Ausfall-Tage zu Buche stehen. Den absoluten mentalen Tiefpunkt erlebte Reus am 6. Juni im letzten WM-Test des Nationalteams vor der Abreise nach Brasilien. In der 45. Minute der Partie gegen Armenien blieb Reus im Rasen hängen und knickte um: Teilriss der vorderen Syndesmose und knöcherner Bandausriss an der Fersenbein-Vorderseite. Sechs Wochen später war Deutschland Weltmeister - ohne Marco Reus. Im Dezember wurde dann zu allem Überfluss noch die Führerschein-Affäre publik. Reus war nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis, setzte sich trotzdem hinters Steuer. Die Polizei erwischte ihn, jetzt muss er 540.000 Euro Strafe blechen!
Karim Bellarabi ist der Shootingstar in dieser Saison in der Bundesliga. Der Offensivspieler von Bayer Leverkusen avancierte sogar zum Nationalspieler - und zum Schützen des schnellsten Tores der Bundesliga-Geschichte, das bereits nach neun Sekunden fiel. Gleich am ersten Spieltag in Dortmund (2:0) gelang ihm der Coup: Anstoß Stefan Kießling, anschließend läuft der Ball über Hakan Calhanoglu, Heung-Min Son und Sebastian Boenisch zu Bellarabi. "Dann habe ich einfach draufgehalten, plötzlich war er drin", schilderte der 24-Jährige sein Blitztor.
Ilkay Gündogan ist die Erleichterung anzusehen. "Es macht unheimlich viel Spaß", versichert der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund immer wieder und genießt derzeit jeden Auftritt auf der Fußball-Bühne. 434 Tage musste er wegen einer Reizung einer Nervenwurzel im Rücken pausieren. Als die konservativen Behandlungen ohne Erfolg blieben, unterzog sich Gündogan im Juni einer Operation. Schließlich feierte er Mitte Oktober beim 1:2 in Köln sein Comeback. Seither bemüht sich der Hochbegabte um die Rückkehr zur alten Form - mit Erfolg. Immer öfter präsentiert sich Gündogan als Denker und Lenker des BVB-Spiels.
Shinji Kagawa wurde empfangen wie ein Popstar, mit Willkommens-Plakaten und lautstarken Sprechchören. Keine Frage, die Rückkehr des Publikumslieblings von Borussia Dortmund nach einem zweijährigen Gastspiel beim englischen Rekordmeister Manchester United war eine Herzensangelegenheit. Zwar feierte Kagawa beim 3:1 im Heimspiel am 13. September gegen den SC Freiburg mit einem Treffer ein Traum-Comeback, doch seither blieb der 25-Jährige vieles schuldig, was nicht zuletzt den allgemeinen Problemen des BVB im Abstiegskampf geschuldet ist.
Die Leidenszeit des Rene Adler nimmt einfach kein Ende. Der 29-Jährige war schon auf dem Gipfel, stürzte ab, kämpfte sich zurück und steht nach zahlreichen Verletzungsproblemen beim Hamburger SV jetzt nur noch auf dem Abstellgleis. In der Hinrunde stand Adler, der beim HSV noch einen Vertrag bis 2017 besitzt und rund 2,7 Millionen Euro im Jahr verdienen soll, nur in den ersten beiden Spielen im Tor. Danach wurde der ehemalige Nationalkeeper, dem ein Rippenbruch die WM 2010 gekostet hatte, durch Jaroslav Drobny ersetzt.
Am Ende war es ein Erdrutsch-Sieg für die Befürworter. 15 der 18 Bundesligisten stimmten am 4. Dezember für die Einführung der Torlinientechnik zur kommenden Saison und sorgten damit für eine Revolution im deutschen Fußball. Die Technik hält Einzug, Phantomtore gehören bald der Vergangenheit an, die Traditionalisten mussten klein beigeben. Bei der Frage nach dem System hatte sich der Ligavorstand bereits im Vorfeld für das aus dem Tennis bekannte britische Hawkeye-System (englisch für Falkenauge) entschieden.
Am 17. Oktober ist Robert Hartmann in die deutsche Geschichte eingegangen. Beim Zweitliga-Spiel zwischen dem VfL Bochum und Darmstadt 98 (1:1) setzte der Schiedsrichter aus Wangen zum ersten Mal das Freistoßspray im deutschen Profi-Fußball ein. Bereits in der siebten Minute war Hartmann zur Tat geschritten und hatte dafür von den Zuschauern spontan Szenen-Applaus erhalten. Bis es soweit war, musste aber zunächst einmal die typisch deutsche Bürokratie erledigt werden. Erst hatten die Schiedsrichter Bedenken, dann war der TÜV dagegen - am Ende setzten sich die "Schaumschläger" aber doch durch. In der Eliteklasse, der 2. und der 3. Liga darf seit Mitte Oktober hemmungslos gesprüht werden.
