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Dramatisches Meisterschaftsfinale Borussia Dortmund droht ein Kater ohne Rausch

Düsseldorf · In Dortmund ist alles bestellt für die Fußballparty des Jahres. Am Samstag gegen 17.30 Uhr soll der BVB eine Bayern-Ära beenden. Doch sowohl diese Saison als auch ein Blick in die Geschichtsbücher sollte misstrauisch machen.

Dortmunds Sebastien Haller jubelt nach seinem Tor zum 2:0 in Augsburg mit Niklas Süle, Marco Reus und Marius Wolf (l.n.r.).

Dortmunds Sebastien Haller jubelt nach seinem Tor zum 2:0 in Augsburg mit Niklas Süle, Marco Reus und Marius Wolf (l.n.r.).

Foto: dpa/Tom Weller

Wer am Sonntagabend im Ruhrgebiet Hörsinn hatte, konnte nicht nicht mitkriegen, dass irgendwas mit Fußball war. Schreie, Jubel, Gesänge – manche trieb der übersprudelnde Hormoncocktail ins Auto. Die Gefühle einfach rausfahren – „Heja BVB“ auf Anschlag. Edin Terzic legt großen Wert darauf, als jemand wahrgenommen zu werden, der dem Epizentrum der Südtribüne entsprungen ist, mit schwarz-gelbem Sprit läuft. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr verwechselte die Dortmunder Vereinsführung es deshalb mit einer guten Idee, ein als Antrittsrede verpacktes Rührstück des neuen alten Trainers der Öffentlichkeit vorzuführen. „Lasst uns so hungrig sein wie noch nie. Lasst uns so hart arbeiten wie noch nie. Lasst uns aber auch so positiv sein wie noch nie. Aber am allerwichtigsten: lasst uns so laut sein wie noch nie“, schlug Terzic mit feuchten Augen der BVB-Gemeinde in einer Videobotschaft vor.

Natürlich wanderte das Video umgehend bei allen Skeptikern und Spöttern auf Wiedervorlage. Terzic und sein Team geizten fortan nicht mit Angeboten an eben jene, ihnen die hochtrabenden Worte genüsslich vorzuführen. Die Hinrunde beendete Dortmund auf Platz fünf, die Abgesänge auf Team und Trainer waren vielstimmig. Terzic war nach Thomas Tuchel, Peter Bosz, Peter Stöger, Lucien Favre und einer früheren Version seiner selbst der nächste, dem es zum Verhängnis wurde, nicht Jürgen Klopp zu sein. Die Beweisführung schien abgeschlossen.

Nach einer zumindest zwischenzeitlich beeindruckenden Rückrunde hat sich Dortmund nun am 33. Spieltag erneut an die Tabellenspitze geschoben – Pole Position, Full House, Elfmeter in der Nachspielzeit! Plötzlich beginnt alles leise zu vibrieren, ein Flirren liegt über dem Großraum Dortmund. Samstag, 27. Mai 2023, 15.30 Uhr, die Geschichtsbücher sind aufgeklappt. Mainz 05 hat sich mit einer 1:4-Niederlage gegen Stuttgart letzter Ambitionen rückstandslos entledigt und ist mehr Partygast als Gegner. Das kann, das muss, das soll, das wird! Widerspruch und Zweifel wären fortan Tatbestand und keine Meinung. Dieser unbändige Wunsch beseelt schließlich nicht nur Dortmund, das ganze Fußballland atmet nach einer schier endlosen Dekade erdrückender bayerischer Dominanz befreit auf und lechzt mit körperlichem Verlangen nach einem anderen Meister. Selbst im Dortmund gegenüber tendenziell missgünstigen Gelsenkirchen sind die Stimmen derer vernehmbar, die es in Gottes Namen dem dusseligen Nachbarn gönnen, wenn es nur nicht wieder die blöden Bayern werden.

Es wäre kleinlich, noch darauf hinzuweisen, dass diese dramatische Wendung auf der Zielgeraden enger mit den Namen Salihamidzic, Kahn, Nagelsmann und Tuchel verbunden ist als mit Watzke, Kehl und Terzic. Dass der BVB in der laufenden Runde schon mindestens drei Mal erklären musste, warum er jetzt wieder alles verspielt hat, ist längst vergessen. Aber klingt diese Geschichte nicht viel zu gut und war die Saison nicht viel zu verrückt, damit jetzt einfach alles gut wird? Selbstverständlich. Die Westfalen müssen einmal alles anders machen.

Terzics Antrittsrede scheint dabei nicht Gegenstand von Terzics Fehleranalyse dieser alles andere als fehlerfreien Saison gewesen zu sein. Vor dem Showdown recycelte der Trainer den eigenen Pathos: Im letzten Saisonspiel gehe es noch einmal darum, so laut zu sein wie noch nie, so positiv zu sein wie noch nie, so hart zu arbeiten wie noch nie. Für Spitzfindigkeiten ist der BVB unempfänglich. So positiv wie noch nie, dazu gehört auch, Frequenzen einfach stummzuschalten, auf denen nun die großen Abers gesendet werden.

Sportliche Analysen sind ohnehin so gut wie untauglich, um sie an die finalen 90 Minuten anzulegen. Wenn der DFB-Pokal eigene Gesetze hat, ist der 34. Bundesliga-Spieltag eine eigene Sportart. Zugegeben, oft genug sind derart herbeigesungene Wunder ausgeblieben. Was allerdings alles passieren kann, davon können sie von Hamburg bis nach Unterhaching eine Strophe singen. Beim FC Bayern ist Nervenstärke schon qua Vereinssatzung verordnet. Das Mia-san-mia-Mantra funktioniert beim Branchenprimus aber nur, weil der Rekordmeister es mit legendenbildenden Siegen unterlegt hat. 2001, als Sergej Barbarez erst in der 90. Minute zum 1:0 für den Hamburger SV traf, ehe Patrik Andersson in der vierten Minute der Nachspielzeit einen indirekten Freistoß im Strafraum zum Ausgleich verwandelte und dem FC Schalke die Meisterschaft noch wegschnappte, gilt seither als ewige Blaupause.

Wie man es selbst verhühnert, führte am eindrücklichsten Bayer Leverkusen vor. Nur ein Jahr vor der Vier-Minuten-Meisterschaft ereignete sich nicht minder Eigentümliches: Der Werkself reichte am letzten Spieltag ein Punkt beim Aufsteiger SpVgg Unterhaching. Einem gewissen Michael Ballack unterlief jedoch ein Eigentor, in der Folge kassierte Bayer noch das 0:2 - der FC Bayern zog vorbei. Selbst mit zehn Toren Vorsprung vor dem 34. Spieltag musste der 1. FC Köln 1978 noch zittern. Verfolger Borussia Mönchengladbach feierte mit einem 12:0 gegen Borussia Dortmund den noch immer höchsten Sieg der Bundesliga-Geschichte. Köln rettete den Vorsprung mit einem 5:0 beim feststehenden Absteiger St. Pauli noch vergleichsweise knapp über die Linie. 1992 entschied es sich sogar zwischen drei Teams erst am letzten Spieltag. Stuttgart überholte Frankfurt und Dortmund durch ein Tor von Guido Buchwald in der 86. Minute - die beiden zuvor punktgleichen Rivalen konnten ihre Spiele nicht gewinnen.

Dabei braucht es nicht mal den Blick ins Archiv – nichts würde weniger zur laufenden Runde passen als ein souveräner Dortmunder Heimsieg. 2:2 beim FC Schalke, ein deutliches 2:4 beim FC Bayern, 3:3 bei zehn Stuttgartern, 1:1 beim VfL Bochum – gesammelte Tief- und Rückschläge aus den vergangenen zweieinhalb Monaten. Dass diese Meisterschaft kein glanzvoller Durchmarsch gewesen sein wird, gilt freilich für beide Kandidaten und wird die überschäumende Freude der Dortmunder nicht ein bisschen bremsen. Thomas Müller setzte indes gleich nach der Niederlage seiner Bayern gegen Leipzig stichelnd darauf, dass der BVB nicht beide Spiele gewinne. Wohl wissend, dass diese Mannschaft bislang zwei Dinge schuldig blieb: Konstanz und Druckresistenz. Der FC Bayern kann nur deshalb hoffen, doch noch zu gewinnen, weil Dortmund alles zu verlieren hat. Die zu dieser Saison passende Schlusspointe wäre zweifellos, dass am letzten Spieltag beide im Gleichschritt patzen. Alle Wahrscheinlichkeiten sprechen selbst bei weniger überraschendem Ausgang für Schwarz-Gelb. Sie dürfen sich von den Prognosen nur nicht hindern lassen, sie zu erfüllen. Dann wird es in Dortmund ganz gewiss so laut wie seit sehr langer Zeit nicht mehr.

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