Armin Veh sollte den VfB Stuttgart wieder nach oben führen - doch nach nur 146 Tagen im Amt trat der 53-Jährige völlig überraschend zurück. Nach nur neun Punkten aus zwölf Bundesligaspielen sah Veh keinen anderen Weg mehr. Er sei für die prekäre Situation "verantwortlich. Uns und mir fehlte einfach auch das notwendige Quäntchen Glück in vielen knappen Spielen", begründete Veh, 2007 noch gefeierter Meistertrainer beim VfB, seinen Schritt. Als Nachfolger holten die Schwaben Vehs Vorgänger Huub Stevens zurück.
Experten reiben sich verwundert die Augen, die Betroffenen selbst haben es offenbar noch immer nicht so richtig realisiert. Der deutsche Vizemeister Borussia Dortmund und aktuelle Achtelfinalist der Champions League kämpft in der Bundesliga nicht um den Titel, sondern um den Klassenerhalt. Der Sturz auf Tabellenplatz 18 am 13. Spieltag sorgte für Alarmstimmung. Noch vor 18 Monaten Champions-League-Finalist, bricht das Team von Trainer Jürgen Klopp derzeit alle Negativrekorde. Neun Niederlagen nach 15 Spielen, das gab es zum Beispiel zuletzt vor 30 Jahren. Und nur 15 Tore in 15 Begegnungen erzielte der BVB zuletzt in der Abstiegssaison 1971/72.
Bei der Nationalmannschaft rückte der spätberufene Roman Weidenfeller ohne Murren ins zweite Glied, bei Borussia Dortmund erlebt der Weltmeister die wohl härtesten Zeit seiner Laufbahn. Degradiert und für den Rest der Hinrunde auf die Bank beordert, setzt Trainer Jürgen Klopp derzeit auf den Australier Mitchell Langerak. "Roman ist nichts vorzuwerfen", betonte Klopp, wohlwissend um einige Aussetzer seines Keepers in der Hinrunde. Dass er seiner Torhüter-Institution mit immerhin 407 Pflichtspiel-Einsätzen für den BVB die Entscheidung nicht persönlich, sondern im Mannschaftskreis mitgeteilt hatte, sorgte für einen bitteren Beigeschmack.
Karl-Heinz Rummenigge lobte Arjen Robben unlängst als "besten Feldspieler der Welt". Da würden ihm schon noch andere Kandidaten einfallen, entgegnete Robben und nannte Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi. Unbestritten ist auf jeden Fall, dass der 30 Jahre alte Niederländer von Bayern München schon seit langem eine Klasse für sich ist. Seit Monaten unterstreicht der dribbelstarke Offensivspieler mit seinen unwiderstehlichen Alleingängen seine Ausnahmestellung - selbst im Starensemble des FC Bayern. Zehn Hinrundentreffer unterstreichen dies noch.
Warum seine Spieler nach den WM-Strapazen schon seit Wochen gut in Form seien, wurde Pep Guardiola unlängst gefragt. "Ich bin ein super Trainer", antwortete der 43 Jahre alte Spanier, wollte dies aber als Scherz verstanden wissen. Perfektionist Guardiola lobt sich nicht gerne selbst. Muss er auch gar nicht. Die Fakten sprechen für sich. Dem Erfolgscoach des FC Bayern ist es in der Hinrunde exzellent gelungen, den befürchteten WM-Kater in München erst gar nicht aufkommen zu lassen. Guardiola änderte oft die Systeme und das Personal - das Ergebnis war fast immer gleich: Der Rekordmeister ist auch in dieser Saison nicht aufzuhalten und spielt auch dank Guardiola in einer eigenen Liga. In bislang 51 Bundesliga-Spielen der Bayern unter Guardiola gab es 43 Siege, bei nur zwei Niederlagen. Die Punkteausbeute von 2,65 im Schnitt ist natürlich - Rekord.
Ob sich Jerome Boateng noch erinnert, wie sich das Verlieren in der Bundesliga anfühlt? Inzwischen ist der Weltmeister in Diensten des FC Bayern München bereits das 56. (!) Spiel in Folge ohne Niederlage. Der 26- Jährige ist der "Mr. Unbesiegbar" der Eliteklasse. Als Verlierer war Boateng mit den Bayern zuletzt in der Liga am 28. Oktober 2012 vom Platz gegangen. Der Rekordmeister unterlag damals 1:2 gegen Bayer Leverkusen. Ein wenig Glück ist bei der Rekordserie des Nationalspielers allerdings auch dabei. Bei den letzten Niederlagen des Double-Gewinners in der Bundesliga in Augsburg (0:1) und gegen Dortmund (0:3) in der vergangenen Saison stand Boateng nicht im Kader.